Allianz will Handys orten
Das Geldhaus ist am Geschäft mit der Lebensrettung per Handyortung aufgrund der Übernahme der Björn Steiger Stiftung Service GmbH interessiert
Die Björn-Steiger Stiftung befasst sich mit der Rettung verunglückter Personen, also mit der Rettung von Leben. Deshalb ist sie auch gemeinnützig. Ihre Tochter, die Björn-Steiger Stiftung Service GmbH, geriet in die Hände der Allianz Versicherung und die ist nicht wirklich gemeinnützig. Das Geldhaus will nun mit der Lebensrettung per Handyortung auch noch ein paar Euros verdienen.
Steuerknatsch mit Folgen
Die Björn-Steiger Stiftung wurde 1969 von Ute und Siegfried Steiger gegründet, den Eltern von Björn Steiger, der im Alter von acht Jahren nach einem Verkehrsunfall sterben musste, weil der Rettungswagen nicht rechtzeitig eintraf. Zu den großen Erfolgen der Stiftungsarbeit gehört die Einrichtung von Notrufsäulen an Autobahnen und die Einführung der bundeseinheitlichen Notrufnummer 112. Hinzu kam in den vergangenen Jahren die Möglichkeit der Handyortung in Notfällen. Ein weiteres Betätigungsfeld der Stiftung ist der "Kampf gegen den Herztod". Teil dieser Arbeit war und ist die möglichst flächendeckende Versorgung des Landes mit Defibrillatoren.
Weil die Stiftung die Defibrillatoren in großer Stückzahl orderte und damit eine enorme Preissenkung erzielte, kam sie einigen kommerziellen Medizingerätehändlern in die Quere. Einer dieser Händler verfügte über persönliche Kontakte zu einem Finanzbeamten, dem er im Jahr 2006 seine Steuerstrafanzeige gegen die Steiger Stiftung übergab. Während zuvor ähnliche Anzeigen missmutiger Konkurrenten als objektiv unbegründet, schnell wieder eingestellt wurden, widmete der Bekannte dieses Medizingerätehändlers der Anzeige große Aufmerksamkeit und blies sie zu einer Millionen schweren Steuerstreitsache auf. Sachlich ging es um die Höhe der zu berechnenden Mehrwertsteuer. Im Rahmen dieses Steuerermittlungsverfahren musste die Stiftung rückwirkend für mehrere Jahre die Differenz zwischen 7 Prozent und dem jeweils gültigen vollen MwSt–Höchstsatz nachzahlen.
Dies hatte zur Folge, dass die Steiger Stiftung innerhalb kurzer Zeit insgesamt 1,6 Mio. Euro schnellstens aufbringen musste und zwar - so die Auflage des Finanzamtes- aus gewerblichen Einkünften, also nicht aus dem Geld der gemeinnützigen Stiftung. Flugs wurde aus der bis dato gemeinnützigen Björn-Steiger Stiftung Service GmbH eine normale GmbH, für die ein edler Käufer gesucht wurde, der zwar Geld gibt, aber die Steigers ansonsten wie bisher im Sinne des Gemeinwohls weiterarbeiten ließ.
Die Allianz Versicherung zeigte sich schnell dazu bereit, ohne zunächst auf die Arbeit der Stiftung und der Service GmbH Einfluss zu nehmen. Die Allianz ist seit 2007 mit einem Anteil von 85 Prozent Haupteigentümer der „Björn Steiger Stiftung Service GmbH“ Die Björn Steiger Stiftung hält noch zehn und Pierre Steiger weitere fünf Prozent an der Service GmbH. Pierre-Enric Steiger, Sohn des Stiftungsgründers, und bis dahin in seiner eigenen Werbeagentur tätig, wurde einer der Geschäftsführer. Zwischenzeitlich beendete ein Richter das Steuerverfahren gegen die Steiger Stiftung in dem er das zuständige Finanzamt von der Aussichtslosigkeit der Klage überzeugte. Die Steuerbehörde hatte ein – wenn auch spätes Einsehen – und zog die Klage brav zurück.
Nun, da der Anlass für den Verkauf sich erledigt hatte, wollte Siegfried Steiger die Service GmbH wieder in die Stiftung zurückholen und von der Allianz zurückkaufen. Die Allianz verlangte nun statt der von ihr bezahlten 1,6 Mio Euro für den Rückverkauf der Service GmbH durch die Steiger Stiftung fast das Zehnfache, nämlich 15 Mio. Euro. Steiger suchte deshalb nach neuen Partnern und wurde fündig. Der finanzstarke ADAC wollte einsteigen. Doch der Autoclub verzögerte die Verhandlungen und wollte plötzlich 51 Prozent der GmbH besitzen. Anlass für Siegfried Steiger die Reißleine zu ziehen. Er teilte der Allianz mit, dass der Rückkauf doch nicht zustande käme. Die Versicherung reagierte blitzschnell und äußerst rabiat. Sie entließ Pierre Steiger als einen der Geschäftsführer der GmbH fristlos und entledigte sich auch weiterer Mitarbeiter, die im Sinne der Stiftung tätig waren. Die Allianz möchte auch mit der Handyordnung künftig Kasse machen.
