"America will rise again": Trump über dem Weißen Haus
Seite 2: Retter von Amerika
Auch Wanger hätte später für sich in Anspruch nehmen können, die Blaupause für Citizen Kane geschaffen zu haben, wenn er den Drehbuchautor Carey Wilson nicht angewiesen hätte, eine stromlinienförmig angelegte Geschichte aus Tweeds Roman zu machen, ohne Rückblenden und erzähltechnische Komplikationen. Im Roman erinnert sich Hartley Beekman, der Sekretär des Präsidenten, ein paar Jahre nach den Ereignissen (es sind wohl die späten 1930er) an seine Zeit im Weißen Haus. Historiker haben bereits dicke Bücher über diese Phase der amerikanischen Geschichte geschrieben. Beekman berichtet aus der Perspektive eines Insiders, wie es wirklich war.
J. Baralong Rinehard, der Nachkomme deutscher Einwanderer, wird völlig überraschend zum Präsidenten der USA gewählt. Regierungserfahrung hat er keine. Rinehard ist ein freundlicher Herr, der gern Partys feiert, alte Freunde zu Ministern macht und brav tut, was die Partei von ihm erwartet. Nach einem schweren Autounfall ist er merkwürdig verändert. Aus dem jovialen Präsidenten ist ein in sich gekehrter, nachdenklicher und strenger, ja sogar rücksichtsloser Mann geworden, der sich entschließt, mit allen erforderlichen Mitteln die Probleme des Landes und dann auch der ganzen Welt zu lösen.
Beekman und seiner Kollegin, der Privatsekretärin Independence "Pendie" Malloy, kommt es vor, als sei Rinehard ein Mann mit zwei Persönlichkeiten, der vor und der nach dem Unfall. Pendie glaubt, dass es noch ein drittes Wesen geben könnte, weil der Präsident oft so wirkt, als höre er einem unsichtbaren Ratgeber zu. Wie wäre es, fragt sie Beekman, wenn Gott beschlossen hätte, dass die Menschen genug unter der Dummheit der Regierenden gelitten haben. In einem Moment der Gnade könnte er dem Präsidenten den Erzengel Gabriel geschickt haben, um seine Botschaften zu überbringen. "Was für eine lustige Idee", meint Beekman. "Gabriel über dem Weißen Haus."
Ob dem göttlichen Ratschlag folgend oder nicht: Rinehard erkennt, dass die Demokratie in seinem Land abgewirtschaftet hat. Er schickt den mit feigen, korrupten und entscheidungsschwachen Parteisoldaten besetzten Kongress in Urlaub, feuert seine unfähigen Minister und stellt aus Experten ein Kabinett zusammen, das er autokratisch führt wie ein Unternehmer alter Schule seine Firma. Jetzt wird gehandelt und nicht mehr diskutiert. Befreit von den Fesseln demokratischer Entscheidungsprozesse bekämpft der Diktator Rinehard erfolgreich die Massenarbeitslosigkeit und das Gangstertum.
Der Präsident sorgt für eine neue Währung, die nicht mehr an den Goldstandard gebunden ist (eine der Ursachen für die Weltwirtschaftskrise), setzt sich für die Gründung des "World Court" ein, einer effizienten Nachfolgeorganisation des gescheiterten Völkerbundes, und überzeugt die anderen Nationen (notfalls mit finanziellem Druck), ihre Kriegsschiffe zu verschrotten und das Wettrüsten zu beenden. Ein Attentat überlebt er nur knapp. Dabei verletzt er sich am Kopf und verliert das Bewusstsein. Danach ist er wieder so wie vor dem Autounfall.
Rinehard erfährt nun, was für eine Politik er in den vergangenen vier Jahren betrieben hat und ist entsetzt, fühlt sich als Verräter an der Verfassung, die er geschworen hat zu verteidigen. Außerdem ist er schwer herzkrank und hat nur noch sechs Monate zu leben. Die Zeit will er nützen, um die von ihm ergriffenen Maßnahmen rückgängig zu machen. In einer von Radio und Fernsehen übertragenen Ansprache möchte er das dem Volk mitteilen. Im entscheidenden Moment hat er einen Herzanfall. Beekman und führende Kabinettsmitglieder kommen überein, ihm sein Medikament nicht zu geben und ihn sterben zu lassen. Es sei besser so.
