Angela Merkel: "Zu sehr Wessi für den Osten, zu sehr Ossi für den Westen"
"Schicksalsjahre einer Kanzlerin": Die ehemalige Bundeskanzlerin als Miniserienheldin der ARD. Der Sender verpasst eine Chance zur Vermittlung des politischen Erbes.
Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug ...
Bertolt Brecht
Zum 70. Geburtstag macht die ARD der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Geschenk: Eine Serie, die auf die Karriere Merkels zurückzublicken versucht.
Angela Merkel wirkt als Mensch sympathisch. Ob sie tatsächlich sympathisch ist, das ist auch nach den gut zweieinhalb Stunden dieses Films, der ARD-Serie "Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin", schwer zu sagen.
Man will bei den Machern (diverse ARD-Sender) mit der Serie erklärtermaßen ein junges Publikum umwerben, der "Sissi"-hafte Titel dürfte aber nicht diese jungen Zuschauer vor den Bildschirm bringen, sondern eher deren Großeltern hinter dem Ofen hervorlocken.
Musik, Splitscreens und ein YouTuber
Für das, was ARD-Redaktionen offenbar immer noch für Jugendlichkeit halten, sorgen viele, viele Splitscreens, die aber nicht parallelisieren, konterkarieren und untereinanderlegen, sondern meist das gleiche Bild vervielfachen, also auch etwas sinn- und fantasielos eingesetzt sind, und andere Bild-Effekte, besonders quietschbunte Rahmen, die das Bild verkleinern, aber auf dem Telefonbildschirm bestimmt gut aussehen.
Diese Bilder werden über weite Strecken mit Musik zugegossen. Manchmal etwas platt: Zu Beginn, ziemlich früh, läuft der Stones-Song "Angie", etwas später Cyndi Lauper "Girls just wanna have fun", noch später Kate Bush: "Running up that hill". 1970er- und 1980er-Jahre-Musik also.
Der Gesamteindruck ist dann in etwa so jung wie der öffentlich-rechtliche Jugend-Kanal "Funk". Es werden also doch wieder die Zuschauer "50 plus" werden, die sich das ansehen. Das hat den Vorteil, dass die sich auch an Angela Merkel erinnern, auch an die Zeit, als sie noch "Kohls Mädchen" war.
Die werden dann aber wieder jene Figuren nicht kennen oder von ihnen genervt sein, die uns neben einigen echten Zeitzeugen dann als Vertreter der Sicht der "Generation Merkel" (ARD) Angela Merkel erklären sollen: Samira El Ouassil, Marina Weisband, Carla Reemtsma und Tilo Jung, sowie ein Youtuber, der sich "LeFloyd" nennt, der zwei Jahre alt war als die Mauer fiel und über Sachen redet, die er gar nicht miterlebt hat.
Das geht alles selten über Banalitäten hinaus. El Ouassil hat etwas mehr, aber nicht wirklich viel zu sagen, und Weisband gefällt sich leider so sehr, dass sie andauernd grinst, während sie versucht ernste, intelligente Antworten zu geben. Zudem ist Weisband zu sehr eine unpolitische und naive Idealistin, als dass sie Merkel verstehen könnte.
Merkel hat nicht mitgemacht
In gewissen Sinn muss man sagen: Der Hauptvorwurf, den man dem Film machen kann, ist seine Unentschiedenheit. Er ist weder poppig noch seriös, sondern irgendetwas dazwischen. Er ist weder ganz oberflächlich noch irgendwie richtig tief.
Er hat keine These. Er ist nicht lang genug, um umfassend zu sein, er ist nicht kurz genug, um sich einfach skizzenhaft auf einen einzigen Aspekt wirklich zu konzentrieren, sondern er will dann doch irgendwie das Ganze darstellen.
Und sich so richtig an die Jungen anzubiedern, traut sich die ARD dann auch nicht.
Merkel selbst hat nicht mitgemacht bei diesem ersten größeren Fernsehfilmporträt. Man hört sie in Form von öffentlichen Gesprächsausschnitten und O-Tönen, die sie hier und da gesagt hat. Viele Fotos.
Interessantes Originalmaterial
Die erste Folge ist leider die schwächste. Fast alle tonangebenden Zeitzeugen müssen da irgendwie einmal vorgestellt werden, deswegen wirkt alles sehr rastlos. Angela Merkel ist einfach plötzlich da in dem Film, man erfährt nicht wirklich, wo sie herkommt, es bleibt sehr oft alles beim Fotoalbum, auch später.
Interessant wird es immer da, wo dem Originalmaterial im Dokumentarischen vertraut wird, wo Merkel selbst oder manche der Menschen, die sie wirklich begleitet haben, zu Wort kommen, wie Thomas de Maizière, der Merkel erkennbar schätzt und die besten Antworten gibt, oder Evelyn Roll oder Angelika Kramp-Karrenbauer.
Und dazwischen dann Leute wie die Atlantikerin, Ukraine-Versteherin und Politikwissenschaftlerin Claudia Major, die vor dem Ukraine-Krieg niemand kannte, jetzt aber Merkels Außenpolitik bewerten soll.
