Am Ende des Medienregenbogens

Die Multimedia-Messe "Milia '99" im Umbruch

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Jedes Jahr im Februar pilgern ein paar tausend Menschen aus fast 60 Ländern der Welt nach Südfrankreich an die Côte d'Azur. Im sonnenbeschienen Cannes findet der "The International Content Market for Interactive Media" statt - die Multimedia-Messe Milia. Dieses Jahr erstmals ergänzt durch die "Milia Games '99", sozusagen eine Untermesse in der Messe. Womit der umsichtige Veranstalter, Reed Midem, schon im Vorfeld andeutete, wohin der inhaltliche Zug der "Milia" in diesem Jahr fahren sollte: Weg vom Computer als grundlegende Abspiel-Plattform für digitale Inhalte, hin zu den Video-Spielekonsolen, dem Fernsehen oder den brieftaschengrossen PDA's (Personal Digital Assistents). Letztendlich wäre es ja auch egal, ob wir uns Web-Seiten auf dem TV-Bildschirm angucken, unsere Sony Playstation über den Computer ans Internet anschliessen könnten oder eine CD-Rom auf dem Palm Pilot spielten, wenn es denn funktionieren würde. Doch genau daran krankt es natürlich, noch.

Die zur Intel Gruppe gehörende Schweizer Firma Fantastic stellte auf der Milia ihr Partner-Programm vor. Dabei offeriert Fantastic Anbietern von komplexen Inhalten sein technologisches Breitband Multimedia Distributions-System, das über Kabel oder Satellit, ganz ähnlich dem Fernsehen, funktioniert. Die digitalen, meist noch Internet- oder Intranet-Inhalte werden dabei 1000mal schneller transportiert, als dies bisher möglich war. Rein theoretisch könnten wir dann "Multimedia-TV" auf unserem Computer sehen, einzige Voraussetzung wäre ein Web-Browser. Wenn da nicht noch unser Internet-Provider und unser Modem wären, die solche Übertragungsgeschwindigkeiten von Informationen weder zu- noch durch den Draht schlüpfen lassen.

Trotzdem ist, weil die grundsätzliche Richtung stimmt, Fantastic auf der Milia gleich mit drei grossen Partnern handelseinig geworden. MTV wird in der 2. Jahreshälfte einen Musikkanal für den PC launchen ("Musikvideos live im Internet-Browser"), der TV-Sender Eurosport wird einen neuen Sport-Service vorstellen und Eagle Rock, einer der führenden Rechteinhaber von Live-Konzertmitschnitten, will im nächsten Jahr "Live-Übertragungen, Konzerte aus dem Archiv mit Interaktivität und Online-Einkauf" anbieten.

Also müssen wir uns doch eine teuere digitale Set-Top Box, wie sie die Firma Galaxis vorstellte, für den Fernseher kaufen? Vielleicht führt daran kein Weg vorbei. Inzwischen freuen wir uns über die kleinen Dinge, die es, wie jedes Jahr, auf der Milia zu entdecken gab. Zum Beispiel die nagelneue PocketStation für die Sony Playstation. Gerade mal 30 Gramm schwer (inklusive Batterie) und halb so gross wie ein Gameboy, können wir die PocketStation an die Playstation andocken, aktuelle Spielstände herunterladen, auf ihr kleinere Spiele üben, mit anderen PocketStations via Infratrot-Strahl kommunizieren und Zeit sowie Datum ablesen und -speichern. In Deutschland wird es die PocketStation voraussichtlich ab Sommer geben.

Bleiben wir noch einen Moment bei der eigentlichen Playstation. Hier gab es das neue Spiel zu dem Film "Bug's Life" (Das grosse Krabbeln) zu sehen und die Nachricht, dass der junge MIT-Professor John Maeda gerade an einem Playstation Spiel: "123D" (Herbst '99) arbeitet. Maeda ist eigentlich auf CD-Rom-Projekte spezialisiert und hat mit seiner "Reactive Book Series" ganz erheblich zum Erfolg des japanischen Publishers und Galeristen Digitalogue beigetragen. Dort konnten wir zwar "123D" noch nicht sehen, dafür aber sein neustes "Reactive Book": "Mirror Mirror". Verblüffend einfach und ein bisschen geklaut ist die Idee: Der Nutzer steuert die Darstellungen auf dem Bildschirm, als wäre dieser ein Spiegel, mit seinen Bewegungen, die eine kleine Kamera in den Computer überträgt. Je nach Bewegung zerstreuen, verblasen, reagieren die Objekte und verändern die Darstellung auf dem Bildschirm. Ein bisschen geklaut, weil wir letztes Jahr im "New Talent Pavillion" auf Tota Hasegawa getroffen sind, bei dessen CD-Rom nichts anderes geschieht, ausser das sie, mit Hilfe eines Mikrophons, durch den menschlichen Atem gesteuert wird. Schön, dass wir seine Arbeit jetzt auch im Katalog von Digitalogue wiederfinden: "Mircophone Friend" heisst sie.

