Angeblicher georgischer Scharfschütze: "Wir waren schon im März 2013 in Kiew"

Seite 2: Alle mit Waffen hätten geschossen

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Auf der dritten Reise, dann schon während des Euromaidan, habe Mamulashvili jedoch die Pässe der Gruppe eingesammelt und sie - offenbar mit Hilfe des ukrainischen Grenzschutzes - durch die Kontrolle am Flughafen geleitet. Auf dem Maidan angekommen, sei es Revazishvilis Aufgabe gewesen, die Spezialpolizei Berkut so oft wie möglich zum gewalttätigen Eingreifen gegen die Protestierenden zu provozieren. Schließlich sei ihm und seiner Gruppe, die in einem "georgischen Zelt" lebte, um den 15. Februar herum mit dem ukrainischen Oppositionspolitiker Sergej Pashinsky ein neuer Kommandeur zugeordnet worden.

Dieser habe die Gruppe direkt ins Konservatorium geführt, wo er sie und andere dort anwesende Kämpfer am Morgen des 19. Februar mit Gewehren und Munition versorgte. Als Grund sei die mögliche Erstürmung des Gebäudes durch Berkut genannt worden. Es wurden jedoch keine Scharfschützengewehre sondern vor allem Karabiner verteilt, sagt Revazishvili. Er selbst habe kein Gewehr bekommen, im Gegensatz zu seinem georgischen Kameraden David Kipiani der einen SKS-Karabiner erhielt.

Ein Schütze mit Gewehr feuert am 20. Februar vom Umlauf des Konservatoriums am Maidan. Bild: Screenshot YouTube

Am Morgen des 20. Februar habe Pashinsky dann überraschenderweise das wahllose Schießen auf Berkut und Maidananhänger befohlen. Und Pashinsky hat auch selbst geschossen, betont der Interviewte. Alle, die Waffen hatten, hätten gefeuert. Revazishvili selbst will nicht geschossen haben. Hundertprozentig deutlich wird dies aber auch in dem Gespräch aufgrund einer Aussage im Konjunktiv nicht. Womöglich will er sich auch nicht selbst belasten.

Danach seien alle aus dem Konservatorium geflohen. Revazishvili sei so schockiert und durcheinander gewesen, dass er nur noch im Zelt blieb. Als er vom Tod seines Mitstreiters David Kipiani erfuhr, habe er den bösen Verdacht bekommen, dass nun die "Reihen gesäubert" würden. Revazishvili sei daraufhin ohne jemanden zu informieren, direkt zum Flughafen gefahren und nach Tiflis zurückgekehrt.

Waffen ausdrücklich abgelehnt

Genauso Hals über Kopf seien auch die beiden anderen interviewten Georgier Koba Nergadze und Zalogy Kvarateskelia geflohen, erzählen sie in ihrem Interview mit dem mazedonischen Journalisten. Sie erlebten die Schüsse jedoch ihren Aussagen zufolge vom Hotel Ukraina, wo sie gewohnt hatten. Am 18. Februar, zwei Tage vor dem Massenmord, sei Pashinsky zu ihnen gekommen und habe Waffen ausgegeben. Neben Kalaschnikows und Karabinern sei auch ein europäisches Gewehr mit Zieloptik für Scharfschützen dabei gewesen, erläutert Koba Nergadze, der laut seiner Auskunft bis 2006 in der georgischen Armee als Ausbilder tätig war.

Nergadze habe die Waffen für sich und seine Gruppe ausdrücklich abgelehnt und sei darüber am folgenden Tag sogar in Streit mit Mamulashvili geraten. Auch hierbei sei die Waffenausgabe mit einem möglichen Sturm Berkuts auf das Hotel begründet worden. Aber Mamulashvili habe da auch bereits angekündigt, Chaos durch Schüsse in die Menge auszulösen.

Er sagte, dass uns ein schwieriger Tag bevorsteht und dass es eine Schießerei geben wird. Und diese Schießerei sollte 15 bis 20 Minuten dauern. Mamulashvili sagte, wir sollten keine vorgezogenen Präsidentenwahlen zulassen. Ja, sie wollten vorgezogene Präsidentenwahlen nicht zulassen. Politik ist nicht meine Angelegenheit und ich habe mich nicht eingemischt. Ich habe ihm gesagt, dass ich meinen Leuten nicht erlaube, zu schießen oder überhaupt nur Waffen in die Hände zu nehmen. Die Leute aus meiner Gruppe haben das gehört. Danach haben sie auch gesagt, dass sie die Waffen nicht nehmen.

