Alternative Fakten vom Pentagon?

Auch in Tabqa in der Nähe von Raqqa sollen am 20. März durch US-Luftschläge mehrere Zivilisten getötet worden sein.

Seit 2014 sollen bei fast 20.000 US-Luftangriffen in Syrien und im Irak "möglicherweise" 229 Zivilisten getötet worden sein

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit dem Versuch, Transparenz zu schaffen und Verantwortlichkeit, wenn auch ohne alle Folgen, einzuräumen, führt das Pentagon, wie jedes Militär immer schon Propaganda- und PsyOp-erfahren, derzeit wieder das Schauspiel der Präsentation von "alternativen Fakten". Während Untersuchungen von unabhängigen Organisationen schätzen, dass bei den fast 20.000 Luftangriffen der US-geführten Koalition im Irak und in Syrien seit 2014 mindestens 2800 Zivilisten getötet wurden und auch gerade Amnesty International von "Hunderten von getöteten Zivilisten" durch Luftangriffe bei der Offensive auf Mosul sprach (Mosul: Amnesty kritisiert US-Koalition und irakische Regierung scharf), sagt das US CentCom, es seien seit 2014 nur 229 Zivilisten "unabsichtlich" getötet worden, von Verletzten wird erst gar nicht gesprochen.

Das ist gleichwohl ein Eingeständnis, das man allerdings von russischer Seite etwa nicht hört, obgleich russische Staatsmedien gerade in letzter Zeit gerne auf tote Zivilisten durch amerikanische Luftschläge hinweisen. Es war sicher nicht als Aprilscherz gedacht, als das CentCom am 1. April im neuesten Monatsbericht die letzten Zahlen über die bei den Luftschlägen getöteten Zivilisten veröffentlichte, die möglicherweise in die Hunderte gehenden Toten bei Luftangriffen in Mosul sind hier nicht eingerechnet. Zwischen August 2014 und Februar 2017 seien bei 18.645 Luftangriffen und 42.089 Lufteinsätzen "möglicherweise" 396 Zivilisten getötet worden. Es habe in der gesamten Zeit nach den Militärs nur 102 glaubwürdige Berichte gegeben. Von 17 Berichten, die im Februar bearbeitet wurden, seien 12 nicht glaubwürdig gewesen.

So kommt das US-Militär zu kaum glaubwürdigen Zahlen, wenn man die vielen Angriffe auf Städte wie Mosul oder Raqqa berücksichtigt. Nur in 0,94 Prozent der Lufteinsätze habe es einen Bericht über mögliche zivile Opfer gegeben, werden nur die vom CentCom als glaubwürdige bezeichnet, so sinkt der Anteil auf 0,24 Prozent, wobei man wohlweislich die Lufteinsätze und nicht die geringere Zahl der Luftangriffe heranzieht. Das dient auch als Beleg zu der Behauptung, dass "die Koalition außerordentliche Anstrengungen unternimmt, militärische Ziele auf eine Weise anzugreifen, mit der das Risiko von zivilen Opfern minimiert wird".

Wie das gemacht wird, erfährt man allerdings ebenso wenig wie die Gründe, warum Berichte als glaubwürdig oder als unglaubwürdig eingestuft werden.

Zivile Opfer unvermeidbar

Auch sprachlich wird unmissverständlich klar gemacht, dass es nur um eine Minimierung des Risikos, nicht um den Versuch des Ausschlusses geht. Das wird auch vom Nachtsatz bestätigt: "In manchen Fällen sind zivile Opfer unvermeidbar." Auch das wird nicht näher ausgeführt. Werden Zivilisten also auch beabsichtigt geopfert, um ein Ziel zu zerstören? Oder soll es heißen, dass das Wissen unvollständig ist oder man vor Zufällen nicht geschützt ist? Auf jeden Fall sagt das US-Militär letztlich, dass da, wo gehobelt wird, halt auch Späne fallen, auch wenn man hier den präzisesten Krieg aller Zeiten führt.

Erwähnt wird am Rande, dass der Vorfall im Stadtteil al-Jadida von Mosul vom 17. März untersucht werde. Dort könnten bis zu 200 Zivilisten durch zusammenbrechende Häuser begraben worden sein. Es gibt weiter unterschiedliche Versionen. Die irakischen Streitkräfte waschen ihre Hände in Unschuld und erklären, der IS habe die Explosion selbst vorgenommen. Eine andere Version ist, dass amerikanische Kampfflugzeuge von den irakischen Soldaten um Unterstützung gebeten wurden, um eine IS-Stellung auf dem Dach zu zerstören. Manche erklären, der IS habe Familien in die Häuser gezwungen, um sie zu Fallen für diese und die Angreifer zu machen, andere sagen, der IS habe eine oder auch zwei Autobomben an den Häusern postiert, deren Zerstörung dann zu einer Explosion führte, die die umliegenden Häuser beschädigte oder verwüstete. Amnesty International warf den irakischen Streitkräften und der Koalition vor, nicht genügend für den Schutz von Zivilisten zu sorgen, zumal die irakische Regierung die Menschen mehrmals aufgefordert hatte, nicht zu fliehen. Kritisiert wird, dass IS-Stellungen auf den Dächern von Häusern bombardiert wurden, in denen sich Zivilisten befanden, deren Tot also in Kauf genommen wurde.

Im Pentagon stellt man sich unwissend, obgleich ja behauptet wird, dass man außerordentliche Mühe auf den Schutz von Zivilisten lege. General Townsend, Kommandeur der US-Truppen im Irak, meinte, es könne "eine Kombination von Ereignissen" gewesen sein, die die Tragödie verursacht haben: "Aus dem Grund sind wir zögerlich, etwas Definitives zu sagen, bis unsere Untersuchung abgeschlossen ist." Er räumte allerdings ein, dass die Ursache vermutlich US-Luftangriffe waren: "Wenn wir das getan haben - und es gibt wirklich die Möglichkeit, dass wir es waren -, dann war es ein unbeabsichtigtes Kriegsereignis." Also Verantwortung wird schon einmal ausgeschlossen, Pech gehabt.