Ampeln auf "Rot"
Nawalny und die deutsche "Rechtshilfe"
2528 Rechtshilfeersuchen gingen bei der Berliner Justiz aus Drittstaaten ein. 57 davon bei der Berliner Generalstaatsanwaltschaft. Aber nur vier davon gerieten 2020 in den Blickpunkt öffentlichen Interesses. Die kommen allesamt aus Russland und betreffen den Fall des russischen Staatsbürgers Alexei Anatoljewitsch Nawalny und dessen schwere Erkrankung oder Vergiftung. Am 20. August war Nawalny an Bord eines Flugzeugs zusammengebrochen und in ein Krankenhaus im sibirischen Omsk eingeliefert worden. .
Derzeit erholt sich der russische Oppositionelle, als Staatsgast der Bundesregierung gut bewacht, noch in Deutschland. Zuvor wurde er in der Charité behandelt, wo ihn die Kanzlerin höchstselbst am Krankenbett besuchte. Der russische Präsident Putin hatte auf Bitten von Nawalnys Ehefrau Julija dem Krankentransport nach Berlin zugestimmt.
Hätte er das wohl getan, wären die weiteren diplomatischen Auswirkungen absehbar gewesen? Der russische Außenminister Lawrow sagt dazu in deutlicher Sprache: "Deutschland hat bei einem neuen Konfrontationskurs gegen Russland die führende Rolle übernommen." Für die hiesige Außenpolitik scheint der Fall Nawalny tatsächlich willkommener Anlass gewesen zu sein, die deutsch-russischen Beziehungen zu vergiften. Dafür spricht auch der Besuch Merkels.
Private Gönner hatten zuvor die Kosten für den Transport des Oppositionellen nach Berlin und dessen Krankenhauskosten übernommen. Allein der Flug kostete 79.000 Euro, die vom Unternehmer Boris Zimin beglichen worden. Der Milliardär und "Entrepreneur" unterhält, zusammen mit seinem Sohn, auf den Bahamas die Zimin-Stiftung, auf die er "philanthropisch" einen Großteil seines in Russland erworbenen Vermögens übertrug. In Russland gilt Zimin als "ausländischer Agent".
Die Kosten der Behandlung in der Berliner Charité beliefen sich auf 49.900 Euro. Für diese sind nach Angaben Nawalnys der Unternehmer Evgeny Chichvarkin, der Wirtschaftswissenschaftler Sergej Aleksashenko sowie der IT-Spezialist Roman Iwanow aufgekommen. Gut, wenn man eine Kanzlerin kennt und gute Freunde hat. Vor allem solche mit gefülltem Geldbeutel.
Es wird geprüft …
Keinen Besuch erhielt der prominente Patient dagegen offensichtlich von der Berliner Staatsanwaltschaft. Die hätte nach eigenen Angaben gerne Ermittlungen aufgenommen. Denn im Nawalny-Krimi gibt es viele Unklarheiten. Erfolgte eine Vergiftung mit Tee am Flughafen? Oder mittels Wasserflaschen im Hotelzimmer? Oder doch woanders?
Die Justiz wartete für solche Fragen ab September auf ein "grünes Licht" des Auswärtigen Amts oder des Bundesministeriums der Justiz. Anfragen, ob das grüne Licht gekommen sei, werden vom Berliner Justizsprecher Sebastian Brux heute aber nur noch lapidar beantwortet: "Zum Stand von Rechtshilfeersuchen informieren wir nicht weiter."
Keines der Rechtshilfeersuchen wurde somit auch nach russischen Angaben bisher beantwortet. Dies ist erstaunlich. Denn ebenfalls im September tönte Bundesaußenminister Heiko Maas in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin" noch, er sähe keinen Grund, "einem förmlichen Rechtshilfeersuchen aus Russland NICHT zuzustimmen". Dies teilte Maas auch dem russischen Botschafter mit. Nachvollziehbare Gründe, warum dies bisher nicht so ist, wurden bis heute nicht vorgetragen.
Jegliche Nachfragen dazu wimmelt die Bundesregierung bei Pressekonferenzen stets ab. Auch der RT-Reporter Florian Warweg kann ein Lied davon singen. Woche für Woche erhält er auf gezielte Nachfragen die immer gleichen Antworten diverser Regierungssprecher: Man sage nichts. Im Übrigen sei dies alles Sache der Berliner Justiz. Die aber ihrerseits auf besagtes grünes Licht wartet und auch sonst gerne den Ball ins Feld der Bundesregierung zurückspielt.
Das aktuelle Pingpong geht also so: Auswärtiges Amt: Fragen Sie die Berliner Berliner Justiz. Berliner Justiz: Fragen Sie das Auswärtige Amt. Auswärtiges Amt: Fragen Sie das Bundesministerium der Justiz. Bundesministerium der Justiz: Zum Stand des Verfahrens nehmen wir keine Stellung. Derzeit alle gemeinsam: Wir verweisen auf unsere bisherigen Antworten und auf die Regierungspressekonferenz vom 6. 11. 2020 (Seite 23).
Leider hilft auch dieser Verweis nicht wirklich weiter. Im Gegenteil werden weitere Nebelkerzen geworfen: Die russischen Ersuchen seien an die Berliner Landesjustiz weitergeleitet worden. Diese Weiterleitung bedeute "allerdings noch keine Bewilligung der Ersuchen".
Als Voraussetzung wurde dazu aus den Bundesministerien nachgeschoben, in der Russischen Föderation sei "noch kein formelles Ermittlungsverfahren zur Aufklärung des "Verbrechens" eröffnet worden". Dies wird von Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Außenministeriums, scharf zurückgewiesen. Sie spricht von einer "provozierenden Verweigerung der Kooperation". Von der Hand zu weisen ist dies angesichts des Verhaltens der deutschen Behörden nicht.
Selbst auf die einfache Frage, auf welcher (internationalen) Rechtsgrundlage denn diese jetzt schon monatelange Verweigerung gegenüber den russischen Stellen beruht, will die Bundesregierung keine Antwort geben. Dabei ist das Gesetz über die "Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG)" in seinen §§ 59ff eindeutig formuliert. Die Rechtshilfe könnte geleistet werden. Selbst Spontanauskünfte, beispielsweise gegenüber der russischen Botschaft, wären gemäß der Richtlinien zum Gesetz (RiVaSt) möglich.
Man könnte also, wenn man denn wollte. Lieber will man aber, aus welchen unbekannten oder sonstigen Gründen auch immer, weiterhin prüfen, prüfen und nochmals prüfen. Auch eine neuerliche Antwort der russischen Generalstaatsanwaltschaft wird jetzt aktuell durch das Bundesamt für Justiz "geprüft". In der Zeit steht das grüne Licht weiterhin auf Rot. Und die fragwürdige Behauptung von den "russischen Nebelkerzen" (Maas) wird politisch wie medial aufrecht erhalten.