Am schwarzen Brett hängt Angebot an Angebot

Informatikstudenten brauchen sich um die Zukunft nicht zu sorgen - Hochschulen können mit der Nachfrage nicht Schritt halten

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Der Anrufer gab sich am Telefon als Journalist aus. Er komme vom Wall Street Journal, sagte er, und schreibe eine Reportage über aufstrebende Unternehmen aus der Multimedia-Branche. Kein Wunder, dass man sich bei der jungen Berliner Firma n-tree geehrt fühlte, als er die Mitarbeiter interviewen wollte. Doch der Journalist war gar kein Journalist, wie sich bald herausstellte. Er war ein Headhunter, ein "Kopfjäger", der im Auftrag konkurrierender Firmen versucht, mit Programmierern ins Gespräch zu kommen, um sie mit viel Geld abzuwerben.

Auf dem Arbeitsmarkt der Informations-Technologie (IT) wird mit immer härteren Bandagen gekämpft. Selbst die angehenden Informatiker an den Hochschulen werden bereits von renommierten Unternehmen wie SAP und Microsoft umworben. An den «schwarzen Brettern» vor den Seminarräumen locken lukrative Angebote, verbunden mit dem Appell, nicht bis zum Examen zu warten.

Prof. Günter Hommel, Prodekan am Fachbereich Informatik der Technischen Universität Berlin, kennt einige Aussteiger, die als Selbstständige oder Angestellte Erfolg haben. Doch wären es nicht diese Fälle, die die Abbrecherquote von bis zu 50 Prozent erklärten: Viele Studenten würden einfach erkennen, dass Informatik doch nicht das Richtige für sie sei und das Studienfach wechseln. Mehr Sorgen bereitet Hommel, dass schätzungsweise 90 Prozent der Studenten mit Vordiplom nebenbei jobbten - und zwar in beträchtlichem Umfang: "Die Doppelbelastung treibt die Studiendauer in die Höhe, und dann heißt es wieder, die Lehre tauge nichts."

Einer aktuellen Umfrage des Deutschen Multimedia-Verbandes (dmmv) zufolge sind mehr als 80 Prozent der Firmen aus der Computerbranche auf Personalsuche. In Deutschland, wo vier Millionen Menschen arbeitslos gemeldet sind, gibt es im IT-Bereich etwa 75 000 unbesetzte Stellen, die nach Expertenschätzungen bis zum Jahr 2005 auf 250 000 anwachsen.

Die hervorragenden Berufsaussichten machen sich bereits seit einigen Semestern auch bei der Nachfrage nach Studienplätzen bemerkbar. Allein an den Berliner Hochschulen und Universitäten werden zurzeit rund 12 000 Studenten im Bereich Medien und Kommunikation ausgebildet, allein 5000 studieren Informatik. Da aber die Kapazitäten nicht mitwachsen, denken die drei Berliner Universitäten bereits über die Einführung eines Numerus clausus nach. Auch die Hochschule der Künste verfügt über eine Reihe innovativer Studiengänge in den Bereichen Informatik, Medien und Kommunikation.

Natürlich seien dies gute Zeiten für seinesgleichen, sagt Uwe Zippel, aber in seiner Stimme schwingt keine Begeisterung mit. Der 23-jährige Informatik-Student an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) kennt es nicht anders. Berufliche Zukunftsängste sind ihm und seinen Kommilitonen komplett fremd. Warum auch - nach einem Job wird er nicht lange suchen müssen, und bei Einstiegsgehältern ab 70 000 Mark braucht er sich auch keine finanziellen Sorgen zu machen. Würde er denn, wie in letzter Zeit von den Unis vielfach beklagt, sein Studium schmeißen, um eines der lukrativen Angebote anzunehmen? «Nö, warum sollte ich?», antwortet er mit einer Gegenfrage, die deutlich macht: Geld allein ist für den jungen IT-Nachwuchs noch lange kein Argument.

Indirekt bestätigt das auch Christian Vry, der sein Politologie-Studium an der Freien Universität im letzten Jahr an den Nagel gehängt hat, um bei dem Goldrausch im Internet hautnah dabei zu sein. Heute ist er Product Manager bei n-tree. Er ist mit seiner Firma auf Computer-Spezialisten angewiesen und sagt: "IT-Leute sind im Moment die Götter der Branche. Mit Geld allein kann man die schon längst nicht mehr locken." Ach nein, sondern? "Mit stock options", meint er. Mit der Aussicht also, bei einem späteren Börsengang der Firma in ganz großem Stil mitzukassieren. So sieht der Tellerwäscher-zum-Millionär-Mythos zu Beginn des 21. Jahrhunderts aus, nur dass kein Informatiker auch nur einen dreckigen Teller anfassen würde. Wie viele seiner Kollegen begrüßt Vry Pläne der Regierung, mit Hilfe einer zeitlich befristeten «Green Card» bis zu 30 000 ausländische Computerfachleute ins Land zu holen.

Zhixin Wang aus China ist schon da. Vor anderthalb Jahren kam er zum Studium an die TU. Ob er nach dem Examen noch einige Jahre in Deutschland oder Europa arbeitet, hat er sich noch nicht genau überlegt, "nur, dass ich mit 30 Jahren wieder zurück bei meinen Eltern in China sein will".

Für Firmen, die sich auf dem boomenden Markt etablieren wollen, ist der Arbeitskräftemangel ein großes Problem. "Das hemmt unsere Innovationsfähigkeit enorm", sagt Peter Gober, Technik-Chef bei n-tree. Wie viele seiner Kollegen auch begrüßt er Überlegungen der Bundesregierung, mit Hilfe einer zeitlich befristeten "Green Card" bis zu 30.000 ausländische Computerfachleute ins Land zu holen.

Auch Frank Rosengart (27), der an der FHTW Angewandte Informatik/Multimedia studiert, wird in jedem Fall sein Diplom machen, auch wenn es manchmal nicht leicht sei, sich immer wieder zum Durchhalten zu motivieren: "Schon jetzt stehen da die Firmen mit Koffern voller Geld."

Dass es auch für ältere Semester nie zu spät ist, um auf den fahrenden Zug aufzuspringen, zeigt das Beispiel von Matthias Knospe. Der 32-Jährige hat Anfang 1999 sein Biologie-Diplom gemacht, war anschließend ein gutes halbes Jahr auf Jobsuche - ohne Erfolg. Deshalb versucht er es nun durch die Hintertür. Da die einzigen Angebote in seinem Bereich für Bio-Informatiker waren, hat er sich an der Humboldt-Universität für Informatik eingeschrieben: "Aber natürlich überlege ich mir, ob ich das Studium zu Ende mache", gibt er mittlerweile offen zu. Denn: Nachdem er gerade ein Semester abgeschlossen hat, kann er bereits zwischen verschiedenen gut bezahlten Nebenjobs als Programmierer wählen. Darüber kann er nach seinen bisherigen Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt nur den Kopf schütteln - verrückte Welt. Aber hat er nach so kurzer Zeit überhaupt schon genügend Kenntnisse, um als Programmierer zu arbeiten? "Eigentlich nicht", gibt er zu, "aber niemand sagt etwas, wenn ich mir das während der Arbeitszeit erst aneigne."