Auf eine Anfrage von Telepolis beschrieb sie ihre Zielsetzung so:
Für die Allianz Versicherungs-AG ist es denkbar, die Technik und das Notruf-Know-how der Björn Steiger Service GmbH im Rahmen ihrer Assistance-Angebote für ihre Kunden nutzbar zu machen.
Zu deutsch: Schluss mit der gemeinnützigen Arbeit, hin zum Konzern integrierten Geschäft mit Unfallopfern. Denkbare Mitspieler des Geldkonzerns könnten künftig die Automobilkonzerne sein, vielleicht im Rahmen eines Servicepakets, in das die Unfallrettung per Ortung von Handys oder über das GPS-System der Fahrzeuge erfolgt.
Unfall-Leitstellen reagierten sauer
Nach dem sich die Entlassung des Steiger-Manns in der Service GmbH herumgesprochen hatte, reagierten einige Leitstellen-Verantwortliche sauer. So schrieb der Leiter der zentralen Rettungsleitstelle des 112-Notrufsystems in Balingen an andere Leitstellen:
Mit Verwunderung haben wir in den letzten Tagen zur Kenntnis nehmen müssen, dass es bei der Service GmbH der Björn Steiger Stiftung zu erheblichen personellen und strukturellen Veränderungen gekommen ist. Wir haben deshalb mit Schreiben vom 9.Februar 2009 die Geschäftsleitung der Björn Steiger Stiftung Service GmbH gebeten, bis zum 15. Februar 2009 die Service Ruf Nummer für den 1st Level Support, die bisher auf unsere Leitstelle geroutet war, auf eine andere (Stiftungseigene) Rufnummer zu routen. Leider hat die Geschäftsleitung der Service GmbH bis heute auf unser Schreiben nicht geantwortet. Ich bedaure diese Entwicklung, nachdem wir die Implementierung der Handyortung seit November 2005 aktiv für die Stiftung begleitet haben. Ich bitte jedoch um Ihr Verständnis, dass wir Ihnen keinen Service mehr bieten können bzw. auch bei Ausfall Ihres Systems, keine Ortung mehr vornehmen können.
Im Bundestag stieß der Vorgang bei den Grünen auf Interesse. Der Grüne Innenpolitiker Hans-Christian Ströbele, MdB, erkundigte sich bei den Mobilfunkbetreiber nach deren Reaktion auf die Vorgänge bei der Björn Steiger Stiftung Service GmbH. Auszug aus Ströbeles Brief:
Mir wurde bekannt, dass die zentrale Rettungsleitstelle des 112-Notrufsystems in Balingen vor wenigen Tagen ihre Mitwirkung aufgekündigt habe, weil der Datenschutz nicht mehr gewährleistet sei.
Die E-Plus-Gruppe dankte dem Abgeordneten für den „Hinweis auf die veränderten Eigentumsverhältnisse“ bei der Björn Steiger Stiftung Service GmbH, der (ihr) "bisher nicht bekannt war". Weiter heißt es in dem Schreiben:
Vertragspartner, die, wie die Björn Steiger Stiftung Service GmbH, auf unsere Lokalisierungsplattform zugreifen können, um Ortungen von Dritten durchzuführen, haben wir vertraglich verpflichtet, die Zustimmung des Betroffenen vor der erstmaligen Lokalisierung einzuholen. Außerdem habe E-Plus bereits im April 2008 mit dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz ein branchenweites Handshake-Verfahren abgestimmt, und zwischenzeitlich umgesetzt, das die Ortung durch Dritte ohne Kenntnis des Betroffenen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließt. (...) Ihre Information zur „Björn Steiger Stiftung Service GmbH“ haben wir zum Anlaß genommen, die Vertragsbeziehung zu überprüfen.
