Am Nasenring des BND?
Ein Interview mit Erich Schmidt-Eenboom über die deutschen Journalisten in den Jahren des Kalten Krieges
Fernseh-, Radio- und Printmedien berichteten bis zum Tag der Veröffentlichung nicht über das Buch "Undercover - Der BND und die deutschen Journalisten" des Geheimdienstkritikers Erich Schmidt-Eenboom. Das ARD-Morgenmagazin wagte jedoch einen ersten Vorstoß und lud den ehemaligen Panorama-Redaktionschef und heutigen Londoner Korrespondenten der ARD, Joachim Wagner und Gräfin Marion Dönhoff, Herausgeberin der ZEIT, zum Interview. Telepolis-Korrespondentin Christiane Schulzki-Haddouti sprach mit Erich Schmidt-Eenboom.
Es wurden jetzt einige Beiträge vorbereitet, die nicht gesendet oder gedruckt wurden. "Kennzeichen D" hat sich dafür interessiert, aber kurzfristig abgewinkt. Stern hatte etwas vorbereitet, aber ebenfalls kurzfristig verschoben. Auch im Spiegel herrschte Schweigen. Denken Sie, die Redaktionen haben sich selbst beschränkt, um Schaden von sich selbst abzuwenden?
Schmidt-Eenboom: Bei manchen, ZDF voran, herrschte die Einschätzung, wenn man darüber etwas macht, muß man berücksichtigen was im eigenen Hause war. Da hat das ZDF lieber ganz darauf verzichtet. Die anderen halten sich ein wenig zurück. Ich hatte den Eindruck, keiner will den ersten Schritt tun. Der Damm ist erst gebrochen, als das Morgenmagazin der ARD so mutig war, in der Sendung nicht nur Marion Gräfin Dönhoff, sondern auch den Londoner Korrespondenten Joachim Wagner mit dem Buch zu konfrontieren. Einer mußte den ersten Schritt wagen, dann ist es Medienthema. Ich habe in den letzten zwei Tagen zehn Interviews gegeben - jetzt will keiner mehr zurückstehen.
Was geschah im Vorfeld des Buches? Die Redaktionen wußten ja spätestens im November 1997, daß sie an diesem Buch arbeiteten. Spiegel, FAZ, Focus ...
Schmidt-Eenboom: Nun, einzelne Interviewpartner wußten es viel eher. Aber man beginnt nicht mit den Interviews, sondern arbeitet erst einmal die Liste ab: Was haben die Leute publiziert, was wurde an anderen Stellen über sie publiziert? In der DDR und auch in der westlichen linken Szene standen einzelne bereits im Verdacht auf der Payroll des Bundesnachrichtendienstes zu stehen. In einer späteren Phase habe ich dann Interviews mit den Betroffenen gemacht und natürlich auch mit Fachleuten der deutschen Medien.
Haben Sie alle Journalisten und Journalistinnen, die auf der Liste standen, um eine Stellungnahme gebeten?
Schmidt-Eenboom: Nicht alle, aber die wesentlichen. Bei der losen Kategorie III war dies nicht nötig. Aber diejenigen der Kategorie I, die ich besonders hervorhebe, habe ich kontaktiert und mit ihnen Interviews geführt. In einem einzigen Fall war der Versuch vergebens, das war bei Paul Limbach (LIMES), "Redakteur mit besonderen Aufgaben" beim Nachrichtenmagazin Focus. Er zog es vor zu schweigen.
Welchen Stellenwert hat die BND-Liste aus dem Jahre 1970 tatsächlich? Sie sprechen einmal davon, daß sie nur das Wunschdenken des BND reflektieren könnte, andererseits diente sie eventuell auch nur dazu, das SPD-Kanzleramt zu verunsichern. Haben Sie alles überprüft, wo sind Sie auf Grenzen der Nachprüfbarkeit gestoßen?
Schmidt-Eenboom: Fragwürdig ist immer die Kategorie III, in die man als gewöhnlicher Journalist bei den Nachrichtendiensten sehr leicht hineingeraten kann. Diese Kategorie hat mehrere Dimensionen: Einmal der "Zufallskontakt", wenn ein Journalist das erste Mal ganz offiziell Fragen an den BND richtet; "Planung" ist, wenn Nachrichtendienste den Journalisten aus dem Vorlauf kennen. In Frage kommen hier beispielsweise Nachwuchsjournalisten, die als Nachfolger bestehender Kontaktpersonen aufgebaut werden sollen. Man muß aber sehen, daß mit den 100 Journalisten, deren Arbeit man nachvollziehen kann und bei denen man sehen kann, wie sie die öffentliche Meinung im Sinne des BND gesteuert haben, die Schalthebel der Medienszene besetzt waren - also Intendanten, Chefredakteure und dergleichen. Da handelte es sich nicht um journalistisches Fußvolk, sondern richtig um die Crème des deutschen Journalismus.
