Ankara-Attentäter hatten angeblich Verbindungen zum IS

Gut zwei Wochen vor der vorgezogenen Parlamentswahl blühen die Verschwörungstheorien

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Am Samstag töteten zwei Selbstmordattentäter auf einer Demonstration für Frieden zwischen dem Türkischen Staat und der verbotenen Kurdenpartei PKK in der türkischen Hauptstadt Ankara mindestens 99 Menschen und verletzten über 400 teilweise schwer. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, der am Mittwoch Blumen am Tatort niederlegte, sprach nach diesem schwersten Anschlag in der Geschichte des Landes von einem Versagen der Sicherheitsbehörden. Inzwischen wurden die für die Hauptstadt zuständigen Polizei-, und Geheimdienstchefs entlassen.

Die BBC will von türkischen Ermittlungsbehörden erfahren haben, dass es sich bei einem der Täter - Yunus A. - um den untergetauchten Bruder von Abdurrahman A. handelt - des Mannes, der am 20. Juli in der Stadt Suruç über 30 junge Kurden in die Luft sprengte. Dieser Bruder des Suruç-Attentäters soll ebenso wie sein Mittäter Ömer D. Verbindungen zum Islamischen Staat (IS) gepflegt haben. Der Mittäter soll außerdem zwei Mal nach Syrien gereist sein, wo die Terrorgruppe in der Osthälfte des Landes herrscht. Dass die beiden die wahrscheinlichen Täter sind, fanden die Behörden angeblich durch DNA-Untersuchungen von Leichenteilen heraus. Ihre Bombe aus TNT und Metallkugeln soll der in Suruç eingesetzten sehr ähnlich gewesen sein.

Fahndungsfotos der mutmaßlichen Selbstmordattentäter Yunus A. und Ömer D. Bearbeitung: Telepolis

Eine IS-Täterschaft wirft die Frage auf, wie die angeblichen Attentatsankündigungen zweier Twitter-User zu bewerten sind, die nach dem Anschlag festgenommen wurden. Die Behörden werfen den beiden Verbindungen zur PKK vor und untersuchen, ob sie tatsächlich von dem bevorstehenden Anschlag wussten oder einfach eine der (auf Twitter nicht seltenen) Falschinformationen verbreiteten, die sich nachher zufällig als richtig herausstellte.

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu hält auch eine heimliche Zusammenarbeit von IS und PKK für möglich. Die wäre aus drei Gründen bemerkenswert: Erstens propagieren die beiden Organisationen inkompatible Ideologien. Zweitens gilt die PKK als Schwester- oder Mutterorganisation der syrisch-kurdischen PYD, die sich seit langem schwere militärische Gefechte mit dem IS liefert. Und drittens waren die Teilnehmer der Demonstration in Ankara, auf der der Anschlag verübt wurde, vor allem Kurden. Allerdings sollen auch die beiden A.-Brüder, die die Selbstmordanschläge durchführten, ethnische Kurden gewesen sein (die es auch in den Reihen der Dschihadisten gibt).

Auf kurdischer Seite spekuliert man dagegen über eine Verwicklung türkischer Behörden und der Regierungspartei AKP in die Anschläge, ohne dafür jedoch Belege vorlegen zu können. Den Vorwurf, dass die Polizei die Demonstranten nach dem Anschlag mit Tränengas beschoss, entkräfteten die Sicherheitsbehörden mit dem Argument, dass sie auf andere Weise keine Rettungsgassen für die Krankenfahrzeuge freimachen konnten.

Dass die Verschwörungstheorien sprießen, liegt auch daran, dass es in der Türkei in gut zwei Wochen vorgezogene Neuwahlen gibt: Sie wurden nötig, weil die AKP bei den regulären Wahlen im Juni nicht nur ihr Ziel einer verfassungsändernden Mehrheit zur Umwandlung der Türkei in ein Land mit Präsidialsystem, sondern auch eine absolute Parlamentsmehrheit zur Regierungsbildung verfehlte. Dass das geschah, lag auch daran, dass die Kurden- und Linkspartei HPD die für den Einzug in das Parlament geltende Zehn-Prozent-Hürde deutlich übersprang.

Aufgrund der auf Seiten der AKP ohne besonderen Enthusiasmus geführten Sondierungsgespräche mit der HDP und den anderen beiden Oppositionsparteien vermuteten Beobachter, dass die Regierungspartei von Anfang an auf Neuwahlen gesetzt und darauf spekuliert haben könnte, dass ihr die Wähler dann um der Stabilität willen mehr Stimmen geben.

Ob diese Rechnung aufgeht, wird sich am 1. November zeigen: Umfragen, die nach dem 10. Oktober durchgeführt wurden, sind noch nicht bekannt. Vor dem Ankara-Anschlag kam die AKP (die bei der Wahl im Juni bei 40,7 Prozent landete) auf Werte zwischen 38,9 und 44,7 Prozent. Die Kurdische HDP - im Juni bei 13 Prozent - erreichte Werte zwischen 11,5 und 14,6 Prozent. Bei der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP, die bei der letzten Wahl auf 25,1 Prozent kam, gab es in den Umfragen mit Werten zwischen 24,8 und 27,7 Prozent eher Abweichungen nach oben als nach unten. Wähler abziehen könnte die AKP durch ihr hartes Vorgehen gegen die PKK eventuell von der nationalistischen MHP, bei der am 7. Juni 16,5 Prozent der Wähler ihr Kreuz machten und deren Umfrageergebnisse im letzten Monat zwischen 12,9 und 17,9 Prozent stärker nach unten als nach oben abwichen.

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