Nergadze

Von ihnen habe deshalb auch niemand geschossen, sagen Nergadze und Kvarateskelia. Demgegenüber hätten Ukrainer und Litauer, die ebenfalls in dem Hotel stationiert waren, die Waffen genommen und geschossen. Nach den Schüssen seien alle aus dem Hotel geflohen. Am Ausgang habe Nergadze einen der Männer von Pashinsky und Paruby getroffen, der ihm drohend gesagt habe: "Verschwindet schnell, damit es keine Probleme gibt." Beide Georgier flogen noch am selben Tag zurück nach Tiflis.

Einreise mit gefälschten Pässen

Ursprünglich seien beide Interviewten in getrennten georgischen Gruppen im Dezember beziehungsweise im Januar nach Kiew gekommen. Sie hätten für die Einreise gefälschte Pässe unter den Decknamen Georgi Karuzanidse (Nergadze) und David Kapanadze (Kvarateskelia ) erhalten. Nergadze, der in Saakaschwilis Schutz- und Sicherheitsdienst gearbeitet habe, sei direkt von Mamulashvili angeworben worden. Kvarateskelia hingegen, der früher in der Nationalgarde Georgiens diente, sei mit rund zehn weiteren Georgiern einem öffentlichen TV-Aufruf Mamulashvilis in Georgien gefolgt.

Milenko Nedelkovski (links) im Interview in seinem TV-Studio mit Koba Nergadze (Mitte) und Zalogy Kvarateskelia. Bild: Screenshot YouTube

Sie seien ausdrücklich als eine Art Ordner für die Demonstrationen angeheuert worden. Die Georgier sollten, so Nergadze, dafür sorgen, dass es zu keinen Gewalttätigkeiten und Provokationen komme.

Wir sollten den Leuten helfen und dort als Sicherheitsleute auf die Ordnung achten. Von Waffen hat niemand was gesagt. Also wir sollten eine friedliche Mission in der Ukraine ausführen, um dem ukrainischen Volk zu helfen. Diese Aufgabe gab uns Mamuka Mamulashvili.

Nergadze

Alle georgischen Gruppen seien von Befehlshabern des "Sonderkommandos" unter anderem namens Kikabidze und Makischwili geleitet worden. Dieses Kommando sei eine Unterabteilung des Schutz- und Sicherheitsdienstes gewesen und habe Micheil Saakaschwili während dessen Präsidentschaft direkt unterstanden. Nach Saakaschwilis Amtszeit, die am 17. November 2013 also kurz vor Beginn des Maidan endete, sei auch das "Sonderkommando" aufgelöst worden. Alle Gesprächspartner benutzen zur Bezeichnung der Einheit den deutschen Begriff "Sonderkommando".

Um den 16. Februar herum sei Saakaschwili ins Hotel Ukraina gekommen und habe den Männern einen US-Amerikaner namens Brian als US-Militärausbilder vorgestellt. Dieser habe später Mamulashvili beim Überbringen des Schießbefehls begleitet, und für den kommenden Tag bereits die Schüsse aus dem Konservatorium angekündigt. Saakaschwili habe den Männern zudem nach Ende der Aktion hohe Posten in Georgien versprochen.

Beschuldigte wehren sich

Wie der Autor dieser Zeilen bereits in einem Artikel vom 24. November berichtete, wehren sich die von den drei Georgiern belasteten Personen gegen die Anschuldigungen. Der Militärkommandeur Mamuka Mamulashvili verdächtigt den russischen Geheimdienst FSB als Urheber der italienischen Reportage. Der Saakaschwili-Vertraute Koba Nakopia schlägt in dieselbe Kerbe und bezeichnete den Beitrag als "russischen Propagandafilm".

Saakaschwili selbst äußerte sich auf Facebook und sprach von "Goebbelsscher FSB-Propaganda". In seinen Augen steckten russische Langzeitagenten in Georgien und der georgische Oligarch, Gasprom-Aktionär und politische Saakaschwili-Konkurrent Bidsina Iwanischwili hinter den Anschuldigungen wie auch Wladimir Putin und Silvio Berlusconi. In Moskau sei man besorgt über Saakaschwilis politische Bewegung in der Ukraine und schlage nun mit allen Mitteln zurück.