Anschlagsplan mit einer Bio-Bombe mit Rizin

Seite 2: Einsatz der ABC-Abwehr

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Seit dem "11. September" wuchs die Gefahr eines Megaterrorismus, da Terrorgruppen wiederholt in den Besitz von ABC-Waffen gerieten oder sich solche zu beschaffen suchten. So wurden bereits 2001 in einem Quartier der al-Qaida Pläne zur Herstellung von Rizin entdeckt, darin hieß es: "Handschuhe und Gesichtsmasken sind wichtig zur Herstellung von Rizin. Todeszeit variiert zwischen 3-5 Tagen als Minimum und 4-14 Tagen als Maximum."

Um diese potentiell-exorbitante Gefahr abzuwehren, hatte die deutsche Bundesregierung mehrfach versichert, man würde alles Notwendige tun. So wurden bei mehreren Berufsfeuerwehren so genannten Analytische Task Forces (ATFs) aufgebaut, die für ABC-Lagen entsprechend ausgerüstet und ausgebildet sind und im Umkreis von 200 km jede Lage beherrschen sollten. Der Fall Hammami zeigte jedoch, dass die Regierungspropaganda von der Realität weit entfernt ist.

Um die 0,0843 Gramm Rizin am 12. Juni 2018 sicherzustellen, mussten bundesweit gleich vier Spezialeinheiten aufgeboten werden: An der Aktion waren das Robert-Koch-Institut in Berlin, das Bundeskriminalamt in Meckenheim, die Analytische Task Force (ATF) der Berufsfeuerwehr Köln, die Analytische Task Force (ATF) der Berufsfeuerwehr Dortmund und die Analytische Task Force Biologie (ATF-B) der Berufsfeuerwehr Essen beteiligt. Die ATFs in Köln, Dortmund und Essen bilden zusammen die so genannte "ATF NRW". Die Feuerwehr in Köln war durch diesen gefährlichen Bio-Einsatz so überfordert und verunsichert, dass sie es nicht einmal wagte, eine Presseerklärung herauszugeben.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin ist bundesweit für die Seuchenbekämpfung zuständig. Bereits 1996 gründete das RKI ein "Outbreak Investigation Team", um im Falle einer Epidemie den Landes- bzw. Kommunalbehörden im In- und Ausland Amtshilfe bei der Seuchenbekämpfung zu leisten. Bis zu zehnmal im Jahr muss diese "schnelle Eingreiftruppe" aus RKI-Wissenschaftlern mit Laptops, Handys, Fragebögen und Laborgerätschaften ausrücken, wenn in einer Kleinstadt oder an einer Schule eine Infektionskrankheit ausgebrochen ist. Nach dem "11. September" wurde beim Institut ein Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene (ZBS - vormals: Zentrale Informationsstelle für Seuchenabwehr und Bioterrorismus [ZIBS]) am Standort Seestraße eingerichtet. Das ZBS ist u. a. für die Beschaffung von Spezialtechnik, Beratung bei Einsätzen und der Durchführung von Übungen zuständig. Dazu heißt es von Seiten des Robert-Koch-Institutes:

ZBS 3 bearbeitet Forschungsprojekte im Bereich der Diagnostik, Epidemiologie, Risikobewertung und Pathogenese von Erkrankungen, die durch bakterielle und pflanzliche Toxine verursacht werden. Primär stehen die Toxine Rizin, Botulinum Neurotoxine sowie Staphylokokken Enterotoxine im Fokus. Anhand einer Palette eigener hoch spezifischer Antikörper werden moderne Array-basierte Detektionsverfahren für Toxine entwickelt, die im Labor sowie zur vor-Ort-Detektion eingesetzt werden. Darüber hinaus werden funktionelle, massenspektrometrische und molekularbiologische Techniken etabliert, um die Toxine bzw. Toxin-Gene im Multiplex-Format aus komplexen Matrices zu erfassen. Angewandte Forschungen richten sich auf die Untersuchung der Stabilität, Variabilität und Funktionalität der genannten Toxine. ZBS 3 bietet darüber hinaus seine Referenztätigkeit bei Botulismus bzw. Rizin-Intoxikationen an.

RKI

Außerdem verfügt das Fachgebiet ZBS 5 des Instituts seit 2017 über ein Hochsicherheitslabor (BSL-4) in Berlin-Wedding (Seestraße Nr. 10). Nach Hamburg und Marburg ist dieses das dritte Speziallabor in Deutschland.

Ansonsten ist der Katastrophenschutz Ländersache und liegt vor allem in den Händen der Berufsfeuerwehren und Hilfsorganisationen. Für den Sonderschutz bei ABC-Lagen wurden in den letzten zehn Jahren Spezialkräfte aufgestellt. Diese Analytischen Task Forces (ATFs) sind auf sieben Stützpunkte in der BRD (Berlin, Hamburg, Heyrothsberge, München, Mannheim, Köln [seit 2009] und Dortmund [seit 2010]) verteilt und sollen im Umkreis von jeweils 200 Kilometern eingesetzt werden. Zur Ausstattung einer ATF gehören vier Spezialfahrzeuge: Einsatzleitwagen (ELW 1 ATF), Gerätewagen (GW ATF), ABC-Erkundungskraftwagen 2 (ABC-ErkKW ATF) und Abrollbehälter-Analytik (AB-Analytik ATF).