Wie klar kann man zwischen denen unterscheiden, die Informationen "unwissentlich" verbreiteten und denjenigen, die es "wissentlich taten?
Schmidt-Eenboom: Die Liste selbst sagt dies bereits deutlich: Kategorie III meist "unwissentlich". Kategorie I und II kannten ihren Gegenüber vom BND als BND-Mann und damit war ihnen auch klar, daß derjenige im dienstlichen Auftrag mit ihnen Kontakt hält.
Womit können Nachrichtendienste Journalisten am ehesten knacken?
Schmidt-Eenboom: Es gibt zwei Interessen, das eine ist die politische Grundeinstellung, das andere die Neugierde, der Karrierepush des einzelnen Journalisten. Wenn man Quellen hat, aus denen man schnell gutes Material bekommt, ist man Kollegen, die sich das selbst erarbeiten, weit überlegen. Daher sind Journalisten immer in der Versuchung, Material aus den Diensten anzunehmen, da sie damit vor ihren Chefredaktionen als diejenigen dastehen, die schnell brisantes Material besorgen.
Könnte man sagen, es ist eine Berufskrankheit?
Schmidt-Eenboom: Es ist ein Berufrisiko, würde ich sagen.
Sie sagen, "wenige" Journalisten erhielten Geldsummen, wieviele waren es denn konkret?
Schmidt-Eenboom: Es waren um die 20, darunter jedoch einige mit sehr unbedeutenden Summen wie 50 Mark im Monat. Das war auch in den 60er Jahren wenig Geld. Es gab jedoch auch einige, die 700 Mark steuerfrei im Monat bekamen, und das war damals dann schon ein erkleckliches Zubrot. Dafür mußte ein normaler Arbeiter damals 14 Tage arbeiten.
Mit Wissen der Chefredaktion oder unter der Hand?
Schmidt-Eenboom: Teils, teils. Meistens saßen ja in den Chefredaktionen Konfidenten des BND. War jemand darunter angesiedelt, dann geschah es mit Wissen oder Duldung der Chefredaktion.
Wo kann man noch unterscheiden, ob diese Journalisten dem BND gegenüber "wohlwollend" eingestellt waren oder ob sie schlicht ihre journalistischen Pflichten, die Faktenüberprüfung, vernachlässigt haben? Sie haben hier ja auch die Herausgeberin der ZEIT, Marion Gräfin von Dönhoff, genau unter die Lupe genommen.
Schmidt-Eenboom: Beides. Zunächst muß man sehen, daß in Fällen wie dem der Gräfin Dönhoff Formulierungen wie "Gehlen - der Mann mit dem Elektronengehirn" großen Respekt vor dem Mann zum Ausdruck bringen, der aus einem ihr nahestehenden Kreis ostpreußischen Landadels kommt, nah am Widerstand des 20. Juli 1944. Je nach Zielgruppe hat er es mal so, mal so dargestellt. Dönhoff ist aufgrund der eigenen Lebenserfahrung und derselben Bekanntenkreise davon ausgegangen, daß man Gehlen auch zu diesem Kreis rechnen könne. Das hat bei ihr grundsätzlich Wohlwollen erzeugt. Gehlen als geschickter Psychologe wird den Eindruck entsprechend verstärkt haben.
Dann hat sie eine ganze Serie von Legenden über den BND verbreitet. Beispielsweise hat sie behauptet, der BND hätte den Mauerbau vorhergesagt. Sie hätte nur Willi Brandt anrufen müssen - das konnte sie in ihrer Position und bei ihren Beziehungen. Er hätte ihr leicht erklären können, daß er als regierender Bürgermeister von Berlin die BND-Lagemeldung vorfand - "das Wochenende bleibt ruhig". Es war also nichts mit Prognosen und Warnungen an die Politik.
