Alles neu im Irak, alles besser?
"Information Operation", Wendepunkte-Design und "Mixed Reality"
Seit dem 30.Januar dieses Jahres, seit die Fernsehkameras Bilder von den tintenbefleckten Fingern der mutigen irakischen Wähler um die Welt schickten, sei eine entscheidende Wende passiert, so die derzeit gängige Botschaft. Diese Sichtweise entspricht vor allem den politischen Vorgaben der US-Regierung. Folgt man den Auftritten des US-Präsidenten so ist der Irak ohne das Wort "Progress" überhaupt nicht mehr zu denken. Der programmatische Optimismus, der einen großen Teil der irakischen Realität als eine zu vernachlässigende Größe auffasst, wird von vielen westlichen Medien beinahe zwanghaft weiter verbreitet. Die Überprüfung der "good news" aus dem besetzten Land wird dabei immer schwieriger.
Für unabhängige Journalisten ist der Irak ein lebensgefährliches Arbeitsgebiet; Hoteljournalismus aus Bagdad und Reportagen von Eingebetteten dominieren die westliche Presse. Über allem schwebt das große Gesetz der "IO", der militärisch geprägten "Information Operation": Wie die Dinge wahrgenommen werden, ist (fast) so wichtig wie die realen Ereignisse. Wer den Informationskrieg gewinnt, wird auch die anderen Kämpfe gewinnen, lautet die dazu gehörige Prämisse. Diese Einsicht, die im Bewusstsein vieler kritischer Nachrichtenleser seit Beginn des Irakkonflikts präsent war, steht im Zentrum der bemerkenswerten Reportage des amerikanischen Journalisten Mark Tanner über die Wahlen im Irak.
Die Einnahme von Bagdad, die Gefangennahme von Saddam Hussein, die Übergabe der Macht an die Interimsregierung von Allawi und jetzt die irakischen Wahlen. Jeder (dieser "major turning points", Einf. d. A.) war im höchsten Maße erfolgreich als Beispiel für das Management von Bildern - der Sturz der Saddam-Statue, die genaue Untersuchung von Mund und Bart des ungekämmten früheren Diktators, das Überreichen der Souveränitätsdokumente des Koalitionsführers L. Paul Bremer an den irakischen Führer Iyad Allawi, die Wähler, die glücklich mit ihren violetten Fingern winkten - und jedes Bild hat die große Erzählung mächtig bekräftigt, wie sie die amerikanische Führung den Bürgern versprochen hatte, wie der Krieg im Irak sein würde. Sie versprachen, dass es ein Krieg zur Befreiung sein würde.., der den amerikanischen Truppen erlauben würde, sehr schnell wieder nach Hause zu kommen.
Bilder zum Jubeln
Die Bilder würden so gut zur ursprünglichen erzählerischen Vorgabe des Krieges passen, dass sie auch schon zu dem Zeitpunkt, als der Krieg erst geplant war, konzipiert hätten werden können, so Danner. Und weil diese Bilder so gut zur Story passen würden, wurden sie auch mit Enthusiasmus willkommen geheißen. Aber unglücklicherweise würden die Ereignisse, nach dem Verblassen der Bilder, nicht mehr so recht zur ursprünglichen Story passen. Und die Wahlen machten da keine Ausnahme. Zwar würden sie in den USA als Information Operation ein großer Erfolg sein, aber als politischer Fakt im Irak seien die Ergebnisse der Wahlen "viel gemischter".
Danner war zum Zeitpunkt der Wahlen im Irak und sah sich dort in Bagdader Wahllokalen um. Wie andere auch war er beeindruckt vom Mut der wählenden Iraker, ihm fiel jedoch auf, dass die meisten, die er befragt hatte, sich weigerten, die USA als diejenige Macht lobend zu erwähnen, die ihnen die Wahl erst ermöglicht hätte. Die überwiegende Zahl der Wähler nannte den Wunsch nach Normalität als stärkstes Motiv, um wählen zu gehen. Weiter fiel ihm auf, dass die "Story" vor Ort via Bilder gar nicht zu erzählen war.