In der Theorie sollen die ersten Kräfte der Feuerwehr und des Rettungsdienstes rund 8 Minuten nach einem Gefahrgutunfall am Einsatzort - noch ohne ABC-Schutz - eintreffen. Die ersten Aufklärungsergebnisse der ABC-Erkunder der lokalen Feuerwehr sollen nach 30 Minuten vorliegen und nach rund 50 Minuten sollen die Dekon-P mit der Dekontamination der ersten Opfer beginnen. Nach rund 2 bis 3 Stunden soll die nächstgelegene ATF mit ihrer Spezialtechnik zur Verstärkung angerückt sein, um den Gefahrstoff genauer zu identifizieren, damit geeignete Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können. Außerdem sollen die Rettungskräfte vor Ort durch ein oder mehrere der 61 Medical Task Forces (MTF) verstärkt werden, die über besondere Kapazitäten zur Verletztendekontamination verfügen. ATFs und MTFs bilden die so genannte "Kernkomponente" des CBRN-Ausstattungskonzeptes.

Zwar sind die ATFs theoretisch für alle ABC-Lagen zuständig, in der Praxis waren sie aber vor allem für radiologische und chemische Lagen ausgerüstet und ausgebildet. Die Abwehr einer Bio-Lage gestaltet sich weit schwieriger: Erst nach und nach erhielten die ATFs - im begrenzten Umfang - auch eine spezielle Ausstattung, um bei Bio-Lagen eingesetzt werden zu können, so wurden die Einheiten vor drei Jahren mit einem Bio-Probeentnahmeset ausgerüstet.

Bereits die Schutzkommission beim Bundesinnenministerium hatte offiziell auf die "Bio-Lücke" hingewiesen:

Anders als bei der Eindämmung konventioneller, atomarer oder chemischer Angriffe auf die Öffentlichkeit sind die Sicherheitsbehörden auf den terroristischen Einsatz biologischer Kampfstoffe nur unzureichend vorbereitet. Das hohe Gefahrenpotential derartiger Agenzien erfordert kurzfristige Entscheidungen mit weitreichenden Folgen für das öffentliche Leben (Quarantäne, Betriebsstilllegungen, Massenimpfungen). Gleichzeitig gestaltet sich die Erkennung von biologischen Kampfstoffen schwierig. Insbesondere die zeitliche Latenz, mit der Effekte von Biokampfstoffen sichtbar werden, macht eine direkte Verifizierung von Anschlägen unmöglich. Die bloße Ankündigung eines dann nicht durchgeführten Anschlages beziehungsweise die Simulation eines Anschlages mit harmlosem Material stellt nach den Erfahrungen vom Herbst 2001 (reihenweises Auftreten potenziell milzbrandsporenhaltiger Gegenstände) eine Standardsituation im Kontext des Bioterrorismus dar.

Eine vorsorgliche Abriegelung betroffener Gebiete und die Isolierung einer Vielzahl potenziell betroffener Personen bringt dabei einen erheblichen ökonomischen und psychologischen Schaden mit sich und ist möglicherweise das primäre Ziel eines Angreifers. Sichere und schnelle Labortests, die eine sachgerechte Gefahrenbeurteilung ermöglichen, stehen derzeit erst im Zeitraum von Tagen an wenigen spezialisierten Einrichtungen (Robert-Koch Institut, Bernhard-Nocht Institut, verschiedene Universitätsinstitute) zur Verfügung. Die begrenzten Kapazitäten dieser Einrichtungen und die langen Transportzeiten für den Probenversand machen dabei das mehrfache Auftreten von Angriffsdrohungen an verschiedenen Orten (wie geschehen im Herbst 2001) zu einem nicht mehr zu bewältigenden öffentlichen Notstand. Die dezentrale Verfügbarkeit von Testmethoden, die denen der stationären Laboratorien weitgehend entsprechen und von diesen Laboratorien überwacht werden könnten, brächte eine wünschenswerte und erforderliche Kapazitätserweiterung mit sich.

Schutzkommission beim Bundesinnenministerium

Die amtliche Planung sah vor, dass insgesamt vier Spezialeinheiten "Analytische Task Force Biologie" (ATF-B) für Bio-Lagen aufgebaut werden sollten. Tatsächlich existieren mittlerweile drei Einheiten: bei der Berufsfeuerwehr Essen, bei der Berufsfeuerwehr München und in Berlin ein Verbund aus Berufsfeuerwehr, Landeskriminalamt und RKI. Allerdings ist lediglich die Einheit in Essen ist eine tatsächliche Neugründung, bei den beiden anderen Einheiten handelt es sich um einen Ausbau bestehender ATFs. Die Piloteinheit in Essen ist erst seit 2016 voll einsatzfähig. Sie umfasst rund 30 Mann, verfügt über mindestens vier Sonderfahrzeuge und führt jedes Jahr bis zu 15 Einsätze durch. Jede ATF-B ist für ein Gebiet im Umkreis von 300 km zuständig. Im Falle der Kölner Bio-Terroristen konnten die Essener den Kampfstoff schnell identifizieren.

