"Anschein der Modernität"
Seite 3: "Demokratiefeindliche Predigten"
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Ich bin in den 80er Jahren in der BRD aufgewachsen und da war der Spruch "Türken raus!" wahrlich kein Exot unter den Graffities. Außerdem wurde jahrzehntelang von der Politik realitätsfern behauptet, Deutschland sei kein Einwanderungsland und angenommen, dass die Türken in wenigen Jahren Deutschland wieder verlassen. Deswegen hat man sich auch nicht um die Organisation und Zusammensetzung der Islamverbände geschert. Sind das nicht auch Gründe für die Entstehung einer Parallelgesellschaft?
Tuba Sarica: Ich sehe ebenfalls die Islamverbände als Hauptverantwortliche an. Sicherlich wäre es gut gewesen, diese zu kontrollieren beziehungsweise stärker im Dialog mit ihnen zu stehen. Dass man staatlich nicht gründlich kontrolliert, gibt ihnen nicht das Recht, etwa demokratiefeindliche Predigten zu veranstalten und die Integration zu hemmen. Das haben meiner Ansicht nach viele Islam- und Integrationsverbände getan: Nicht für, sondern gegen die Integration gearbeitet.
Für die Zukunft bin ich deswegen sehr dafür, dass Islamverbände verstärkt unter die Lupe genommen werden. Besonders kritisch sehe ich die DITIB. Da ist fraglich, ob ein Dialog etwas bringt. Die DITIB ist der deutsche Ableger der Diyanet, also dem Amt für Religionsangelegenheiten in der Türkei, das dem türkischen Präsidenten obliegt - und der aktuelle Präsident ist nun mal antidemokratisch. Die Diyanet ist sogar der Meinung, Mädchen seien schon im Alter von 9 Jahren geschlechtsreif.
"Die türkischen Medien verzerren das Bild über die Realität in der Türkei"
Welche Rolle spielen die türkische Politik und ihre Medien bei den Deutschtürken?
Tuba Sarica: Die türkische Politik hat sich lange gar nicht für die in Deutschland und Europa lebenden Türken interessiert. Sie fielen höchstens in den Sommerferien in der Türkei mit ihrem universellen Kleidungsstil unangenehm auf und waren Anlass für Parodien von türkischen Comedians.
Erdogan hat auch erst spät in seiner Amtszeit die Deutschtürken als Wählerschaft entdeckt. Inzwischen greift er all die Probleme der Deutschtürken auf und macht sie sich zunutze - zum Beispiel die Art, ihre Kinder zu undemokratischen Menschen zu erziehen, ihren ungesunden Umgang mit Liebe und Sexualität und vor allem ihre Fremdenfeindlichkeit, speziell gegen die Deutschen.
Die innerhalb der Vetternwirtschaft der Erdogan-Regierung aufgekaufte Medienlandschaft erzeugt zudem ein verzerrtes Bild von der Wirklichkeit, demzufolge es den Menschen in der Türkei gut gehe. Schaut man für eine halbe Stunde türkisches Fernsehen an, möchte man meinen, dort gebe es die beste Demokratie aller Zeiten, die türkische Gesellschaft sei überaus aufgeklärt und zeige sich sensibel für Themen wie Frauenrechte, Gewalt und Meinungsfreiheit.
Gleichzeitig vermitteln neben den Nachrichten und sämtlichen Fernsehserien auch quotenstarke Live-Unterhaltungsshows am Nachmittag, in denen die Schicksale von Studiogästen tränenreich inszeniert werden, den Eindruck einer gefährlichen und bösen Welt außerhalb der vertrauten Community, vor der man sich besser schütze und abschirme.