Dystopie mit Diktator
Tweeds Roman ist eine Phantasie, die durchspielt, wie sich ein Präsident zum Alleinherrscher aufschwingt und den starken Mann gibt, den damals so viele wollten. Mitunter ist das beängstigend realistisch, weil sich die Handlung nie so weit vom konkreten politischen System der USA entfernt, dass ein Märchen für Erwachsene daraus würde. Ironisch gebrochen wird das Ganze dadurch, dass am Schluss die Frage gestellt wird, ob da einer vier Jahre lang verrückt war oder ob er doch die göttlichen Weisheiten, die ihm vom Erzengel Gabriel zugetragen wurden, in Politik umsetzte.
Bei politisch heiklen Themen war es schon immer ein geeignetes Rezept, die Zensur auszutricksen, indem man die Geschichte in einer unbestimmten Zeit und an einem unbestimmten Ort ansiedelt. Das mit dem Ort war schwierig, weil es um einen US-Präsidenten im Weißen Haus ging, doch Walter Wanger erweckte offenbar den Eindruck, einen Roman verfilmen zu wollen, der im Jahr 1950 oder 1980 spielt, also weit weg von der Gegenwart. Das Buch spielt aber eindeutig in den 1930ern, wie schon der Untertitel der britischen Erstausgabe zeigt: A Melodrama of the Nineteen-thirties.
Tatsächlich wollte Wanger Gegenwart und nicht Zukunft, Realismus und keine Science Fiction. Der Film beginnt denn auch mit Wochenschauaufnahmen von der echten Amtseinführung Herbert Hoovers 1929. Hineinmontiert ist Walter Huston, der als der neu gewählte Präsident den Amtseid ablegt und sich mit einer Parade feiern lässt. Hoover ist einer von mindestens vier real existierenden US-Präsidenten, die aus Gabriel Over the White House schwer wegzudenken sind. Die anderen sind Warren G. Harding (1921-23), Franklin Delano Roosevelt (1933-45) und Abraham Lincoln (1861-65). Sie alle werden uns noch begegnen.
Tweed hat man abwechselnd vorgeworfen, er propagiere den Sozialismus, den Faschismus oder den Nationalsozialismus. Man sollte aber auch die Widerhaken berücksichtigen, die er eingebaut hat. Einmal erfährt man, dass sich Rinehard unter göttlichem Einfluss besonders für die Meinung von Leuten zu interessieren beginnt, die er vorher für Verrückte, Besserwisser oder Querulanten hielt. Das Buch überlässt es dem Leser, wie das zu bewerten ist. Sind die Verrückten gar nicht so verrückt, oder haben sie in einem Präsidenten mit Dachschaden einen Gleichgesinnten gefunden?
Mein Eindruck war, dass der Autor dem Gedanken, in schwieriger Lage sei eine Diktatur auf Zeit die beste Lösung, durchaus etwas abgewinnen kann, aber immer bleibt ein Rest von Ambivalenz, und gelegentlich mehr als das. Je mehr man überlegt, was da eigentlich geschieht, umso gruseliger wird es. Vor vorschnellen Urteilen würde ich genauso warnen wie vor Inhaltsangaben zum Roman, in denen der Präsident Judson Hammond heißt wie im Film. Nicht jeder, der über Bücher schreibt, hat diese auch gelesen. Den Namenswechsel von Rinehard zu Hammond halte ich für eine gute Idee, weil sich die Romanfigur, anders als Jud Hammond, an Lloyd George orientiert.
Lloyd George war bekannt für seinen energischen Führungsstil. Wer einen Aktivisten als Staatsoberhaupt sucht wird bei ihm genauso fündig wie bei Roosevelt. Der Brite, der sich einiges bei Bismarcks Sozialgesetzgebung abschaute, machte sich um den Wohlfahrtsstaat verdient und hatte großen Einfluss auf die europäische Nachkriegsordnung, inklusive der Teilung Irlands in den Freistaat Irland und das beim Königreich verbleibende Nordirland. In den letzten Jahren des Ersten Weltkriegs regierte er sein Land fast wie ein Diktator, Parlament und Kabinett spielten nur Nebenrollen.
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