Dramatisch wird es, wenn sie über die Nazi-Geheimdienstler unter Gehlen sagt, "das eine Prozent". Und das seien nur Leute, die auf dem Wege der Rangangleichung vom SS-Sturmbandführer zum Kriminalrat wurden. Das ist historisch falsch. Erstens sind es fast 20 Prozent ehemaliger SS-Geheimdienstler, die Gehlen in seine Organisation aufgenommen hat. Der Eintritt in die SS war freiwillig - das heißt es waren bekennende Nationalsozialisten und keine programmatische Rangangleichung. Das hat sie von Gehlen ungeprüft übernommen.
Hätte sie es denn damals überprüfen können?
Schmidt-Eenboom: Es gab damals schon eine Literaturlage, die eine Überprüfung ermöglicht hätte. Man muß ihr hier vorwerfen, daß sie, die sonst journalistisch an vielen Themen über Jahre hinweg handwerklich ausgezeichnet gearbeitet hat, ihre eigenen Fähigkeiten aufgrund des wohlwollenden Vorurteils suspendiert hat.
Im ARD-Morgenmagazin behauptete Marion Gräfin Dönhoff "da war nix". Wie reagierte sie Ihnen gegenüber auf die angesprochenen Punkte?
Schmidt-Eenboom: Ich hatte den Eindruck ganz starker Betroffenheit, nicht nur wegen des Decknamens (Dorothea) oder der wohlwollenden Berichterstattung, sondern wegen einer zweiten Dimension, die in der Arbeit der Pressedienststelle 923 des BND lag. Im Rahmen der Inlandsaufklärung sammelte diese Personendaten über Prominente in Deutschland. Zu den Zielpersonen des BND zählte Gerd Bucerius, der nicht nur Verleger, sondern auch Freund der Gräfin Dönhoff war. Sie hat mir gesagt, der BND-Verbindungsführer, der bei ihr war, habe über Banalitäten geplaudert. Aber gleichzeitig kam er aus einer Dienststelle, die persönliche Akten über Bucerius anlegte. So muß man davon ausgehen, daß die Dönhoff über ihren Freund und Verleger "abgeschöpft" wurde - wie es im Fachjargon heißt. Hier hat sie wider Willen und unwissentlich solche Akten gefüttert. Daß dies in Westdeutschland so möglich war, überrascht jetzt viele.
Bedeutet das, daß die hierzulande praktizierten journalistischen Spielregeln nicht genügen, daß eine härtere Faktenüberprüfung nötig wäre?
Schmidt-Eenboom: Ich gehe davon aus, daß es eine Grundgesinnung gab, die wir wesentlich in den Zeiten des Kalten Krieges wiederfinden. Damals gab es weit in die linken Kreise hinein ein Feindbild SBZ/DDR und damit die Bereitschaft, gierig Informationen zu verbreiten, die dieses Feindbild auch in der Bevölkerung bestärkten. Dabei ist natürlich die Faktenüberprüfung zu kurz gekommen. Für Journalisten ist es immer sehr kompliziert, wenn sie mit Nachrichtendiensten zusammenarbeiten. Sie erhalten Unterlagen aus geheimer Aufklärung, die man selber sehr schwer verifizieren kann. Darum hat wohl der BND diese Journalisten "Vertrauensjournalisten" genannt, da sie im Vertrauen darauf, daß der BND ihnen nur richtiges Material gibt, dies ungeprüft in die Medien eingespeist und sich damit zum Sprachrohr des BND gemacht haben. Das passierte aber auch noch bis in die letzten Jahre hinein.
Wie kann erfolgreich Geheimdienstarbeit bei Intellektuellen betrieben werden?
Schmidt-Eenboom: Nicht mit plumper Führung, wie sie die HVA, die Stasi oder der KGB in weiten Teilen betrieben haben. Das Kapitel über die CIA spricht hier Bände, da es dieser gelungen ist, einen wesentlichen Teil der Linksintellektuellen in der Bundesrepublik indirekt zu führen. Der CIA gründete Zwischeneinrichtungen wie den "Congress of Cultural Freedom", die eine Zeitung herausgeben, in denen prominente Linke dauernd veröffentlichen dürfen. So schafft man ein Forum für Linke, die sich vom Kommunismus abgewendet haben. Das war die geschickteste Form der Auseinandersetzung im Kalten Krieg. Nützliche Kräfte wurden so nicht direkt geführt, aber über Honorare, die für Artikel und Bücher kamen, gab man ihnen ein Stück Lebensgrundlage. Auf diese Weise hat ein wesentlicher Teil der Linksintellektuellen im Dienste der CIA publiziert - ohne es zu wissen.
