Als Dinosaurier die Meinungsfreiheit im Internet beherrschten

Die Klagewelle gegen Websites mit satirisch-kritischen Inhalten zeitigt skurrile Resultate

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Netz ist bald Schluss mit lustig. Immer mehr kritische Geister, Satiriker und Spaßvögel müssen damit rechnen, von den Inhabern betroffener Urheber- und Persönlichkeitsrechte rechtlich belangt zu werden. Ein Fest für Anwälte, die in den USA sogar die bedrohten Rechte einer Figur im Saurier-Kostüm mit Zähnen und Klauen gegen angebliche Ehrabschneidungen verteidigen wollen. Angesichts solcher Auswüchse will die beklagte Electronic Frontier Foundation EFF in Zusammenarbeit mit Juristen demnächst ein Forum einrichten, das unverschämte Kläger an den Pranger stellt und den Beklagten Rechtsberatung für ihre Verteidigung gibt.

Er ist eigentlich nur ein vollschlanker, gutmütig-harmlos wirkender Dino. Aber hinter ihm stehen finstere Mächte. Wer jetzt spontan an unseren Altkanzler Helmut K. gedacht hat, der ist böswillig und pietätlos und irrt sich natürlich. Es handelt sich bei dem Dino um einen purpurfarbene verkleidete Figur. Sie heißt Barney und ist der Star einer beliebten Fernsehshow "Barney & Friends" für Kinder. Der drollige Dinosaurier kann aber nicht nur näselnd singen und tanzen, er kann Menschen auch gehörig ans Bein pinkeln. Betroffen davon ist die EFF, die sich seit etwa 11 Jahren für die Bürgerrechte des Einzelnen im Content des World Wide Web, insbesondere unter dem Schutz des First Amendment in der amerikanischen Verfassung einsetzt. Unter anderem hat die EFF bis vor kurzem mehrere Jahre lang das Archiv mehrerer Online-Magazine gehostet, deren Artikel als "Computer Underground Digest" (CUD) zusammengefasst waren.

In einem dieser Artikel hatte ein Autor sich in sarkastischer Weise darüber ausgelassen, wie sehr er doch die "Barney"-Figur hasse und daher gerne umbringen würde. Er verballhornte dabei den Text eines Liedes, der von der Dino-Figur gesungen worden war. Diesen ungeheuerlich bösen Text nahmen Anwälte der Lyrick Studios, welche die Barney-Show produzieren, zum Anlass, der EFF wegen angeblicher Rechtsverletzungen eine Klage anzudrohen, falls das Anti-Barney-Pamphlet nicht unverzüglich vom Server genommen werde.

Nach den Angaben von Cindy Cohn war die Electronic Frontier Foundation vor der Androhung der Klage aber bereits dabei gewesen, das Online-Archiv mit dem umstrittenen Text zur neuen Domäne zu verlagern. Ungeachtet dessen ergriff die EFF die Gelegenheit, mit einer veröffentlichten Reaktion das Augenmerk der Allgemeinheit auf das Problem mit der wachsenden Bedrohung von künstlerischer Freiheit bei Satire und Parodie online zu richten. Das Antwortschreiben, das Cindy Cohn für die EFF jetzt an den Anwalt Matthew Carlin der Lyrick Studios schickte, wurde daher gleichzeitig auf die Homepage gestellt. Cohn weist darin die Vorwürfe Carlins generell zurück.

Es treffe nicht zu, dass die Dino-Parodie die Markenrechte verletze, so Cohn in ihrer Stellungnahme, weil niemand im Ernst das Original mit der satirisch verballhornten Figur verwechseln könne. Ferner fehle es an einer kommerziellen Verwertungsabsicht der Parodie, da weder die EFF noch die von ihr gehosteten Artikel des "Computer Underground Digest" gewinnorientiert seien. Cindy Cohn nimmt auch die angeblichen Copyrightverletzungen auseinander. Eine Urheberrechtsverletzung beim Namen "Barney" könne es gar nicht geben, weil ein solcher Name nicht geschützt werden könne. Bei dem verballhornten Liedtext des Barney-Lieds scheide ein Verstoß in Analogie zum Urteil des Obersten Bundesgerichts im Präzedenzfall Campbell gegen Acuff-Rose aus. Damals hatten die HipHop-Spastiker 2 Live Crew das Lied "Oh Pretty Woman" des guten alten Melancholikers Roy Orbison in leicht niederträchtiger Weise verwurstet. Nach Meinung von Cindy Cohn sei bei der Dino-Parodie ebenso wie beim Präzedenzfall aber nicht relevant, ob sie kulturell hochwertig sei. Und es liege, wie der Supreme Court in seiner Entscheidung ausgeführt habe, geradezu in der Natur der Sache, dass eine Parodie dem aufs Korn genommenen Objekt inhaltlich ja zumindest so nah sein müsse, dass man erkennen könne, was da eigentlich parodiert werde. Eine negative Beeinflussung der geschäftlichen Umsätze der Lyrick Studios mit der "Barney"-Figur werde es, wie Cohn schreibt, auch kaum geben. Des Weiteren sei Parodie und Kritik in den Grenzen der Meinungsfreiheit grundsätzlich nicht für geschäftliche Nachteile des parodierten Objekts haftbar zu machen.

Gleiches geschieht natürlich nicht nur in den USA. Den jüngsten Fall hat der Chemiekonzern Bayer AG beschert. Die konzernkritischen Aktivisten Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V. mussten auf sanften Druck des Multis hin eine Website mit dem Bayer-Begriff schließen, weil ebenfalls angeblich Marken und Namenrechte bedroht waren. Da soll noch einer sagen, Dinos verstünden nichts von Schädlingsbekämpfung.

Und im gemütlichen Österreich schmeckt es dem Hotel Sacher plötzlich nicht mehr, dass auf der Website www.sachercake.com eine Version des weltberühmten Schokoladenkuchens angeboten wird, schon wird geklagt. Oiso bitte!

Ab Herbst soll das von der amerikanischen "Electronic Frontier Foundation" eingerichtete Forum "Chilling Effects Clearinghouse" stehen. Zu spät für die Bayer-Beobachter, aber vielleicht nützlich für die Überwachung der Aktivitäten anderer Riesen im Internet.