Anne Frank, Hans Dominik und Theodore Dreiser

Was 2016 gemeinfrei wird. Teil 2 - Die Literatur

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Zu Teil 1 - Die Ideologen

Das bekannteste literarische Werk, das 2016 gemeinfrei wird (oder werden sollte) ist das Tagebuch der 1929 geborenen und 1945 in Bergen-Belsen gestorbenen Jüdin Anne Frank. Sie schrieb es nach Angaben ihres überlebenden Vaters Otto Frank, als sie sich zusammen mit ihrer Familie zwischen 1942 und 1944 in einem Amsterdamer Hinterhaus versteckte. Dieses Tagebuch erschien 1947 auf Niederländisch und später in zahlreichen Übersetzungen. Insgesamt wurde es bislang dreißig Millionen Mal verkauft.

Schulfoto von Anne Frank (1940)

Gegen Personen, die mutmaßten, er habe das Tagebuch selbst geschrieben, zog Otto Frank ab 1959 mehrfach vor Gericht. Um so bemerkenswerter ist, dass der 1963 von ihm gegründete Anne Frank Fonds nun behauptet, der Vater habe das Werk mit verfasst. Würden Gerichte die kurz vor Ablauf der Urheberrechtsschutzfrist geäußerte Behauptung bestätigen, dann könnte die Stiftung die Veröffentlichungen des Tagebuchs noch bis 2051 kontrollieren und Geld dafür verlangen - Otto Frank starb nämlich erst 1980.

Ob Gerichte das so sehen, ist allerdings fraglich: In den Prozessen aus den vergangenen Jahrzehnten wurden nämlich auch die handschriftlichen Manuskripte untersucht - und Sachverständige stellten dabei fest, dass es nur geringfügige Korrekturen gab - weit unterhalb der Schwelle, die man als Redakteur täglich in eingereichten Texten vornimmt.

Die Hauptarbeit Otto Franks bestand danach vor allem im Weglassen von Teilen, die die erwachende Sexualität seiner Teenager-Tochter, ihr offenbar angespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter und womöglich auch ihn selbst betrafen. Letzteres ist allerdings Spekulation, weil nur die Teile zur Sexualität und zur Mutter in den handschriftlichen Originalen erhalten sind. Wegen der Stellen zur Entdeckung von Anne Franks Sexualität wird das Werk heute teilweise als "[kinder]pornographisch" angegriffen und zensiert (vgl. Amerikanische Mutter gegen Anne Frank).

Hans Dominik

Von den deutschsprachigen Schriftstellern, deren Werk am 1. Januar 2016 gemeinfrei wird, dürfte der am 9. Dezember 1945 verstorbene Science-Fiction-Pionier Hans Dominik Telepolis-Leser am meisten interessieren. In seinen zahlreichen Werken hat Dominik kaum eine Erfindung und Entwicklung ausgelassen, die man sich zu seinen Lebzeiten vorstellen konnte: Von der 1927 vorweggenommenen Kernspaltung (Der Brand der Cheopspyramide) über Tarnkappentechnologie (Unsichtbare Kräfte), Gedankenübertragung (Befehl aus dem Dunkel), künstliches Leben (Lebensstrahlen) und Raumfahrt bis hin zur Begegnung mit Außerirdischen (Das Erbe der Uraniden).

Der studierte Ingenieur veröffentlichte zwischen 1901 und 1945 eine vierstellige Zahl von Texten - darunter nicht nur Romane (von denen er auf dem Höhepunkt einen jährlich veröffentlichte), sondern auch technische Sachbücher, Kurzgeschichten, Artikel, Anleitungen und Werbetexte. Die Gemeinfreiheit eröffnet die Möglichkeit, dass auch die bislang schwer oder gar nicht zugänglichen Teile seines Werks neu entdeckt werden können. Ein Wiederentdeckung verdient beispielsweise seine 1907 erschienene Kurzgeschichte Die Nahrung der Zukunft, in der ein junger Chemiker einem alten Mann, der auf "natürlich" erzeugten Lebensmitteln beharrt, erklärt, aus welchen Molekülen sich diese zusammensetzen.