Nachdem ich mein Buch beendet hatte, kam ein sehr altes Buch von Marcuse wieder heraus - über Lagebilder, die er in den 40er Jahren für den CIA geschrieben hatte. Er war damals als Emigrant für den Nachrichtendienst tätig und gerade in der Frühzeit der Bundesrepublik hat man diese Leute genutzt, um eine antikommunistische Stimmung in linksintellektuellen Kreisen zu verbreiten.
Auch der von der SPD auserkorene künftige Kulturminister Michael Naumann wurde vom BND unter dem Decknamen NORDDORF geführt.
Schmidt-Eenboom: Als Schwiegersohn des ehemaligen BND-Präsidenten Gerhard Wessel hatte er eine Sonderstellung. Als er 1979 die Dossier-Redaktion der ZEIT übernahm, gab es von ihm drei heiße, gut recherchierte Dossiers über Nachrichtendienste - gespickt mit Detailwissen. Hier habe ich suggeriert, daß er sich Teilinformationen aus dem Bundesnachrichtendienst abgeholt hat.
Haben Sie überprüft, inwieweit diese Dossiers inhaltlich korrekt waren?
Schmidt-Eenboom: Sie waren korrekt. Das eine war ein Artikel gegen den damaligen BND-Präsidenten Klaus Kinkel, ein Angriff gegen den Nachfolger seines Schwiegervaters. Kinkel hatte zugelassen, daß israelische Geheimdienstler in deutschen Gefängnissen PLO-Gefangene verhörten. Es ist bekannt, daß Wessel seinen Nachfolger nicht mochte. Das andere war ein Dossier über das Ministerium für Staatssicherheit, das nach damaligem Kenntnisstand sehr gut gespickt war. Nach Öffnung der Gauck-Akten zeigte sich, daß es allerdings etwas unvollständig war und mit mehr Feindbild-Couleur als von Nöten. Vom damaligen Sachverstand her war es jedoch im Vergleich zu dem, was sonst publiziert wurde, sehr gut. Das dritte war ein Dossier über die illegale Funkaufklärung des BND.
Was war in Naumanns Zeit als Verlagschef?
Schmidt-Eenboom: Keine nachweisbaren Aktivitäten. Aber ich habe selber ein Buch über den BND bei ihm nicht machen können, allerdings daraus keinen unmittelbaren Zusammenhang konstruiert. Mein BND-Buch ("Schnüffler ohne Nase - der BND"), das 1993 erschien, war zunächst beim Rowohlt-Verlag. Naumann hatte es durchprüfen lassen und mit mir besprochen. Alles, was der Anwalt als "Geheimwissen" eingeschätzt hatte, hätte für eine Veröffentlichung herausgenommen werden müssen. Im Prinzip hätte ich alles, was ich mühsam recherchiert hatte, zu Gemeinplätzen plattschreiben müssen. Daraufhin habe ich den Verlag verlassen, Vorschuß und Vermittlungsprovision zurückgezahlt und bin zu Econ gegangen. Kann sein, daß Naumann das rechtliche Risiko zu groß war.
Haben Sie selbst von den Nachrichtendiensten für das Buch Informationen erhalten?
Schmidt-Eenboom: Weder vom Verfassungsschutz, noch vom BND. Wenn Wagner im Fernsehen sagt, daß es ist normal ist, wenn man auf eine einfache Anfrage Informationsmaterial erhält, entgleisen vielen Kollegen die Gesichtszüge. Sie haben hundert Mal um Informationen gebeten, doch seitens der Pressestelle hieß es nur "wir haben nichts zu sagen, das ist nicht unsere Aufgabe". Offensichtlich gibt es zwei Klassen von Journalisten, die der Vertrauensjournalisten und die Normalen, die nichts bekommen.
Gibt es heute noch Listen, spezielle Datenbanken?
Schmidt-Eenboom: Heute dürfte es keine Listen mehr geben, da der BND aus der Geschichte gelernt haben dürfte. Es wird jedoch wohl in der Presseabteilung registriert, wer etwas bekommt und was daraus gemacht wird. Andererseits gibt es auch Dissidenten im Dienst, die Journalisten auf eigene Kappe ab und zu etwas zustecken.
Drohen Ihnen jetzt seitens der Betroffenen gerichtliche Verfügungen gegen das Buch?
Schmidt-Eenboom: Nein. Sie haben auch keine Chance für irgendwelche Verfügungen, da die Quellenlage zu gut ist. Das Buch beruht auf den Originaldokumenten des Bundesnachrichtendienstes vom März 1970. Das Gericht müßte also entscheiden, daß die BND-Akten lügen.