Als am 24. März 1999 der Kosovo-Krieg begann

Seite 2: Der Weg in den Krieg

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Vor der Matrix westlicher Berichterstattung des "Bosnien-Krieges", die großteils in serbische Aggressoren und bosnisch-muslimische Opfer unterteilt hatte, wurde im "Westen" der seit Anfang 1998 eskalierende Konflikt zwischen der albanischen UÇK und serbischen Antiterroreinheiten im Kosovo zunehmend als Fortsetzung serbischer Vertreibungspolitik interpretiert. Dass sowohl die UNO als auch die vor Ort vermittelnde OSZE diese Wahrnehmung nicht teilten, verkam beim Gros der Massenmedien zur Randnotiz.

Eine F-15C Eagle im Einsatz im April 1999. Bild: USAF

Selektive Faktenauswahl und moralische Argumentation führten schließlich zur Wiederbelebung des ebenfalls aus dem Bosnien-Krieg stammenden Vergleichs Serben=Nazis. Damit wurde der Spielraum für eine Kompromisslösung wesentlich eingeschränkt. Westliche Regierungen zeigten sich bemüht, der "humanitären Katastrophe" Einhalt zu gebieten, und luden die Konfliktparteien im Februar 1999 nach Rambouillet sowie im März zur Nachfolgekonferenz nach Paris ein. Nach dem Scheitern dieser Initiativen begannen der Luftkrieg der NATO und der Bodenkrieg zwischen serbischen und albanischen Einheiten.

Bereits Mitte Januar 1999 hatte der Leiter der Kosovo Verification Mission der OSZE, der US-Diplomat William Walker, durch die Interpretation des Todes von 45 Albanern in Račak als serbisches Massaker für eine Verschärfung der Situation gesorgt.6 Als zwei Monate später der Luftkrieg begann, überschlugen sich mit den militärischen Ereignissen auch die verbalen Salven. Deutsche Politiker wie Joschka Fischer oder Gerhard Schröder, die in Fortsetzung der Balkanpolitik von CDU-FDP eine militärische Intervention gegen Belgrad gefordert hatten, bedienten sich dabei besonders einer "Holocaust-Rhetorik". Für ihren ersten Krieg seit 1945 musste die Bundesrepublik nämlich propagandistisch das moralisch stärkste Argument aufbieten, das möglich war: die Berufung auf Verhinderung eines "neuen Auschwitz".

Kritiker befürchteten, dass damit eine Relativierung der NS-Verbrechen und Verdrängung der deutschen Geschichte einhergehen könnte. Die Warnung des grünen Oppositionspolitikers Joschka Fischer 1994, die Kohl-Regierung würde Deutschland "an der Nase, an der humanitären Nase, in den Bosnienkrieg führen"7, war durch ihn als Außenminister Makulatur geworden.

Dass die bundesdeutsche Öffentlichkeit eine besondere Rolle spielte, unterstrich auch NATO-Pressesprecher Jamie Shea: "Wenn wir die öffentliche Meinung in Deutschland verloren hätten, dann hätten wir sie im ganzen Bündnis verloren."8 Für die NATO war die bundesdeutsche Öffentlichkeit richtungsweisend, da das Land als Beleg für die "richtigen" Geschichtslehren galt. Dazu wurde suggeriert, die Alliierten hätten im Zweiten Weltkrieg gegen Hitler-Deutschland ausschließlich zur Verhinderung der Shoa und nicht auch aus Eigeninteressen gekämpft.

Unter den von Shea für die Formierung der öffentlichen Meinung hoch gelobten deutschen Politikern Schröder, Fischer und Scharping stach besonders letzterer hervor, der u. a. von einem "serbischen KZ" und dem "Blick in die Fratze der deutschen Vergangenheit"9 sprach. Und während Shoa-Überlebende für die Publikation ihrer Kritik an den Auschwitz-Vergleichen Fischers und Scharpings bezahlen mussten10, wetteiferten letztere öffentlich um den bizarrsten Holocaust-Bezug - und erhielten moralische Unterstützung durch Günter Grass, der seine Bewunderung über das politische Agieren Fischers und Scharpings verkündete.11. Als schließlich auch noch Daniel J. Goldhagen, Autor von "Hitlers willing executioners", in der Süddeutschen Zeitung zur Besetzung und Umerziehung Serbiens nach dem Beispiel Westdeutschlands ab 1945 aufrief12, war die moralische Kriegsrechtfertigung gelungen.

Wie Goldhagen argumentierten zahlreiche Intellektuelle für einen Krieg, der zwar meist mit Bauchschmerzen, nichtsdestotrotz aber in aller Deutlichkeit als einzige Lösung akzeptiert wurde. Mit Ausnahme der taz waren dabei die Interventionsbefürworter in den großen deutschen Printmedien überrepräsentiert, während dezidierte Kriegsgegner in überregionalen Blättern teilweise gar nicht zu Wort kamen oder als Nazi-Revisionisten und "Verschwörungstheoretiker und Serbenfreunde"13 diffamiert wurden.

Mit der gelungenen Rechtfertigungsstrategie des "Kosovo-Krieges" und der erfolgten Umwandlung der NATO vom Verteidigungs- zum Interventionsbündnis waren schließlich die Weichen für das 21. Jahrhundert gestellt: Out-of-Area-Einsätze der NATO werden ebenso wie der Einsatz der Bundeswehr außerhalb der Grenzen Deutschlands seit 1999 öffentlich nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt.

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