Vodafone teilte mit, es sei zutreffend, dass die Service GmbH mit der Vodafone D2 GmbH einen Vertrag über eine Ortungsdienstleistung abgeschlossen habe. (...) Vertraglich ist die Björn-Steiger-Stiftung Service GmbH dazu verpflichtet, Daten nicht an unberechtigte Dritte weiterzugeben bzw. für andere Geschäftszwecke zu verwenden.“ Die Service GmbH kooperiere ihrerseits mit kleinen Notrufzentralen und Rettungsleitstellen, für die sie eine „Ortungsdienstleistung unter Nutzung unserer Dienstleistung“ erbringt. In diesen Fällen erfolgt mithin die Standortabfrage der Notrufzentralen und Rettungsleitstellen nicht unmittelbare bei der Vodafone D2 GmbH, sondern unter Einschaltung der „Björn Steiger Stiftung Service GmbH“
Dennoch habe, so Vodafone, der Erwerb von Gesellschaftsanteilen an der Björn Steiger Stiftung Service GmbH durch die Allianz AG auf das Vertragsverhältnis mit der „Björn Steiger Stiftung Service GmbH“ keinen Einfluss. Aber auch Vodafone sah Anlaß mit der Service GmbH „Kontakt aufzunehmen“. Die anderen Mobilfunkbetreiber äußerten sich ähnlich. So schrieb die Deutsche Telekom dem Autor:
Die Anbindung der Björn Steiger Stiftung an unseren Location Server (der die Ortsinformation eines Kunden ermittelt) erfolgte auf Basis des Rettungsdienstes und bezieht sich nur auf Notfallmaßnahmen. Dieser ist als Anlage des Vertrages der BSS mit uns beschrieben. Solange sich die BSS an den Vertrag hält, gibt es kein vertragschädliches Verhalten. Evtl. Abweichungen vom Vertrag müssten detailliert geprüft und ggf. neu bewertet werden.
Allerdings deutet die Verwendung des Kürzels BSS(= Björn Steiger Stiftung) darauf hin, dass die Telekom noch immer die Stiftung mit der Björn Steiger Stiftung Service GmbH (= BSSS GmbH) gleichsetzt.
In der Antwort der Allianz Deutschland AG auf Fragen von Telepolis finden sich erstaunliche Aussagen, die allerdings teilweise im deutlichen Widerspruch zu den Rechercheergebnissen stehen. Die Allianz behauptet:
Herr Pierre-Enric Steiger ist kürzlich aus persönlichen Gründen aus der Geschäftsführung der Björn-Steiger-Stiftung Service GmbH ausgeschieden. Das Ausscheiden von Herrn Steiger wurde von der Leitstelle Balingen/Zolleralb versehentlich mit einer Trennung der Björn Steiger Stiftung von der Björn Steiger Stiftung Service GmbH gleichgesetzt. Aufgrund dieses Missverständnisses haben wir eine Reihe von Anfragen der Rettungsleitstellen. An den Beteiligungsverhältnissen der Gesellschafter an der Björn-Steiger-Stiftung Service GmbH hat sich jedoch seit 2007 nichts geändert. Die Björn-Steiger Stiftung ist unverändert Gesellschafter der Björn-Steiger-Stiftung Service GmbH. Hinter der Björn-Steiger-Stiftung Service GmbH steht auch weiterhin die Idee der Björn Steiger Stiftung.
Dem widersprechen die Informationen des Autors– und auch des Abgeordneten Ströbele, denen zufolge sowohl Pierre-Enric Steiger als auch weiteren Mitarbeitern der Service GmbH gekündigt wurde. Die Allianz bestätigte in ihrem Brief lediglich, das bei der Service GmbH „mehrere Arbeitsplätze wegfallen“, wie es heißt „aufgrund von Umstrukturierungen“.
Firmenintern kommuniziert die Allianz den Konflikt mit der Steiger Stiftung allerdings deutlicher. So findet sich in einer internen Vorlage über „mögliche Geschäftsmodelle“ der BSSS GmbH (Abkürzung für Björn Steiger Stiftung Service GmbH) der Punkt „Vertragslösung“, und darin heißt eine der diskutierten Varianten: „BSSS GmbH schließt direkt Verträge mit allen Beteiligten.“ Dabei sieht man als Problem: “Vorbehalte einiger Partner gegen Allianz als Haupteigentümer.“
Von Seiten der Steiger Stiftung war bisher keine Stellungnahme zu erhalten. Offenbar befindet man sich in Verhandlungen mit der Allianz. Dem Bundesdatenschützer scheint die Tatsache, dass eine der größten Versicherungen Europas sich den Zugriff auf die Ortung von Mobiltelefonen beschafft hat, keine Sorgen zu bereiten. Telepolis teilte er mit:
Ich halte die Besitzverhältnisse der Björn Steiger Stiftung Services GmbH für sich genommen nicht für einen Grund, tätig zu werden. Einen datenschutzrechtlichen Verstoß kann ich nicht erkennen...
Offenbar ist dem zuständigen Beamten beim Bundesbeauftragen für den Datenschutz egal, ob eine gemeinnützige Stiftung über die Möglichkeiten zur Handyortung verfügt oder ein profitorientierter Versicherungskonzern.