Am eigenen Zopf durchs Universum

EmDrive-Modell. Foto: emdrive.com

Kann sich eine Rakete durchs All bewegen, indem ihre Passagiere kräftig gegen die Vorderwand pochen?

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Gottfried August Bürger lässt seinen Helden, Baron Münchhausen, und dessen Pferd einmal auf kreative Art aus einem Morast entkommen: "Hier hätte ich unfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Knie schloß, wieder herausgezogen hätte."

Die Geschichte ist unter Physiklehrern beliebt, weil sie gleich doppelt gelogen ist. Allein die Behauptung, dass ein Mensch genug Kraft haben könnte, sich selbst und sein Pferd an einem Arm zu heben, liefert faulen Schülern schon eine Begründung, warum es der Erzähler hier offenbar mit der Wahrheit nicht ganz genau genommen hat.

Doch es gibt eine bessere Erklärung, die auch dann greift, wenn der Baron mit dem Griff zum eigenen Zopf nur sich selbst hätte retten wollen: die Impulserhaltung. Solange nur innere Kräfte wirken, bewegt sich demnach der Schwerpunkt des Systems (Mensch und Pferd) nicht. Münchhausen konnte so stark sein, wie er wollte - ohne Hilfe von außen wäre er im Morast stecken geblieben.

2001 stellte der britische Ingenieur Roger Shawyer ein Antriebskonzept vor, das folgendermaßen funktionieren soll: In einem verspiegelten Hohlraum, der die Form eines abgeschnittenen Kegels hat, breiten sich elektromagnetische Wellen (im Mikrowellenbereich) aus. Da es sich um dieselbe "Menge" an Strahlung handelt, aber die gegenüberliegenden Flächen verschieden groß sind, müsste, so die Idee, sich an der kleineren Fläche ein höherer Strahlungsdruck aufbauen als an der größeren - das Ergebnis ist eine (geringe) Nettokraft, die das komplette Gerät nach vorn bewegt. Shawyer nannte sein Konzept "EmDrive"; der Italiener Guido Fetta seine Version "Cannae Drive". Allgemein könnte man von einem Hohlraum-Strahlungs-Resonanz-Antrieb sprechen.

Die gute Nachricht: Das Konzept ist kein Perpetuum Mobile. Elektrische Energie wird in kinetische umgewandelt, das machen Elektroautos nicht anders. Ein damit ausgerüstetes Raumschiff bräuchte zwar keinen Brennstoff mitzuführen, aber es muss natürlich trotzdem die für die Beschleunigung nötige elektrische Energie erzeugen (oder mitnehmen).

Allerdings versalzt dasselbe Grundgesetz der Physik den Erfindern die Suppe, das auch schon Herrn Münchhausen zum Lügenbaron gemacht hat: die Impulserhaltung. Der Gesamtimpuls des Systems wächst, obwohl nur innere Kräfte wirken. Der EmDrive zieht sich am eigenen Schopf durch das Universum.

Das hat ernsthafte und Hobbyforscher weltweit natürlich nicht davon abgehalten, das Konzept nachzubauen. Mehrere Forschergruppen berichten, tatsächlich einen gewissen Schub gemessen zu haben. Den bisher wohl seriösesten Beitrag dazu haben Forscher der TU Dresden geliefert (PDF). Sie maßen eine Schubkraft von 20 Mikronewton - allerdings auch in Richtungen, in die eigentlich keine Kraft wirken sollte. Im Rahmen der Messgenauigkeit interpretieren die Forscher dies als Nullmessung, also weder als Bestätigung noch als Widerlegung des Konzepts.

Nun hatten Physiker bislang wenig Grund, ausgerechnet am Gesetz der Impulserhaltung zu zweifeln. Die Baustellen der modernen Physik befinden sich eher anderswo, in den Extremen, im ganz Großen und ganz Kleinen. Das Antriebskonzept stößt in der Forschergemeinde deshalb überwiegend auf Skepsis.

Angesichts der minimalen Schubkräfte (die in keinem der bisherigen Experimente signifikant oberhalb der Messgenauigkeit registriert wurden und die dabei stets deutlich unter den Behauptungen des Erfinders lagen) scheint es durchaus wahrscheinlich, dass bisher nicht betrachtete Nebeneffekte der wahre Grund für die Messausschläge gewesen sein könnten. Das Kongresspaper der Dresdner Forscher weist zum Beispiel auf die magnetische Wechselwirkung der stromführenden Leitungen hin, deren Einfluss bisher nicht ausreichend untersucht wurde.

Aber vielleicht müssen wir die Impulserhaltung auch gar nicht beerdigen. Baron von Münchhausen hätte sich retten können, wäre es ihm irgendwie gelungen, das System zu erweitern, also sich zum Beispiel vom Sumpf abzustoßen. Etwas ähnliches versucht der Physiker Mike McCulloch von der Universität Plymouth. Er erweitert das System EmDrive auf das komplette Universum, und zwar mit Hilfe des Unruh-Effekts.

Dieser bewirkt, dass sich ein beschleunigter Körper erwärmt. Bei sehr kleinen Wellenlängen, so die Idee, könnte dieser Effekt quantisiert auftreten, sodass man gewissermaßen einen Impuls aus dem Vakuum gewinnt. Allerdings ist der Unruh-Effekt generell sehr klein - und McCullochs Begründung enthält auch die mit aktueller Physik schwer vereinbare Idee, dass Photonen durch den Unruh-Effekt Ruhemasse gewinnen. Immerhin berechnet der Brite auch Prognosen, die sich nachmessen lassen: Bei veränderter Konfiguration des Antriebs (Länge = Durchmesser des kleineren Endes) müsste sich die Schubkraft umkehren.

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