Danach wird es besser, die forcierte Jugendlichkeit nimmt ab,
Zu sehr von der Gegenwart aus gedacht – Merkels Russland-Politik
Weil die Serie allerdings viel zu sehr von der Gegenwart aus und aktualistisch gedacht ist, kommen Putin und angebliche Versäumnisse Merkels in der Russland-Politik viel zu viel vor, wobei das Minsker Abkommen ebenso undifferenziert abgelehnt wird – "Worte statt Waffen" könnte man ernst nehmen –, wie die übrige Entspannungspolitik gegenüber Russland.
Der Film setzt sich auch auf das Narrativ, nach dem der Krieg in der Ukraine bereits 2014 begonnen hat.
Die Finanzkrise von 2008 dagegen und ihre Folgen bleiben ausgespart, die Griechenland-Krise, die Koalitionen kommen kaum mit einem Wort vor. Keine Politiker aus anderen Parteien als der CDU. Es geht nur um Angela Merkel als Person.
Aber Merkels großer Humor wird nicht herausgearbeitet – allenfalls erkennt man ihn, wie sie ihren zu "In Zeiten wie diesen" durchdrehenden CDUlern die Deutschlandfahne aus der Hand nimmt.
Merkel hat die AfD groß gemacht
Angedeutet wird immerhin, dass es Merkel war, die die AfD überhaupt erst groß gemacht hat. Ohne die Flüchtlingspolitik von 2015 wäre die AfD vermutlich verschwunden.
Warum-Fragen werden nicht beantwortet; das wird auch gar nicht versucht, sondern Geschehnisse werden skizziert, Fakten ausschnittweise illustriert.
Dazu treten Menschen auf, die die junge Zielgruppe noch gar nicht mal mehr vom Hörensagen kennt, sondern mit Kinderbuch-Charakteren verwechseln wird, wie Roland Koch (Räuber Hotzenplotz) und Edmund Stoiber (Petrosilius Zwackelmann).
Nur selten versucht der Film, was gute Biografien tun: Seine Protagonististin besser zu verstehen, als sie sich selbst. Dann hätte er die pragmatischen Risikoabwägungen und Techniken der Macht, die Angela Merkel beherrscht hat, verteidigen und dem Publikum erklären müssen.
Die pragmatische Kanzlerschaft
Die Resultate liegen auf der Hand: Die Inflation war niedrig in ihrer Kanzlerschaft, die Energiekosten auch. Deutschland exportierte nach Russland und nach China. Warum eigentlich Zumutungen? Warum Risiken eingehen?
Ihre Kanzlerschaft war eine pragmatisch gesehen gute Zeit und das lag auch am internationalen Respekt, den sich diese Kanzlerin erarbeitet hatte.
Distanz der Westdeutschen
Regisseur Tim Evers erzählt aber nicht nur von der öffentlichen Persona Angela Merkels in öffentlichen Bildern und der Wahrnehmung mancher – letztlich etwas willkürlich ausgewählter – Menschen; er erzählt auch vom Ankommen einer Ostdeutschen in der westdeutsch geprägten Bundesrepublik, einem Ankommen, das auch nach über 30 Jahren und allein 16 Jahren Kanzlerschaft nicht beendet war.
Evers zeigt, wie Merkel in einer ihrer letzten Reden als Kanzlerin zugibt, darunter zu leiden, dass man ihr dieses Angekommen-Sein nicht zugestehen will, dass man sie in Westdeutschland immer noch als eine Art "gelernte Bundesrepublikanerin" und gelernte Europäerin sieht.
Da wird dann nochmal deutlich, dass man diese langweiligen, ziemlich oft idiotischen Kommentare von Menschen, die die Kanzlerin als Kinder und Jugendliche erlebt haben, nicht braucht, jedenfalls bestimmt nicht in dieser Fülle.
Vor allem interessant ist es, die alten Dokumente zu sehen. Sie machen den Film sehenswert. Natürlich könnte man sie sich länger anschauen, ausführlicher zeigen.
"Verpanzerte Schildkröte"
Kleine Thesen gibt es doch: "Zu sehr Wessi für den Osten, zu sehr Ossi für den Westen, und dann auch noch Frau" heißt es einmal. Insofern blieb Angela Merkel eine Außenseiterin, die sie nicht sein wollte, eine "Unberührbare", aber auch "Unfassbare", vor allem eine, die keine Schwäche zeigen wollte. Das machte sie aber andererseits schwach.
Evelyn Roll sagt, gegen Ende ihrer Amtszeit habe sie zunehmend einer "verpanzerten Schildkröte" geglichen. Aber Merkel war eben auch jemand, die ihre Illusionen verloren hat. Am Ende spricht sie von der "Einsicht, dass die glücklichen Stunden nicht der Normalfall der Geschichte sind."
Die fünfteilige Miniserie "Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin" ist in der ARD-Mediathek abrufbar.