"America will rise again": Trump über dem Weißen Haus

Seite 3: Tal des Schreckens

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Das Drehbuch zu Gabriel Over the White House entstand im Herbst 1932, also in der heißen Phase des Präsidentschaftswahlkampfs und nach Roosevelts Triumph im November. Im Februar 1933, als der Film gedreht wurde, war der abgewählte Hoover noch im Amt. Die Angelobung Roosevelts geschah am 4. März und nicht am 20. Januar wie inzwischen üblich. Die Amerikaner steckten mitten im langen, kalten "Winter der Verzweiflung". Die Wirtschaft lag danieder. Die Arbeitslosigkeit erreichte astronomische Höhen. Reihenweise wurden Banken geschlossen, wodurch die Sparer ihr Geld verloren, weil es keine Einlagensicherung gab.

Wer die Miete nicht bezahlen oder die Hypotheken für sein Haus nicht mehr bedienen konnte wurde vor die Tür gesetzt. Die Regierung Hoover wirkte wie gelähmt. Niemand wusste, ob sich die mit Roosevelt verbundenen Hoffnungen je erfüllen würden. Wie groß die Verzweiflung war kann man an den für einen Hollywoodfilm unerhörten Sätzen ermessen, die Mischa Auer als leidenschaftlicher Reporter bei einer Pressekonferenz des Präsidenten zu sprechen hat. Er klingt wie ein bolschewistischer Agitator, wenn er sagt:

"Überall herrschen Hunger und Not, von Küste zu Küste, von Kanada bis nach Mexiko. Millionen von Dollars werden in neue Schlachtschiffe gesteckt, Bauern verbrennen Mais und Getreide, Essen wird ins Meer geworfen, während Männer und Frauen um Brot betteln. Millionen frieren und haben keine Mäntel, während auf den Feldern die Baumwolle verfault. Tausende sind obdachlos und es gibt Millionen leerstehender Häuser. Letztes Jahr gab es mehr als 5000 Morde durch kriminelle Banden, und doch sitzen nur fünf Gangster im Gefängnis, und das wegen Steuerhinterziehung."

(Mischa Auer als Reporter)

"Was hat die neu gewählte Regierung dazu zu sagen?", will der Reporter vom Präsidenten wissen. "Wie antwortet die neue Regierung auf diese Anklage, welchen Plan hat sie, um aus diesem tiefen Tal des Elends und des Schreckens herauszukommen, der verlorenen Hoffnung, des zerbrochenen Glaubens, des Zusammenbruchs der amerikanischen Demokratie?" Den Präsidenten ficht das nicht an. Walter Huston spielt ihn (vor dem Autounfall und der Begegnung mit dem Engel) als eine Mischung aus Warren G. Harding und Herbert Hoover. In Jud Hammond verschmelzen Hardings aufgeräumte Lockerheit und Hoovers oft leere Rhetorik zu freundlichem Zynismus.

Gabriel Over the White House

Amerika, antwortet Hammond (mit einem Ausrufezeichen), werde diese Krise überwinden, so wie Amerika schon andere Krisen überwunden habe. Durch den Geist von Valley Forge und den Geist von Gettysburg sei das amerikanische Volk früher wieder aufgestanden, und so werde es auch jetzt wieder aufstehen. Valley Forge ist für amerikanische Patrioten ein geheiligter Ort, weil George Washington im Unabhängigkeitskrieg dort sein Winterquartier mit einem demoralisierten Haufen Rebellen aufschlug, der im neuen Jahr wunderbarerweise zur schlagkräftigen, begeistert in den Kampf ziehenden Armee geworden war.

Der Geist von Gettysburg

Mit der sehr verlustreichen Schlacht von Gettysburg (50.000 Gefallene) nahm der amerikanische Bürgerkrieg eine entscheidende Wendung. Bei der Einweihung des Soldatenfriedhofs am 19. November 1863 hielt Abraham Lincoln eine kurze Rede (weniger als 300 Worte), die als die vielleicht wichtigste gilt, die je aus dem Mund eines US-Präsidenten gekommen ist. Lincoln sprach in der Rede von einem Leben in Freiheit und vom unvollendeten Experiment der Demokratie, die er auf eine einfache Formel brachte: "die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk".

