Alt-AKWs: Die Lebensgefahr am Oberrhein steigt drastisch
Nun sollen der Schweizer Uraltmeiler Beznau 1 und der Schrottreaktor Fessenheim wieder ans Netz gehen
Es war eine Ausnahme-Entscheidung der französischen Atomaufsicht (ASN), als sie Juli 2016 den Reaktorblock 2 im ältesten Kraftwerk des Landes abschalten ließ, weil sie dem Dampfgenerator das Prüfzertifikat entzogen hatte. Er gehörte zu den vielen Teilen, bei denen Dokumente für sicherheitsrelevante Teile gefälscht oder aufgehübscht worden waren, die nicht den üblichen Sicherheitsanforderungen genügen.
Da zwischenzeitlich in Fessenheim, dem ältesten Atomkraftwerk des Landes, auch Block 1 abgeschaltet werden musste, keimten am Oberrhein von Freiburg bis Basel Hoffnungen im Rahmen der ständigen Abschaltankündigungen, dass das alte Kraftwerk nie wieder angefahren werden würde. Schließlich war das Kraftwerk sogar schon einmal außer Kontrolle geraten. Nicht einmal die Schaltschränke waren wasserdicht, das Problem besteht auch in anderen AKWs.
Doch weit gefehlt. Zwischenzeitlich wurde vom Sozialisten Hollande ein fauler Kompromiss geschmiedet, der so mies und brüchig ist, wie der Stahl vieler Schmiedeteile, die in der Areva-Schmiede "Forges du Creusot" für Atomkraftwerke unter fatalen Bedingungen hergestellt wurden. So wurde, weil Atom-Frankreich immer wieder mal vor dem Blackout steht, zunächst Block 1 wieder ans Netz gebracht und nun soll zum Monatsende auch Block 2 wieder in Betrieb gehen.
Nach Prüfung von Dokumenten der Framatome - Nachfolger der zerschlagenen staatlichen Pleite-Areva - wurde der Rückzug des Prüfzertifikats von der ASN wieder aufgehoben. Die Atomaufsicht meint nun, dass die "Anomalien" beim Schmieden "die Diensttauglichkeit nicht in Frage stellen". Es sei der "Nachweis" erbracht, dass der Dampferzeuger konform zu den gesetzlichen Vorschriften sei. Dabei, so zeigen veröffentlichte Dokumente, ist das Teil zu kurz. "So wurde es unmöglich, die Endbereiche dieses Teils zu beschneiden". Dort sammeln sich Verunreinigungen, weshalb das Teil nicht die notwendigen Sicherheitsreserven hat und Ausschuss ist. Es hätte verworfen werden müssen, erhielt nun aber nachträglich mit dem geschwächten Endbereich doch ein Prüfzertifikat von der ASN.
Fessenheim, weil sich die Inbetriebnahme des neuen Reaktors Flamanville weiter verzögert?
Es erstaunt doch sehr, dass der Meiler bald wieder Strom produzieren darf, der weder gegen Flugzeugabstürze noch gegen Terroranschläge, Erdbeben (im Erdbebengebiet) oder Flutwellen (am Rhein) ausreichend geschützt ist. Zudem hatte der Chef der ASN längst von einer "besorgniserregenden Sicherheitslage" in den französischen Reaktoren gesprochen. Und M. Pierre-Franck Chevet meinte 2017 sogar, die Lage sei "noch besorgniserregender" als schon im Vorjahr. Dabei muss er vor allem auch Fessenheim im Auge gehabt haben, da es den einzigen Meiler aufwies, der von der ASN abgeschaltet worden ist. Nun traut aber diese ASN neuen Dokumenten von einem Hersteller, der viele Jahre geschummelt und gefälscht hat, um die Produktionsmängel zu verschleiern.
Dass sogar Fessenheim 2 wieder ans Netz gehen soll, lässt vermuten, dass sich der geplante Start des neuen Reaktors Flamanville weiter verzögern wird. Geplant ist offiziell noch, so lässt die Betreiberfirma EDF verkünden, das neue Kraftwerk noch zum Jahresende in Betrieb zu nehmen. Wer glaubt das? Seit sechs Jahren sollte das AKW am Ärmelkanal schon Strom liefern. Es macht kaum Sinn, Fessenheim 2 wieder anzufahren, wenn man es zum Jahresende dann definitiv abzuschalten gedenkt, weil Flamanville ans Netz geht.
Deshalb darf vermutet werden, dass die EDF, die Fessenheim und Flamanville betreibt, nicht davon ausgeht, dass Flamanville im nächsten Winter Strom liefert. Fessenheim muss, egal wie unsicher es ist, Strom liefern, weil sonst definitiv die Lichter wegen ein paar kalter Wintertage in Frankreich ausgehen könnten. Seit Jahrzehnten betreibt Paris eine erratische Energiepolitik, setzt vor allem auf die dreckige Atomkraft und behandelt saubere erneuerbare Energien nur stiefmütterlich.
Dass der Betriebsbeginn für den finnischen EPR in Olkiluoto angeblich im Mai 2019 liegen soll, lässt ebenfalls vermuten, dass der immer wieder verschobene Start in Flamanville weiter verschoben wird. In Finnland wurde mit dem Bau sogar noch deutlich früher begonnen. Das Kraftwerk sollte sogar schon seit 2009 Strom liefern. Beide Meiler der französischen Areva sind bisher nur Milliardengräber. Die ursprünglich geplanten Baukosten von 3,3 Milliarden Euro in Flamanville haben sich mit 10,5 Milliarden schon mehr als verdreifacht. Ohnehin ist auch bekannt, dass in Flamanville noch extreme Kosten nachkommen werden, sollte das AKW jemals ans Netz gehen. Denn auch hier sorgt die ASN nicht für Sicherheit, sondern für Unsicherheit. Sie lässt zu, dass ein Meiler ans Netz gehen kann, dessen Reaktordruckbehälter - ebenfalls aus Le Creusot stammend - Probleme aufweist, weil auch hier der Stahl mangelhaft ist.
