Angela Merkel betreibt Wahlkampf auf dem Rücken der europäischen Jugend
Mit einer Mammutkonferenz in Berlin will die Bundeskanzlerin die Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpfen
Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa ist dramatisch. Ein wesentlicher Auslöser für die steigende Arbeitslosigkeit ist die maßgeblich von der Bundesregierung vorangetriebene Sparpolitik, die die Volkswirtschaften in den Krisenländern in die Rezession getrieben und zahlreiche Arbeitsplätze vernichtet hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat das selbst geschaffene Problem nun als Wahlkampfthema entdeckt und gibt die große Kümmerin. Doch obwohl die Fehler ihrer Politik mittlerweile offensichtlich sind, hält sie daran fest. Was bleibt, ist eine große Wahlkampfshow.
Mit einer Mammutkonferenz in Berlin will die Bundeskanzlerin die Jugendarbeitslosigkeit in Europa bekämpfen: Alle Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten hat sie dazu nach Berlin ins Bundeskanzleramt geladen, dazu noch die Arbeitsminister und die Chefs der nationalen Arbeitsagenturen. Sie alle tagen parallel auf drei Konferenzen. Das Signal, welches Merkel setzen will, ist eindeutig: Deutschland geht nicht nur beim Kampf gegen die Staatsverschuldung voran, sondern kümmert sich auch um die sozialen Probleme in Europa. Das Treffen finde statt, weil es ein großes, bedrückendes Problem in Europa gebe, leitet Merkel die Konferenz mit ihren Amtskollegen ein.
Bereits im Vorfeld der Konferenz erklärte Merkel: "Schön wäre, die Jugendlichen in Europa merken mal, dass wir was tun." Dabei merken die Jugendlichen das schon längst – in Form von Rekordwerten bei der Jugendarbeitslosigkeit. Insgesamt 5,6 Millionen Jugendliche in der EU stehen derzeit ohne Perspektive da.
Eine Grafik der Bundesregierung zeigt das Ausmaß der Katastrophe: Im Durchschnitt der 27 EU-Staaten hat nahezu jeder vierte Jugendliche keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz, während Deutschland, Österreich und die Niederlande mit Werten zwischen 8,1 und 9,5 Prozent noch am besten dastehen. Schon in Dänemark sehen die Werte mit 14,1 Prozent jedoch alles andere als rosig aus. Irland, das sich nach seiner Krise als Musterschüler feiern lässt, weil es ohne zu murren die Reformen und harten Sparmaßnahmen, die die EU dem kleinen Land auferlegt hat, erduldete und umsetzte, weist eine Jugendarbeitslosigkeit von bedrückenden 30,4 Prozent aus. In Spanien und Griechenland, den Ländern, die wohl am schärfsten unter der Krise und dem europäischen Spardruck zu leiden haben steht die Quote sogar bei 53,2 beziehungsweise 55,4 Prozent.
Wenn Merkel auf der Konferenz sagt, es müsse nun darum gehen, wie man die Wirtschaft wieder in Gang bringe, dann heißt das jedoch keinesfalls, dass die Kanzlerin aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und nun umsteuert. So erklärte sie gegenüber der Süddeutschen Zeitung, die Lehre sei, "dass derjenige, der die Strukturen auf Wettbewerbsfähigkeit ausrichtet, mittelfristig auch wieder zu Wachstum kommt". Dass besonders die Jungen und Armen leiden, tue ihr leid, und dass die Reichen, die mit mehr Engagement viel bewirken könnten, so wenig Verantwortung übernehmen, sei sehr bedauerlich.
Weitere Flexibilisierung des Arbeitsrechtsß
Merkel klingt nicht wie eine Regierungschefin, die sich dafür einsetzt, die Verursacher der Krise am Wiederaufbau der Wirtschaft zu beteiligen. Stattdessen suggeriert sie den von der Krise gebeutelten jungen Menschen mit dieser Haltung, dass sie ihre Situation geduldig hinnehmen müssten. Ganz nebenbei kündigt sie zudem einen weiteren Angriff auf Arbeitnehmerrechte in Europa an, angeblich zum Wohle der Jugendlichen:
So ist es zum Beispiel nicht klug, wenn das Arbeitsrecht in manchen Ländern nur für junge Leute flexibilisiert ist, nicht aber für Ältere, die schon lange Arbeit haben. Das befördert in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Jugendarbeitslosigkeit.
Bereits Anfang Februar hatten sich die EU-Sozialminister darauf verständigt, sechs Milliarden Euro zur Schaffung neuer Arbeits- und Ausbildungslätze bereitzustellen sowie eine "Beschäftigungsgarantie" für Jugendliche einzuführen. In der vergangenen Woche hatte der Europäische Rat dieses Ziel noch einmal bekräftigt, wobei dies in der Öffentlichkeit teils so aufgefasst wurde, als handele es sich um ein neues oder zusätzliches Programm. Tatsächlich ist jedoch unklar, wie genau das Geld eingesetzt werden soll. Ebenso nebulös bleibt, wie die EU erreichen will, dass tatsächlich jeder arbeitslose Jugendliche innerhalb von 4 Monaten ein Angebot für einen Job, eine Aus- oder Weiterbildung erhalten soll, wie im Februar zugesichert.