Hoover in Gettysburg

Besser wurde das Demokratieverständnis der Amerikaner nie zusammengefasst. Zahlreiche von Lincolns Nachfolgern kamen später nach Gettysburg, um dort Reden zu halten, mit denen sie versuchten, dem Geist des großen Vorgängers gerecht zu werden. Immer gehörte es zum guten Ton, die eigene Person in Gettysburg zurückzunehmen, zur Einheit der Nation aufzurufen, vor der Zerbrechlichkeit der Demokratie als einem weiter andauernden, vom Scheitern bedrohten Experiment zu warnen und die Chance zu beschwören, die in einer freien Gesellschaft liege, für das eigene Fortkommen genauso wie für das Wohl der Gemeinschaft.

Hoover etwa reiste 1930 in die kleine Stadt in Pennsylvania, um die Demokratie zur besten denkbaren Staatsform zu erklären und zum Kampf der "Wahrheit und der Ehrlichkeit gegen die Demagogie" aufzurufen. Vier Jahre später, am 30. Mai 1934, schloss sich Roosevelt ihm an. In seiner Rede benannte er drei Gruppen, die seiner Meinung nach dem Fortschritt am meisten im Wege standen:

"Diese Gruppen sind jene, die bestrebt sind, durch eine Verdrehung der Tatsachen politische Animositäten zu schüren oder sich einen politischen Vorteil zu verschaffen; jene, die versuchen, sich gegenüber denen, die bereit sind, den Spielregeln gerecht zu werden, einen unfairen Vorteil zu sichern, indem sie sich nicht an die Spielregeln halten; und jene wenigen, die, weil sie nie bereit waren, sich für ihre amerikanischen Landsleute zu interessieren, in ihren eigenen engen Sphären verweilen und weiterhin den Eigennutz des Partikularismus verkörpern, der im Leben unserer Nation keinen Platz hat."

(Franklin Delano Roosevelt)

Roosevelt sprach in seiner Rede von verheilten Wunden, vom durch ein neues gegenseitiges Verstehen eingeläuteten Ende der Polarisierung und von einem geeinten Volk. Was ihm wohl zu den Vereinigten Staaten des Jahres 2016 einfallen würde, und zum Auftritt Donald Trumps am 22. Oktober? An diesem Tag flog der Kandidat in Gettysburg ein, um sich mit Steve Bannon auf dem Schlachtfeld photographieren zu lassen und anschließend vor seinen Anhängern eine Rede zu halten, die er mit ein paar Worthülsen über das Zuschütten von Gräben einleitete, um dann seine übliche Ego-Show abzuziehen, für die er 39 Minuten brauchte und nicht zweieinhalb wie einst Lincoln.

Nachdem er kurz - wie es so Sitte ist - die Einheit beschworen hatte ging Trump zügig dazu über, alle anzugreifen, die er zu seinen Feinden rechnet: Große Medienkonzerne; von ihm kriminalisierte politische Gegner; Frauen, die ihn der sexuellen Belästigung bezichtigt haben; die Wall Street (die er mittlerweile deregulieren möchte); und so weiter und so fort. Bis zu Trumps Auftritt war Gettysburg der Ort der Demut, an dem die Redner bei den Gräbern der Gefallenen dazu aufriefen, sich der Opfer früherer Generationen zu besinnen und aufs Neue mit einer gemeinsamen Anstrengung die fragile Demokratie zu verteidigen. An diesem 22. Oktober erlebte das Land ein Ressentiment-Festival und einen Paradigmenwechsel.

Washington und die Wall Street, erfuhr man, hätten "die Spielregeln gegen die Durchschnittsamerikaner manipuliert". Trump präsentierte seinen Zuhörern die Demokratie nicht als eine zwar keineswegs perfekte, aber doch schützenswerte Einrichtung, sondern als ein zu seinen Ungunsten manipuliertes System, das nur er allein in Ordnung bringen könne - nicht mit Hilfe einer kollektiven Anstrengung, sondern dank seiner eigenen, ganz individuellen Großartigkeit. Man wird sehen, ob das ein Vorgeschmack auf die kommenden vier Jahre war oder ob sich wieder einmal der alte Spruch bewahrheiten wird, dass das Amt den Mann formt, der es ausfüllt, ihm also ein Format beschert, das er davor nicht hatte.

