Als Grenzwächter der EU ist Lukaschenko noch immer gefragt
EU-Staaten sehen es als Provokation an, wenn das belorussische Regime aus geopolitischen Gründen Migranten ein Recht auf Mobilität gewährt
Dem belorussischen Präsidenten kann man vieles vorwerfen, vor allem seine autoritäre Herrschaft im Inneren. Doch jetzt wird Lukaschenko von den baltischen Staaten im Einklang mit den EU-Gremien noch viel Ärgeres vorgeworfen: Er drohe der EU mit einer Flüchtlingswelle. Damit sind keineswegs die belorussischen Oppositionellen gemeint, die wegen Lukaschenkos Regierungsstil das Land verlassen. In der Ukraine und in Polen gibt es bereits eine belorussische Exilgemeinde. Sie ist dort willkommen, so lange sie eine strikte Pro-EU-Linie vertritt. Widersprüche könnten bald auftreten, denn es gibt in Belorussland auch Oppositionelle, die - sei es aus Überzeugung oder aus taktischen Gründen - den Kampf gegen Lukaschenko nicht mit einem Bekenntnis zur EU verbinden wollen.
Zudem gibt es auch unter russischen Geopolitikern Kräfte, die nach Ersatz für Lukaschenko suchen. Ihnen ist klar, dass der gegenwärtige Präsident in seinem Land nicht mehr sehr beliebt ist und sie wollen verhindern, dass Russland von Lukaschenko-Gegnern als letzte Stütze des Regimes identifiziert wird.
Ein Schlupfloch in die Festung EU
Doch die Flüchtlinge, die die EU jetzt als Bedrohung sieht, kommen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien. Sie suchen seit Jahren immer neue Möglichkeiten, um doch noch einen Weg in die Festung Europa zu finden. Die EU hingegen versucht alle neuen Schlupflöcher schnell zu schließen. Für die Migranten bedeutet das, noch beschwerlichere und gefährlichere Fluchtrouten finden zu müssen. Dann müssen sie ihren Fluchthelfern auch viel mehr Geld bezahlen. Immer wieder werden die Migranten im geopolitischen Auseinandersetzungen als Geiseln missbraucht. So ist es in der Türkei, wo trotz aller Kritik, die auch die deutsche Regierung am Regime von Recep Tayyip Erdogan hat, seine Rolle als Grenzwächter zur EU teuer bezahlt wird. Über den Preis gibt es immer wieder Auseinandersetzungen - und das türkische Regime zeigt seine Macht, in dem es zeitweise Menschen über die Grenze lässt, um diese wenig später wieder zu schließen.
Flüchtende und Migranten werden hier zur Manövriermasse einer geopolitischen Auseinandersetzung. Das geschieht jetzt auch in Belorussland. Viele EU-Staaten werfen dem Lukaschenko-Regime - sicher nicht unberechtigt - Menschenrechtsverletzungen vor. Aber die Vorstellung, dass in einen solchen Regime auch Migranten nicht sicher sind, kommt den EU-Verantwortlichen nicht in den Sinn. Daher wird es auch unisono als Provokation an die EU verstanden, wenn das belorussische Regime die Migranten das machen lässt, was sie eigentlich wollen: nämlich die Grenzen zur EU passieren.
Wie sich die EU-Propaganda selbst entlarvt
Mit diesen vorhersehbaren Reaktionen entlarvt sich die Menschenrechtspropaganda der EU schnell - und das ist sicher auch von belorussischer Seite gewollt. Es wird deutlich, dass die viel bemühten Menschenrechte der EU eben nicht für alle Menschen gelten. Und dass für die EU-Gremien auch ein Lukaschenko noch gut genug ist, um die Bewegungsfreiheit von Migranten einzuschränken. Sie werden in der ganzen Erzählung als willenlose Objekte dargestellt, die von Lukaschenko an die Grenze zur EU gebracht werden. Unterschlagen wird, dass das Regime - natürlich aus geopolitischen Gründen - die Geflüchteten nur nicht in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkt. Dafür sollte man das Lukaschenko-Regime nun wirklich nicht kritisieren, wenn man es bei der nächsten Gelegenheit wieder im Namen der Menschenrechte anprangern will.
Politische Kräfte, für die Menschenrechte nicht an den EU-Außengrenzen enden, sollten vielmehr fordern, dass die Menschen, die in den letzten Tagen über die belorussische Grenze gekommen sind, in die Länder ihrer Wahl reisen können. Denn die meisten wollen sicherlich nicht im Baltikum bleiben, wo eine starke Kampagne gegen Geflüchtete läuft. Nur werden diese Länder dann zu den neuen Torwächtern, die Migranten davon abhalten, in die Länder ihrer Wahl zu kommen. Dazu gehört sicherlich auch Deutschland.
Dort kann dann auch mal verbale Schelte gegen Menschenrechtsverletzungen an Geflüchteten betreiben, wie es aktuell häufiger mit Blick auf die ungarische Regierung zu hören ist, während zugleich führende EU-Mitglieder sehr dankbar für die Torwächterfunktion dieses Regimes sind. Es ist nur zu hoffen, dass es im Fall von Belorussland möglichst vielen Menschen gelingt, ihr Recht auf Bewegungsfreiheit wahrzunehmen, bevor das Lukaschenko-Regime die von der EU gewünschte Grenzwächterfunktion wieder vollständig wahrnimmt und die Schlupflöcher in die Festung EU abriegelt.
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