Mit zu den schönsten Ideen des diesjährigen "New Talent Pavillion", der versucht eine Brücke zwischen den jungen Kreativen, den mutigen Multimedia-Pionieren und der Industrie zu bauen, gehörte "Madame Groszgyan's sensationelles Panopticum der Fotografie". Die Reise durch die Geschichte der Fotografie, angesiedelt auf einem Rummelplatz, ist virtuell begehbar und wenn eine Digitalkamera angeschlossen wird, können wir uns mit Bild und Text ins Gästebuch eintragen. Und weil Verena Osgyan und Barbara Großer, die beiden Entwicklerinnen der CD-Rom, verstanden haben, was interaktiv heisst, erhalten wir eine kleine Plastikkamera, die einige Stationen des Rundgangs dokumentiert, und eine Wundertüte für den Herren, in dem alle Informationen zu dem Projekt enthalten sind. und höchst zufrieden weiter.

Wie immer war die reine Ausstellung gekoppelt mit jeder Menge Konferenzen und Vorträgen. John Batelle, gerngeleser US-Journalist der ersten Stunde und heute Verleger der Zeitschrift "The Industry Standard", gab in seinem Vortrag "Industry Scan" einen gelungenen Überblick über das bisherige und zukünftige Geschehen im digitalen Markt. Zur Hand gingen ihm dabei allerei Kollegen, darunter auch Mark Benerofe von Priceline.com, der zuerst einmal die Frage stellte, wer heute am Internet verdient. Das sind momentan die Internet- und Online-Provider und ganz massiv die Telefongesellschaften, die an jeder Online-Minute verdienen. Daher plädiert Benerofe für ein "Free Internet Modell", bei dem der Minutentakt abgestellt und durch eine Pauschale ersetzt wird. "Das Verhalten der Menschen wird sich radikal ändern, wenn sie unabhängig von den Kosten 24 Stunden am Tag Online sein können.", erklärt Benerofe. "Denn momentan bewegen wir uns mit dem, was wir online tun, noch ganz am Ende des Medien-Regenbogens."

Wie ein roter Faden zog sich die Frage: "Where is the beef?" oder zu gut Deutsch: "Wann lässt sich mit was im Netz eine Mark verdienen?" durch die verschiedenen Veranstaltungen. Ganz genau wollte es Michael Schrage vom MIT Media Lab in dem Forum "What Business Model Are We In?" von den Teilnehmern wissen. Doch weder Timothy A. Koogle, der Präsident des Intersuchdienstes "Yahoo!", noch Tim Jackson von "eBay" oder Linda Lawrence von "Netcenter" mochten dem Drängen Schrages nachgeben und die Katze aus dem Sack lassen. Letztendlich war Gert Birnbacher, bei der Dänischen Eisenbahn für's Internet zuständig, am ehrlichsten: "Wir verkaufen unsere Tickets darüber und sind sehr zufrieden damit." So einfach kann die Welt sein.

Was fehlte auf der Milia '99 waren die Visonäre, denen das Geld recht, aber nicht teuer ist. Deshalb haben wir uns gefreut, dass zwei der deutschen Aussteller, die wir als digitale Pioniere bezeichnen dürfen, für ihr frühzeitiges Engagement belohnt wurden. Der Berliner Verlag Tivola gewann für seine CD-Rom "Midnight Play/MitterNachtsSpiel" einen der begehrten Milia d'Or-Preise, und die Münchner CD-Rom-Schmiede Digital Publishing konnte eine Lizenz ihrer Sprach-Lern-Software für alle spanischsprachigen Ländern verkaufen.