Undercover
Der BND und die deutschen Journalisten
Erich Schmidt-Eenboom, Geheimdienstkritiker und Direktor des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim, erforschte in zweieinhalbjähriger Kleinstarbeit die Hintergründe einer ominösen Liste mit "Pressesonderverbindungen". Am 20. August wurde sein Buch "Undercover - Der BND und die deutschen Journalisten" im Verlag "Kiepenheuer & Witsch" veröffentlicht.
Schon vor der Veröffentlichung dementierte Pullach:
"Der in dem Buch erweckte Eindruck, der BND habe damals eine Vielzahl deutscher Journalisten an der Leine geführt, ist falsch".
Als erster protestierte Bonn-Korrespondent Mainhardt Graf von Nayhaus in BILD:
"Infam, wer da plötzlich alles ein Spion sein soll".
Und Focus-Chefredakteur Helmut Markwort verteidigte seine Mitarbeiter im ARD-Kulturreport damit, daß Journalisten nie zur Quelle für Nachrichtendienste werden, aber wohl Quellen aus den Diensten verwenden dürfen.
Die Geschichte ist diffizil und Schmidt-Eenboom wußte bereits im Vorfeld, daß er ein publizistisches Minenfeld betreten hatte. Herausgeber, Chefredakteure und Korrespondenten ließen sich über Jahrzehnte vom Bundesnachrichtendienst am Nasenring führen, fungierten wissentlich und unwissentlich als Teil der Pullacher Strategien zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung.
Horst Ehmke, Kanzleramtsminister der sozialliberalen Regierung, bekam im März 1970 eine Liste zu sehen, "mit Namen und Summen, die mein Erstaunen hervorriefen." Erstellt hatte sie die BND-Dienststelle 923, die pro Jahr circa 250.000 Mark für Honorare, Prämien und Spesen für die journalistischen Quellen aufwandte - im September 1972 wurde sie auf Anweisung der Sozialdemokraten von BND-Präsident Gerhard Wessel aufgelöst und durch eine echte Pressestelle ersetzt.
230 Journalisten waren mit Deckname und "Presseverbindungsführern" auf der BND-Liste registriert. Darunter Rowohlt-Verlagschef Michael Naumann (NORDDORF), die Herausgeberin der ZEIT Marion Gräfin Dönhoff (DOROTHEA), Stern-Gründer Henri Nannen (NEBEL), Ex-BILD-Chefredakteur und Kanzlerfreund Peter Boenisch (BONGERT), ZDF-Intendant Karl Holzamer (HUPPERZ), Springer-Kolumnist Mainhardt Graf Nayhauß (NIENBURG), Gerhard Löwenthal vom ZDF (LOEBEN) und der Intendant der Deutschen Welle Walther Steigner (STEFFEL).
Eingeteilt wurden die Journalistenkontakte je nach Grad ihrer Intensität und Qualität in drei verschiedene Kategorien:
I - voll tragfähige, regelmäßige oder häufige Kontakte
II - Formalkontakte, unregelmäßige Kontakte nach Bedarf
III - Zufallskontakte, Planung usw.
Für einzelne Journalisten waren die Kontakte nur eine Facette ihrer Arbeit, für den BND addierten sich diese Facetten jedoch zu einem heimlichen Auge, schreibt Schmidt-Eenboom. Teils war der BND um eine positive Darstellung seiner Arbeit bemüht, teils sorgte er mit lancierten Informationen für handfeste politische Skandale. Nicht immer waren die von ihm an die Journalisten weitergereichten Informationen richtig, mangelhafte Überprüfung der Fakten stiftete weitere Verwirrung. In manchen Fällen arbeiteten Journalisten für den BND, in manchen gaben sich BND-Agenten als Journalisten aus. Schmidt-Eenboom zeichnet in seinem Buch fast jede Spielart der bewußten und unbewußten Kooperation nach.
Auch linksintellektuelle Kreise wurden in der Bundesrepublik in der Zeit des Kalten Krieges unwissentlich für nachrichtendienstliche Zwecke benutzt. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrecht in Frankfurt wurde über eine von CIA und BND finanzierte Einrichtung gegründet und lancierte einige von der Linken unterstützte Kampagnen.
Das Thema Menschrenrechte wurde als "wesentlicher Hebel zur inneren Destabilisierung osteuropäischer Zwangssysteme" genutzt, so Schmidt-Eenboom. In den 60er Jahren lassen sich Aktivitäten der britischen Sektion der Menschenrechtsorganisation "Amnesty International" sogar direkt auf eine Einflußnahme des britischen Geheimdienstes und der CIA zurückführen. In den 70er Jahren jedoch kritisierte "Amnesty International" die Todesstrafe in den USA genauso wie die Marionettenregime in der Dritten Welt. Nutznießer der AI-Kampagnen waren dennoch die westlichen Staaten, da der Einsatz für politisch Verfolgte die kommunistischen Länder empfindlicher traf. Viele Menschenrechtler handelten damit nicht im Auftrag, jedoch im Sinne der CIA - für Schmidt-Eenboom der Schlüssel zum Erfolg der Nachrichtendienste:
"Diese Differenzierung zwischen Lenkung einerseits und Anstoß und behutsamer Begleitung andererseits macht den ganzen Unterschied zwischen erfolgloser und erfolgreicher Geheimdienstarbeit in der intellektuellen Welt aus."
Insgesamt besticht das Buch durch eine Fülle von Details, in einigen Punkten bleibt es leider an der Oberfläche. Es bietet Ansatzpunkte für weitere Forschungsarbeiten sowie Anregungen für kritische Biographien. Schmidt-Eenboom beurteilt die Ereignisse jedoch im wesentlichen aus dem Blickwinkel der Nachrichtendienste. Aus der Perspektive von Journalisten hätte sich sicherlich ein weniger brisantes Bild entwickelt. Das in den nächsten Tagen und Wochen zu erwartende Medienecho wird vermutlich die Erkenntnisse bagatellisieren und herunterspielen. Betroffene werden sich jedoch dann nicht herausreden können, wenn sie vom BND Geld oder andere materielle Vergünstigungen erhalten haben oder ungeprüfte und uneingeordnete BND-Informationen benutzt haben.
Journalisten sollte es zu größerer Vorsicht mahnen und härterem "fact checking" ermuntern. Nicht nur Konkurrenzdruck, sondern der hierzulande verbreitete Gesinnungsjournalismus haben den Nachrichtendiensten einen fruchtbaren Boden bereitet. Gerade in Wahlkampfzeiten sollte das auch zu einer größeren Objektivität gegenüber politischen Parteien mahnen. Denn CDU, CSU, SPD, Bündnisgrünne und PDS lancieren wie der BND gerne einschlägige Informationen, und Journalisten sind davon abhängig, "brisantes Material" zu finden oder zugespielt zu bekommen.
Lesen Sie auch das Interview mit Erich Schmidt-Eenboom.