Aufgrund des durch die türkischen Medien verzerrten Bildes über die Realität in der Türkei wehren die Deutschtürken jede Art von Kritik gegenüber der Erdogan-Regierung ab und sehen den tatsächlichen Zustand, in dem sich das Land befindet, nicht. Auch sehen sie nicht, dass die Menschen in der Türkei momentan beispielsweise für alle möglichen Dinge des Alltags das fünffache bezahlen müssen - sei es für Tomaten oder ihre Miete.
"Rückschrittliches Weltbild trotz Sprache und Schulbildung"
Sie schreiben, dass fehlende Bildung, nicht der Grund für Integrationsprobleme sei. Wie meinen Sie das?
Tuba Sarica: Bildung ist essentiell, keine Frage - aber leider ist Schulbildung allein kein Garant für eine gelingende Integration, genauso wenig wie das Beherrschen der deutschen Sprache allein ausreicht, um sich vollständig zu integrieren. Ich beobachte immer wieder bei sehr vielen Deutschtürken, die akzentfrei deutsch sprechen und sogar zur Uni gehen, wie rückschrittlich ihr Weltbild trotz Sprache und Schulbildung ist. Selbst auf dem Campus habe ich bei den deutschtürkischen Studenten während meines Studiums Integrationsverweigerung erlebt.
Etwa habe ich zufällig, während ich auf eine Vorlesung wartete, ein Gespräch zwischen zwei deutschtürkischen Studentinnen mitangehört, die darüber sprachen, was sie wohl tun würden, wenn in Deutschland der Djihad ausbreche. Als sei dieser Gedanke nicht schon abwegig genug, waren sich die beiden einig: Sie würden als Muslima und Türkinnen gegen die Deutschen kämpfen.
"Tendenz zu einer autokratisch ausgerichteten Politik"
Nach Ihrem Buch sind die Familienstrukturen der Deutschtürken und damit auch ihre Art von Erziehung ein riesiges Problem. Warum?
Tuba Sarica: Familien in der Parallelgesellschaft sind häufig traditionell patriarchalisch ausgerichtet und damit gilt das Recht des Stärkeren. Gleichzeitig werden Kinder und Heranwachsende von Erwachsenen weder ernst genommen, noch beantwortet man ihnen ihre Fragen. Wenn man den Bogen zur Politik spannt, geht damit auch eine Tendenz zu einer autokratisch ausgerichteten Politik einher, die ich an vielen Stellen beobachte. Diskurs und Konfrontation, die zur Demokratie dazugehören, sind ihnen zu anstrengend und werden vermieden. Mit einem solchen familiären Umgang, erzieht man Kinder meiner Meinung nach nicht zu demokratischen Menschen.
Auch dürfen viele deutschtürkische Mädchen in jungen Jahren keinen Freund haben. Sie wachsen mit dem Gefühl auf, Liebe sei etwas Böses. Sie dürfen ihren Eltern erst dann jemanden vorstellen, wenn sie gleichzeitig die Verlobung bekanntgeben. Das führt dazu, dass junge Frauen selbst in einer Zeit, in der die Zwangsehe eigentlich kein Thema mehr ist, viel zu früh heiraten. Ich finde, dass der Mehrheitsgesellschaft viele junge Individuen auf diese Weise verlorengehen. Denn eigentlich könnten jene, die mit zwei unterschiedlichen Kulturen leben, eine große Bereicherung für die Gesellschaft darstellen.
Sie haben ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu Deutschland. Was denken sie über die Mordserie des NSU und den Prozess?
Tuba Sarica: Die NSU-Mordserie ist meiner Meinung nach ein schreckliches Beispiel für fremdenfeindlich motivierten Terrorismus. Vor allem aber der unsägliche Umgang des Verfassungsschutzes mit dem Fall ist unseres Rechtsstaates unwürdig. Deswegen bin ich heilfroh über das Urteil gegen Beate Zschäpe. Auch bin ich dafür, dass der Fall nie vergessen und alle verantwortlichen Personen ausfindig gemacht und vor Gericht gestellt werden sollten. So etwas darf nie wieder passieren.
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