In der Schweiz soll der vielleicht älteste Atomreaktor der Welt wieder angefahren werden
Doch zurück an den Oberrhein, genauer: an die Aare. Südlich von Fessenheim soll nämlich nun auch einer der ältesten Meiler der Welt in Beznau wieder ans Netz gehen. Auf eine Geschichte von fast 50 Jahren kann Block 1 dort sogar zurückblicken. Ob es der älteste Atomreaktor der Welt ist, wie gerne berichtet wird, hängt von der Betrachtung ab, aber bestenfalls ist es hinter zwei indischen der drittälteste. Hier ist es die Atomaufsicht der Eidgenossen Ensi, die nun der Axpo erlaubt, den Reaktor nach drei Jahren Stillstand wieder ans Netz gehen zu lassen.
Bei Ultraschallmessungen waren am Reaktordruckbehälter 2015 ebenfalls Unregelmäßigkeiten festgestellt worden. Auch dieses Teil stammt von Areva aus Frankreich, bei dem es - vielleicht - Schmiedeprobleme beim Hersteller in Le Creusot gegeben haben soll. In diesem Fall sind es fast 1000 Aluminiumoxyd-Einschlüsse, die das Material noch anfälliger machen.
Die Axpo behauptet stets, dass es keine Mängel sind, die durch den Betrieb entstanden sind. Man ließ den Ring des Behälters, der die größten Probleme aufweist, in einer renommierten britischen Schmiede nachbilden. Das sei nach den dokumentierten Herstellungsbedingungen in Forges Creusot geschehen. Angesichts der längst nachgewiesenen Unregelmäßigkeiten und Manipulationen an Dokumenten in dieser Schmiede sagen Prüfungen daran allerdings nun herzlich wenig aus.
Dazu kommt aber, dass Stahl durch den ständigen Beschuss mit Neutronen ohnehin immer spröder wird. Dass es Schwachstellen im Stahl über die Einschlüsse gibt, erhöht die Gefahren eines Sprödbruchs zusätzlich. Dieser führt mit aller Wahrscheinlichkeit zu einer Kernschmelze, also zum Supergau. Doch für die Ensi ist auch der uralte Behälter, in dem die atomare Kettenreaktion abläuft, weiter sicher. "Aluminiumoxid-Einschlüsse haben keinen negativen Einfluss auf die Sicherheit des Reaktordruckbehälters", erklärt die Atomaufsicht und lässt die erneute Inbetriebnahme zu.
Die Zweifel sind groß, wie auch in Schweizer Medien zu lesen ist. Es wird daran gezweifelt, ob die Axpo den Nachweis für einen sicheren Betrieb tatsächlich erbracht hat. Verwiesen wird auch auf die Frage, wie der Druckbehälter bei einem Störfall reagiert, wenn er in kurzer Zeit mit kaltem Wasser geflutet werden muss. Das ist die Situation, in der ein Sprödbruch besonders wahrscheinlich ist, weshalb in vielen Meilern die Sicherheitsreserven längst verringert werden und das Kühlwasser aus Angst vor Sprödbrüchen vorgeheizt wird.
Bricht neuer Stahl bei tiefen Temperaturen, bricht alter, durch Neutronenbeschuss veränderter Stahl auch bei hohen Temperaturen. Der Schweizer Bundesrat hatte deshalb eine Temperaturgrenze für eine Außerbetriebnahme bei 93 Grad definiert. Die Axpo hat für Beznau aber nur 74 Grad durch eine umstrittene Methode ermittelt, erklärte die Zeitung "Der Bund". Verwiesen wird auf das Öko Institut in Darmstadt, das eine andere Methode bevorzugt, die auf rein empirischen Grundlagen beruhe und nicht mit Wahrscheinlichkeiten arbeite. "Diese führt zu konservativeren Resultaten und ist aus sicherheitstechnischer Sicht daher sinnvoller", sagt Expertin Simone Mohr. Und wendet man diese Methode an, dann liegt Beznau 1 bei 98 Grad, also über dem Grenzwert. Also dürfte der Meiler nie wieder ans Netz gehen.
Die Ensi habe diesen Wert und die Zulässigkeit der Methode der Darmstädter sogar bestätigt, berichtet die Zeitung. Doch die Atomaufsicht meint, dass sich dabei um ein altes Verfahren handle und die Rechtsgrundlagen modernere Nachweismethoden erlauben würden. So hat die Ensi eine Mischung aus beiden Verfahren verwendet und kommt auf eine Referenztemperatur von 83 Grad, womit der Reaktor weiter unter den Grenzwert gerechnet wird. Beim Ökoinstitut bezweifelt man dagegen, dass ein Sicherheitsnachweis für den Reaktordruckbehälter gegeben ist.
Dazu kommt, wie andere Medien wiederum berichten, dass auch in der Schweiz die Hochwasser-Gefahr "kleingeredet wird", wie eine Zeitung den Experten Heini Glauser zitiert, der zu der Frage einen Bericht für das Bundesamt für Umwelt verfasst. Erste Ergebnisse sollen erst zum Jahresende veröffentlicht werden, aber Glauser erklärt mit Blick auf frühere Wasserstände: "Würde es heute wieder zu einem Extremhochwasser wie 1852 kommen, hätte das katastrophale Folgen!" Er widerspricht damit der Atomaufsicht, die meint, dass Beznau auch das größtmögliche Hochwasser überstehen würde.