Ankaras Zweifrontenkrieg
Der Aussöhnungskurs zwischen der Regierung in Ankara und der kurdischen Minderheit ist beendet, die Nato schweigt
Kurz vor seiner Abreise zu einem Staatsbesuch nach China, hat Präsident Erdogan nicht nur den Friedensprozess mit der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) de facto aufgekündigt, sondern auch anderen politischen Gruppierungen, wie beispielsweise der gemäßigten Kurdenpartei HDP, die bei den Wahlen kürzlich große Erfolge feierte, Schwierigkeiten angedroht. So verlangt er nun die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten, um sie wegen ihrer "Verbindungen zu Terrorgruppen" den "Preis zahlen" zu lassen.
Weiter verkündete Erdogan, dass die Türkei ihre Militäreinsätze gegen IS-Stellungen in Syrien genauso wie gegen PKK-Lager im eigenen Land und im Nordirak fortsetzen werde. Während die Nato auf Betreiben Ankaras zu einer Sondersitzung zusammentrat, erklärte Erdogan: "Es ist nicht möglich, einen Lösungsprozess fortzuführen mit denjenigen, die die Einheit und Integrität der Türkei untergraben."
Erdogan erwähnte allerdings nicht, dass IS über ein reichhaltiges Waffenarsenal verfügt, welches im wesentlichen von Saudi-Arabien, den Golf-Emiraten, Katar und Kuweit finanziert und mit voller Zustimmung der Regierung von Ankara über Anatolien nach Syrien eingeschleust wurde, was den Aufstieg dieser Terrorbrigaden erst ermöglichte.
Auch die Vertreter der 28 NATO-Staaten, die in Brüssel tagten, schwiegen sich über ihre Mitverantwortung an dieser Tragödie natürlich aus, die mit der massiven Aufrüstung Saudi-Arabiens durch die Rüstungsschmieden des Westens für die Weltöffentlichkeit eindrucksvoll belegt wurde. Stattdessen gab Nato-Generalsekretär Stoltenberg schwammige Solidaritätserklärungen in Richtung Ankara ab, wobei es nicht zu überhören war, dass das Vorgehen des türkischen Partners gegen den kurdischen Separatismus für große Unruhe sorgt, da kurdische Verbände in Syrien als Nato-Alliierte im Kampf gegen IS fungieren.
In diesem Zusammenhang soll noch einmal daran erinnert werden, dass der Aufstand gegen das Assad-Regime in Syrien erst dann zum Durchbruch kam, als entlang der etwa tausend Kilometer langen Grenze zur Türkei , die von der Regierung Erdogan in ihrer ganzen Länge geöffnet und unter Missachtung jeglicher internationalen Vereinbarungen als Einfallstor für das aus Saudi-Arabien gelieferte Waffenarsenal genutzt wurde. Ebenfalls sickerten aus der Türkei ganze Divisionen von Dschihadisten in Nordsyrien ein , so dass das Assad-Regime die Herrschaft über die Region verlor.
Die Nato-Strategen schwiegen zu dieser betrüblichen und gefährlichen Entwicklung, offiziell mit der Begründung, dass die sogenannte Freie Syrische Armee, von der heute niemand mehr spricht, militärisch gegen das Assad-Regime aufgerüstet werden müsste.
Führende Politiker des Westens wurden damals nicht müde, den Sturz des Assad-Regimes von Damaskus zu propagieren, welches gewiss nicht den westlichen Vorgaben von Parteien -und Meinungsvielfalt entspricht, aber dennoch die einzige säkulare Staatsform der arabischen Welt darstellt und gemessen an der religiösen Toleranz sich vorteilhaft von manchen westlichen Verbündeten in der Region unterscheidet.
Der damalige französische Außenminister Alain Juppé entblödete sich nicht, gemeinsam mit seinem saudischen Amtskollegen Saud Ben Feisal vor die Fernsehkameras zu treten, um gemeinsam mit diesem Vertreter einer der reaktionärsten islamischen Theokratien überhaupt die syrische Regierung zur Einhaltung von Menschenrechten zu mahnen.
Erdogans Einmischung in die politischen Wirren seiner arabischen Nachbarschaft ist gescheitert. Selbstverständlich hat Ankara das Recht seine Grenzen zu schützen, Terrorismus zu bekämpfen und die territoriale Integrität der Türkei zu garantieren. Auch eine außenpolitische Strategie, die der Größe und dem Potential der Türkei Rechnung trägt, wäre wünschenswert.
Die Türkei bewegt sich ja schon lange in einem Spannungsfeld von Säkularismus und islamischer Renaissance, von Aufstieg zur Regionalmacht bis hin zu Separationsbestrebungen. Die innenpolitischen Erfolge der Regierung Erdogan, welche den Lebensstandard großer Teile der Bevölkerung dramatisch erhöhten und weite Teile des Landes modernisierten, blieben außenpolitisch aus.
Erdogan ist aber keineswegs am Ende. Die herben Stimmenverluste der AKP sind eher ein Ausdruck für die verfehlte Außenpolitik des türkischen Staatspräsidenten. Flankiert von alten Kalifatsträumen überschätzte die Regierung ihre Einflussmöglichkeiten in der arabischen Welt, wo noch die Erinnerung an das osmanische Joch lebendig ist.
Erdogans angekündigte Strategie eines Zweifronten-Krieges gegen Kurden und IS ist riskant. Möglicherweise mag der türkische Präsident die Hoffnung hegen, diese militärischen Interventionen könnten sein angekratztes innenpolitisches Image wieder aufpolieren, kurzfristig mag diese Strategie sogar aufgehen, langfristig gerät die Türkei damit aber in eine Zerreißprobe, die Erdogans Bilanz als Politiker nachhaltig schädigen dürfte und die Region weiter entflammen lässt.