Die Erklärung der EU-Arbeitsminister und des Kommissars für Arbeit, die auf Merkels Jugendbeschäftigungskonferenz angenommen wurde, soll dieses Manko nun ausräumen. Das erklärte Ziel sei es, "sicherzustellen, dass allen jungen Menschen unter 25 Jahren innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos werden oder die Schule verlassen, eine hochwertige Arbeitsstelle oder Weiterbildungsmaßnahme oder ein hochwertiger Ausbildungs- bzw. Praktikumsplatz angeboten wird".
Erreicht werden soll dies durch "strukturelle Reformen" zur "Verbesserung der Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt" und zur "Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit" - Floskeln, hinter denen sich aller Erfahrung nach der weitere Abbau von Sozialstandards wie Kündigungsschutz und Mindestlöhnen in Europa verstecken. Zugleich ist jedoch auch davon die Rede, dass durch eine "koordinierte Politik" die Gesamtnachfrage gefördert und produktive Investitionen erhöht werden sollen. Was sich dahinter verbergen soll, bleibt jedoch unklar, zumal Deutschland nach wie vor Haushaltskonsolidierung als primäres Ziel gesetzt hat und damit ein eher investitionsfeindliches Wirtschaftsklima schafft.
Es soll Fortschritte geben, die Kanzlerin wollte aber keine Ziele angeben
Im Papier der Arbeitsminister finden sich zudem Maßnahmen, um die Qualifikation der Jugendlichen zu verbessern, um Schulabschlüsse nachzuholen oder einen Berufsabschluss zu erwerben. Weiterhin soll es befristete Lohnkostenzuschüsse geben, ein Kreditprogramm soll Anreize schaffen, Jugendliche einzustellen und der Einstieg in die Selbständigkeit soll gefördert werden. Zudem gelten Praktika und öffentlich geförderte Beschäftigung als Ansatz zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Damit geht das Programm aber großzügig darüber hinweg, dass nicht etwa mangelnde Qualifikation der Jugendlichen, sondern die Rezession in den Krisenländern Ursache für die Jugendarbeitslosigkeit ist. Inwieweit kurzfristige Lohnzuschüsse und öffentliche Beschäftigung einen Impuls geben können, die Arbeitslosigkeit langfristig zu senken, ist ebenfalls nicht klar.
Das konkrete Ziel lässt die Kanzlerin auf der Abschlusskonferenz im Unklaren. Mit der großen Konferenz habe man erhebliche Erwartungen geweckt, mit denen man sich unter Druck setzen wolle, so Merkel. Beim nächsten Treffen müsse es Fortschritte geben. Auf die Frage, ob es eine Zielmarke gebe, die zu einem bestimmten Termin erreicht werden soll, antwortet die Kanzlerin allerdings ausweichend. Es könne nicht gesagt werden, was genau geschafft werden könne. Versprechen, die nicht gehalten werden können, wolle sie nicht abgeben. Was bleibt, ist der Eindruck einer großen Showveranstaltung, bei der die Staats- und Regierungschefs der anderen EU-Länder sowie deren Arbeitsminister die Statisten der Kanzlerin im Wahlkampf sind.
Kritik von DGB und SPD
Getrübt wurde Merkels Wahlkmapfmanöver jedoch durch zwei Gegenveranstaltungen von DGB und SPD. Vor dem Kanzleramt machte der DGB darauf aufmerksam, dass die europäische Sparpolitik, die Lohnkürzungen und der Sozialabbau für den Einbruch der Nachfrage und damit auch der Wirtschaft verantwortlich seien. Der DGB fordert daher vor allem Zukunftsinvestitionen in Wirtschaft, Bildung und Infrastrutkur nach der Art des Marshall-Plans.
Die SPD lud zu einer zweitägigen Veranstaltung 150 Jugendliche aus der EU nach Berlin ein, um gemeinsam über Wege aus der Arbeitslosigkeits-Krise nachzudenken. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück warf der CDU mit Blick auf Merkels Konferenz vor, sich eher um eine gute Fotogelegenheit als um die Zukunft der jungen Menschen zu kümmern. So lange wie Merkel an ihrer Austeritätspolitik festhalte, werde die Jugendarbeitslosigkeit weiter steigen, so Steinbrück.
Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) griff Steinbrück dafür scharf an. Mit Beschäftigungsverhältnissen auf Pump streue er den Jugendlichen Sand in die Augen. Die SPD habe nicht erkannt, dass Strukturreformen entscheidend seien, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, warb Rösler für eine Fortsetzung des bisherigen Kurses.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe griff die Sozialdemokraten ebenfalls für ihr verbales Abrücken von der Sparpolitik an. "SPD und Grüne zeigen in der Debatte um die Jugendarbeitslosigkeit einmal mehr, dass sie nichts begriffen haben. Wer die Sparanstrengungen in hochverschuldeten Staaten verteufelt und ständig nur nach immer mehr staatlichen Ausgaben ruft, leistet der Jugend in Europa einen Bärendienst."
Dass der Wahlkampfrummel um die Jugendarbeitslosigkeit am Ende auch den Betroffenen nutzt, darf bezweifelt werden.