Was Bilder nicht erzählen
Die "Atmosphäre der Paranoia und Furcht" sei mit Bildern nicht zu vermitteln, sagte ihm ein Fernsehkonsument. Und die echte Story, das Fernbleiben der Sunniten, wäre ebenfalls von den Kameras nicht erzählt worden. Die Kameras hätten auch nicht einfangen können, was Bremer als demokratische Erschwernis, eine Konzession an die Kurden, hinterlassen hätte: die nötige 2/3 Mehrheit für eine Regierungsbildung, eine Forderung, die es in keinem anderen parlamentarischen System der Welt gibt. Schon zu einem frühen Zeitpunkt sei die "IO" festgesetzt worden: eine hohe Wahlbeteiligung, selbst aus sunnitischen Gebieten wurden zunächst überzogene Zahlen verbreitet, das Ausbleiben von Gewalt, die erfolgreiche Abschottung, dazu die pittoresken Bilder von den wählenden Irakern.
Als sich dann später herausstellte, dass die Wahlbeteiligungszahlen weit übertrieben waren und am selben Tag 260 Anschläge von Aufständischen durchgeführt wurden, neun Selbstmordanschläge und 50 Tote, war die "IO", die Erfolgsmeldung, schon durch.
Auf dem Niveau eines Entwicklungslandes
Auch jetzt mehr als zwei Monate nach der Wahl dominiert die Story vom Irak, der Fortschritte macht auf dem Weg zur Demokratie. Dass im Süden Trinkwasser fehlt, die Wasserversorgung im gesamten Irak mangelhaft ist, das Abwassersystem im grauenhaften Zustand, die Stromversorgung ebenfalls miserabel, ebenso die Versorgung mit Medikamenten und der Irak, was die Situation der Menschenrechte angeht, auf dem Niveau eines Entwicklungslandes steht, bleibt Stoff für kleinere Meldungen. Ebenso die Verschlechterung des Schulsystems.
Der Wiederaufbau stockt. Zum einen wegen noch immer schlechten Sicherheitslage, zum anderen wegen der Korruption, bei der die Koalitionsregierung unter Bremer kräftig mitgemischt hat, der Pfusch größerer amerikanischer Unternehmen wie Bechtel und Kellog, Brown & Root hat daran ebenfalls größeren Anteil, wie auch die kulturellen Unterschiede: Während die Iraker 1991 die Zerstörungen des ersten Irakkriegs binnen eines Jahres mit ihrem Können wieder in den Griff bekommen haben, fällt ihnen anscheinend die Renovierung à l'americaine schwerer. Amerikanische Offizielle sehen gewohnheitsmäßig auch hier vor allem das Versagen der Iraker: schlechte Ausbildung und die (mentalitätsgebundene) Arbeitsethik seien die Ursache für das Versickern von Millionen von amerikanischen Steuerdollars im schlechten Abwassersystem.
Und politisch? Wie souverän ist die irakische Regierung tatsächlich mit Bremers Nachlass von "Hunderten von amerikanischen Wirtschaftsberatern, die er in allen Ministerien der (Allwawi)-Regierung" platziert hatte. Nur ein Mythos? Wie viele amerikanische Berater wird die neue Regierung haben? Immerhin mischt das Verbindungsglied zu Washington in Sachen Wirtschaft, Abdel Mahdi, auch in der neuen Führung als Vizepräsident mit. Auch Ijad Allawi, der beste Verbindungen zur CIA hat, bleibt im Spiel. Wie ernst sind die ausweichenden Antworten von Verteidigungsminister Rumsfeld zum Abzug der amerikanischen Truppen zu nehmen, der zwar keinen genauen Terminplan festsetzen will, aber suggeriert, dass es diese Option gibt, wenn andererseits Milliarden in den Aufbau von "ständigen" Militärbasen im Irak gesteckt werden? 14 dieser Basen sollen bereits aufgebaut sein, sogenannte "long term encampments", wo etwa 100.000 Soldaten stationiert werden können. "Indefinitely".