"Also werden Rüstungsausgaben kontinuierlich steigen"

Frank Bsirske. Bild: privat

Telepolis dokumentiert: Frank Bsirske über das Sondervermögen für die Bundeswehr, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato und die Position der Grünen

Der Bundestag stimmt am heutigen Freitagnachmittag über das sogenannte Sondervermögen Bundeswehr ab. Ziel des Sondervermögens mit einem Volumen von 100 Milliarden Euro ist die Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit.

Zur Abstimmung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung liegt eine Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses vor. Die Fraktion Die Linke legt zum Gesetzentwurf einen Entschließungsantrag zur Abstimmung vor.

"Darin fordert die Fraktion, die für das Sondervermögen vorgesehenen Mittel in Höhe von 100 Milliarden Euro für sozialpolitische, infrastrukturpolitische und klimapolitische Maßnahmen und Investitionen zur Verfügung zu stellen und für diese Zwecke zu binden", heißt es auf der Internetseite des Bundestags. Zu Abstimmung stehe auch ein Änderungsantrag der AfD, der unter anderem die Kontrolle des Sondervermögens regeln solle.

Frank Bsirske war lange Jahre Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Seit der Bundestagswahl 2021 sitzt er für die Grünen im Bundestag – durchaus mit eigenen Positionen, wie er diese Woche bewies.

Als einer der wenigen Angeordneten des Regierungslagers kündigte Bsirske an, heute gegen das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr und die Festlegung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato zu stimmen. Telepolis dokumentiert seine Erklärung.

Die Grünen waren und sind der Auffassung, dass die Sicherheit Deutschlands nicht nur mit militärischen Mitteln sichergestellt werden kann.

Deswegen haben wir in den Verhandlungen um das Sondervermögen das Ziel verfolgt, den Sicherheitsbegriff breiter zu fassen und auch Maßnahmen zur Verbesserung der Cybersicherheit, des Bevölkerungsschutzes und der Stabilisierung von Partnerländern aus dem Sondervermögen zu finanzieren.

Von der ursprünglichen Forderung, dem Sondervermögen einen "erweiterten Sicherheitsbegriff" zugrunde zu legen, ist nach den Verhandlungen nichts mehr übriggeblieben.

Hinzu kommt, dass:

  • auch nach Verausgabung des Sondervermögens die Mittel bereitgestellt werden sollen, die es braucht, um das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr gemäß den geltenden Nato-Zielen zu gewährleisten. Nach Lage der Dinge läuft das auf die dauerhafte Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels hinaus.
  • die Mittel zur Bereitstellung von Cybersicherheit, Zivilschutz und der Stabilisierung von Partnerländern nicht aus dem Sondervermögen stammen, sondern aus dem regulären Kern-Bundeshaushalt finanziert werden sollen und on top auf das Zwei-Prozent-Ziel kommen.
  • diese kostspieligen Vorfestlegungen getroffen wurden, ohne dabei die Schuldenbremse 2023 auszusetzen oder auf die von Lindner bzw. der FDP geforderten Steuersenkungen zu verzichten. Das birgt die Gefahr, dass die Finanzierung anderer wichtiger im Koalitionsvertrag vereinbarter Reformen und Verbesserungen infrage gestellt werden könnten.

Meines Erachtens ist das Zwei-Prozent-Ziel eine ‚abstruse Kennziffer‘, deren Einhaltung zu dauerhaft stark steigenden Rüstungsausgaben führen wird. Das halte ich grundsätzlich für problematisch.

Mit dieser Festlegung werden die Verteidigungsausgaben an die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts gekoppelt (BIP). So ist das BIP in den letzten Jahrzehnten in der Regel stärker gestiegen als der Bundeshaushalt. Das dürfte auch in Zukunft so bleiben. Also werden die Rüstungsausgaben, gemessen am Gesamthaushalt kontinuierlich steigen.

Hinzu kommt, dass mit der Verabschiedung des Sondervermögens parteiübergreifend eine haushaltspolitische Vorfahrtsregel für Rüstungsausgaben über das Jahr 2027 hinaus verankert wird. Wenn auch nicht mit Verfassungsrang, aber als auf Dauer angelegter Grundkonsens.

Die Entscheidung zur Errichtung des Sondervermögens wird auf Grundlage einer gar nicht mehr hinterfragten Prämisse getroffen, nach der die baltischen Staaten und dann Deutschland die nächsten Opfer eines russischen Angriffskrieges werden könnten, wenn nicht massiv aufgerüstet wird.

Diese Prämisse verliert im Lichte des tatsächlichen Verlaufs des Ukrainekrieges immer mehr an Plausibilität. Denn die russische Aggression erweist sich nicht als Erfolgsmodell, das zur Nachahmung einlädt, sondern als militärisches Desaster.

Dabei wirkt das russische Militär weniger als schlagkräftiger Koloss, sondern eher als Scheinriese mit einem abschreckenden Atomwaffenarsenal.

Und da haben wir noch gar nicht berücksichtigt, dass es bereits heute schon gravierende Disproportionen bei den Rüstungsausgaben, zwischen den 30 Nato-Staaten auf der einen und Russland (einem Land mit dem BIP von der Größe Spaniens) auf der anderen Seite, gibt.

Kurzum: Das Verhandlungsergebnis ist aus meiner Sicht von unseren grünen Positionen meilenweit entfernt. Das Sondervermögen und die dazugehörigen Festlegungen etablieren dauerhaft eine haushaltspolitische Vorfahrtsregel für Rüstungsausgaben. Dieser kann und werde ich nicht zustimmen.