Der Wohlstand wartet an der nächsten Ecke

Gabriel Over the White House ist auch deshalb so interessant, weil man da beides in einer Person kriegt: Einen Präsidenten, der das von Donald Trump angeblich bekämpfte Establishment repräsentiert und dann einen Präsidenten, der als autoritäre Führerfigur auftritt und - wie Trump - ein auf der Gewaltenteilung basierendes System verachtet, weil da in erster Linie debattiert und nicht gehandelt wird. Als Sprachrohr der Etablierten hat der frisch ins Amt gewählte Hammond keine Lösungen anzubieten, sondern nur Parolen. Am Schluss der ersten Pressekonferenz erinnert er daran, dass seine Partei die Rückkehr zum Wohlstand versprochen habe, als wäre damit alles Nötige gesagt.

Gabriel Over the White House

Die anwesenden Reporter machen den Eindruck, als hätten sie das schon sehr oft gehört. Wenn Herbert Hoover sagen sollte, wie er die Wirtschaftskrise zu überwinden gedenke, versuchte er gern, sich aus der Affäre zu ziehen, indem er auf große Momente der amerikanischen Geschichte verwies und die baldige Wende versprach. Gettysburg war dafür prädestiniert, weil die Lincoln-Rede auf dem Lehrplan amerikanischer Schulen stand (und steht) und von Generationen amerikanischer Schüler auswendig gelernt werden musste (und mancherorts bis heute gelernt werden muss).

Im Pressezimmer fassen zwei Journalisten zusammen, was der Präsident soeben gesagt hat: "Prosperity is just around the corner!" und "America will rise again!". Damit ernten sie einen großen Lacherfolg bei den Kollegen. Das "Hays Office" (die FSK auf amerikanisch) fand solche Dialoge gar nicht komisch. Auf Drängen der Zensoren mussten mehrere der Hoover’schen "Der Wohlstand wartet an der nächsten Ecke"-Parolen, die Jud Hammond ursprünglich zum Besten gab, gestrichen werden. Auch sie hatten gemerkt, wer damit persifliert wurde.

Von einer MGM-Produktion würde man eigentlich am wenigsten erwarten, dass der Präsident solche Sätze sagt und damit sein Publikum amüsiert. Louis B. Mayer, der Studioboss, war ein erzkonservativer Republikaner und ein persönlicher Freund Hoovers, dessen Politik nichts gegen die Depression hatte ausrichten können und der einer der unbeliebtesten Präsidenten aller Zeiten war. Mayer freute sich wie ein Schneekönig, wenn ihn Hoover ins Weiße Haus einlud. Er war einer von ganz wenigen in Hollywood, die sich für eine zweite Amtszeit ausgesprochen hatten. Die große Mehrheit wollte Roosevelt.

Je mehr der Film seine Aktualität betonte, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass man ihn als Kritik an Hoover verstehen würde - und umso größer die Gefahr, dass Mayer intervenieren würde. Wanger ging von Anfang an sehr taktisch vor. Für Carey Wilson als Drehbuchautor dürfte er sich entschieden haben, weil Wilson ein Protegé von Irving Thalberg war. Den bei der MGM als Nebenherrscher fungierenden, Mayer nach Kräften ignorierenden Thalberg als Verbündeten zu haben konnte nicht schaden.

Wilson straffte die Handlung des Romans und baute ein paar Actionszenen ein, damit das Unterhaltungsbedürfnis nicht zu kurz kam. Als nach zwei Wochen ein erster Entwurf fertig war und mit Gregory LaCava der Regisseur feststand ging Wanger zum Zeitungszaren William Randolph Hearst, um ihm das Projekt zu präsentieren. LaCava war mehr im Komödienfach und bei Dramen für primär weibliche Zielgruppen zuhause. Er war also nicht unbedingt der Mann, dessen Name sich einem aufdrängte, wenn man nach einem Regisseur für einen Stoff wie Gabriel Over the White House suchte.

Für LaCava sprach, dass er früher eine Firma namens International Film Service geleitet hatte, die Animationsfilme herstellte. Hearst hatte die IFS gegründet, um die in seinen Zeitungen abgedruckten Comic Strips in Form bewegter Bilder auch ins Kino zu bringen und viel Geld damit verbrannt. Seinem guten Verhältnis zu LaCava hatte das nichts anhaben können. Das gemeinsame Wundenlecken verband die beiden mehr als es sie trennte. LaCavas Verpflichtung half Wanger dabei, den Medientycoon mit an Bord zu holen.

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