Andrea Nahles: Bürgergeld statt ALG II - Kosmetik statt Veränderung

Grafik: TP

Die SPD versucht, ihr seit der Agenda 2010 beschädigtes Image zu korrigieren. Die Vorschläge zum Thema ALG II bleiben dabei jedoch vage.

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Seit unter Gerhard Schröders Ägide der "größte Niedriglohnsektor Europas" in Deutschland geschaffen wurde, ist das soziale Profil der SPD beschädigt. In regelmäßigen Abständen, besonders in Wahljahren, versucht die Partei, dies zu ändern, so z.B. im Fall Martin Schulz. Während viele meinten, dass Martin Schulz Änderungen bei ALG II ankündigte, sprach er doch nur davon, dass Menschen länger ALG I beziehen sollten, wenn sie länger einer Erwerbsarbeit nachgegangen sind. Es wurde der hart arbeitende Malocher in Deutschland beschworen, der der SPD so am Herzen liege.

Seit Martin Schulz sich als nur kurzfristig loderndes Feuer der SPD-Erneuerung herausgestellt hat, wurde es ruhig um das Thema ALG I und II. Andrea Nahles hat die Diskussion nun neu entfacht, doch wer sich eine Erneuerung erhofft oder gar eine Abkehr vom Denken, dass die Erwerbsarbeit des Zentrum des Lebens sein soll, der wird enttäuscht. Dies sagt Andrea Nahles auch ganz deutlich: "Wir wollen ein Recht auf Arbeit - und eben nicht ein Recht auf bezahltes Nichtstun. Das ist die exakt entgegengesetzte Logik."

Belohnungen und Sanktionen

ALG II soll dabei, auch wenn es ggf. einen neuen Namen bekommt, durchaus erhalten bleiben. Und auch die Sanktionen sollen zwar "weitgehend" wegfallen, doch der vage Begriff ist mit Absicht gewählt, denn das neue System soll mit Zuckerbrot und Peitsche gleichermaßen arbeiten. Sanktionen und Belohnungen schweben Andrea Nahles vor. Dabei sollen die Sanktionen nicht mehr das Existenzminimum antasten, wobei Frau Nahles das Wort "soziokulturell" geschickt umschifft. Für eine besonders gute Mitwirkung sollen aber auch Belohnungen für die Leistungsempfänger möglich sein, wobei auch hier Frau Nahles nicht weiter ausführt, wie sie sich dies vorstellt.

Ihre gesamte Überlegung zum Thema Bürgergeld und Arbeitslosengeld Q (wie Qualifikation) wirkt im Spiegel-Interview wie eine Aneinanderreihung von Floskeln, ähnlich wie sie auch Martin Schulz gerne nutzte. Da ist von der "Umkehr des Menschenbildes" in Bezug auf ALG II die Rede, von einem "zugewandten" Weg, den das Bürgergeld geht, von "Perspektivenwechsel" und ähnlichem, doch genaue Antworten darauf, wie es funktionieren soll, vermeidet Frau Nahles.

Was auffällt, ist, dass erneut der soziale Arbeitsmarkt als Teil der Lösung herausbeschworen wird. Dabei handelt es sich letztendlich um eine Art Verschiebebahnhof. Die finanzschwachen Kommunen wie auch Privatfirmen sollen Langzeitarbeitslose einstellen und erhalten dafür finanzielle Anreize - im ersten Jahr werden 100% der Lohnkosten übernommen, in den folgenden Jahren sinkt der Zuschuss um je 10%. Inwiefern sich diese Neuerungen. von den bisherigen Modellprogrammen für Langzeitarbeitslose unterscheiden, wird nicht näher ausgeführt.

Das Interview im Spiegel zeigt dabei nicht nur die Schwächen der Argumentation der Frau Nahles auf, es dient auch als Beleg dafür, wie gerade durch die Fragen, die die Journalisten nicht stellen, alles hinreichend vage bleibt um damit als Partei mit sozialem Profil hausieren zu gehen, ohne aber zu konkret zu werden.

Zwar spricht Frau Nahles von einer Grundsanierung, doch auch ihre Ideen kratzen nur an der Oberfläche, sind kosmetische Reparaturen. Weiterhin wird den drängenden Fragen, inwiefern der Mensch nicht in Arbeit gepresst werden muss um sich als wertvoll zu empfinden, keinerlei Beachtung geschenkt, sondern die Erwerbsarbeit als Lebensmittelpunkt zelebriert. Die SPD führt damit die Arbeit Gerhard Schröders fort, auch wenn sie davon spricht, ganz andere Perspektiven zu wollen.