Zu seinen interessantesten Werken zählt Dominiks Roman Atlantis, in dem es darum geht, dass der Golfstrom versiegt, als eine Vergrößerung des Panamakanals nicht mit der von Wissenschaftlern empfohlenen sicheren Methode, sondern aus Kostengründen mit einer billigeren durchgeführt wird. Neben Ingenieuren und Hard Science-Fiction gibt es in Atlantis, in dessen (noch bekannterem) Prequel Die Macht der Drei und in vielen anderen seiner Bücher aber auch viel Mystizismus, der meist ganz unterhaltsam untergebracht ist. Anders verhält es sich mit Dominiks Frauenfiguren, von denen man oft den Eindruck hat, dass er sie nur deshalb einbaute, weil Verleger oder Publikum danach verlangten.

Bei Werken Dominiks muss beachtet werden, dass sie in verschiedenen Fassungen erschienen, von denen möglicherweise nicht alle gemeinfrei sind, wenn Bearbeiter oder deren Erben Beiträge mit eigener Schöpfungshöhe geltend machen. In Atlantis machte man zum Beispiel in späteren Auflagen aus der chemischen Sprengung des Isthmus von Panama eine atomare.

Theodore Dreiser

Der international bedeutendste Schriftsteller, dessen Werk 2016 gemeinfrei wird, ist der US-Amerikaner Theodore Dreiser. Dessen erster Roman Sister Carrie war bei seinem Erscheinen ein Misserfolg, gilt aber heute als eines seiner wichtigsten Werke. Wie Émile Zola und andere Naturalisten schuf Dreiser für seine Figuren eine Umgebung, in der sich ihr Unglück wie von selbst entwickelt, wenn man den Druck von Außen erhöht. Dabei muss das Unglück nicht unbedingt materieller Natur sein: Auch die Titelfigur Carrie Meeber ist am Ende des Romans nicht zufrieden, obwohl sie eine erfolgreiche Schauspielerin wird und nicht - wie die männliche Hauptfigur George Hurstwood nach dem Ende zweier Ehen vom bürgerlichen Wohlstand in die Obdachlosigkeit abrutscht und Selbstmord begeht.

Theodore Dreiser

Dreisers anderes bekanntes Werk ist An American Tragedy - ein Buch, dass das Time-Magazin 2005 zu den 100 besten seit 1923 erschienenen englischsprachigen Romanen zählte. Auch hier entstammt die Hauptfigur Clyde Griffiths ärmlichen Verhältnissen und bekommt (in diesem Fall als Page in einem Luxushotel) vor Augen geführt, dass es auch anders ginge. Doch beim gesellschaftlichen Aufstieg, der mit einer Tätigkeit in der Fabrik seines Onkels und der Bekanntschaft mit der Fabrikbesitzerstochter Sondra Finchley in greifbare Nähe gerückt scheint, kommt ihm eine Affäre mit einer jungen Arbeiterin in die Quere, die von ihm schwanger wird. Bei einer Bootsfahrt ermordet er sie zwar nicht aktiv, lässt sie aber (innerlich zerrissen und zögernd) ertrinken, wofür er später verurteilt und hingerichtet wird.

Dass der Schriftsteller am 28. Dezember 1945 starb, kann man auch als Gnade sehen: Dreiser hatte nämlich in den 1920er Jahren nicht nur die Sowjetunion bereist - er war von ihr auch so begeistert dass er sich der Kommunistischen Partei der USA anschloss. Deren Mitglieder wurden in den späten 1940er und 1950er Jahren nicht nur auf Schwarze Listen gesetzt, sondern auch vor dem Ausschuss für Unamerikanische Umtriebe zitiert, wo sie andere KP-Mitglieder nennen sollten. All das blieb dem 1871 geborenen Sohn eines Auswanderers aus der Vordereifel erspart.

In Teil 3 geht es um Wissenschaftler, Musiker und Künstler, deren Werk 2016 gemeinfrei wird

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