Bei einem Einsatz fordert der zuständige Einsatzleiter der Feuerwehr vor Ort eine ATF-B an, indem er über seine Feuerwehrzentrale eine entsprechende Anfrage an das Lagezentrum des Bundesinnenministeriums in Berlin richtet. Dieses wiederum leitet die Anfrage an das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum (GMLZ) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn weiter, das dann die nächste verfügbare ATF-B alarmiert. Zur Ausstattung der ATF-B wurden in den letzten Jahren spezielle Apparate entwickelt so ein Chemisch-Biologisches Massenspektrometer (CBMS) für Schnellnachweisverfahren für bioterroristische Agentien und das mobile Messgerät "RAZOR EX". Als Dekontaminationsmittel kommt - nach wie vor - die Peressigsäure zum Einsatz. Im Einsatzfall arbeiten die ATF-B - soweit möglich - mit den Universitätskliniken vor Ort zusammen.

Der Einsatz bei Bio-Lagen muss regelmäßig geübt werden, dazu dienen u. a. die Analytische Task Force Exercises (ATFEX). Außerdem behandelte die Länderübergreifende Katastrophenschutzübung "LÜKEX 2013" im November 2013 einen Anschlag mit einer Bio-Waffe (Rizin und Tularämie) in Berlin. Erst am 30. November 2018 - also nach dem Rizin-Fund in Köln - startete ein erster Spezialisierungslehrgang am Institut für Brand- und Katastrophenschutz (IBK) in Heyrothsberge (Sachsen-Anhalt).

Nach der Hausdurchsuchung im Juni 2018 kündigte der Vermieter, die "GAG Immobilien AG" der damals schwangeren Ehefrau die Wohnung fristlos. Der Sprecher des Unternehmens Jörg Fleischer erklärte dazu: "Auf uns kommen nun erhebliche Kosten zu. Die Wohnung, in der die Familie wohnte, muss nun dekontaminiert werden."

Hauptverfahren gegen das Ehepaar Hammami

Am 7. Juni 2019 beginnt der Prozess gegen Sief Allah und Yasmin Hammami vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Kapellweg 36) unter dem neuen Vorsitzenden Richter Jan Reinhard van Lessen (Aktenzeichen: III-6 StS 1/19). Die Anklageschrift umfasst 94 Seiten: Die Eheleute hatten Sprengstoff und Geschosse beschafft, einen Zünder fertiggebaut, eine erfolgreiche Probesprengung durchgeführt und genug Rizinussamen gekauft, um bei einem Bio-Anschlag bis zu 100 Menschen zu töten, berichtete der "Spiegel" ("Tödliche Bohnen") am 18. Mai 2019.

Sief Allah Hammami wird durch Serkan Alkan verteidigt, einen zweiten Pflichtverteidiger wollte er vergeblich loswerden. Das Hauptverfahren dauert voraussichtlich bis zum 30. August 2019. Das Gesetz sieht für die vorsätzliche Herstellung einer biologischen Waffe eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu 15 Jahren (§ 20 Abs. 1 Kriegswaffenkontrollgesetz) und für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren (§ 89a Strafgesetzbuch) vor. Für den Prozess wurden - wie bei Staatsschutzverfahren gegen dschihadistische Gewalttäter üblich - besondere Sicherheitsmaßnahmen angeordnet.

Hintermänner in Tunesien

Am 26. Juli 2018 wurden in Tunesien zwei Männer festgenommen, die Sief Allah Hammami bei seinen Anschlagsplänen unterstützt haben sollen. Eigentlich wollten die beiden Männer nach Syrien ausreisen, aber das hatte nicht funktioniert; daraufhin beschlossen sie, Sief Allah Hammami in Deutschland zu unterstützen. Einer der beiden Festgenommenen wollte zeitgleich mit Hammami in Deutschland einen Anschlag in Tunesien verüben, der andere hatte falsche Papiere für Hammami produziert, damit dieser nach einem Anschlag fliehen konnte.

Nach Angaben des Magazins "Focus" stand Hammami mit den beiden ägyptischen Brüdern (Mohamed M., …) in Kontakt, die ebenfalls an einer Rizin-Bombe arbeiteten und am 11. Mai 2018 in Paris festgenommen worden waren, möglicherweise war er mit den Ägyptern sogar verwandt.

Als Mohammad Abo R. am 15. Oktober 2018 einen Anschlag auf den Außenbereich des Kölner Hauptbahnhofs verübte, ein McDonald's-Restaurant in Brand stecken wollte und in einer benachbarten Apotheke eine Angestellte als Geisel nahm, forderte er von der Polizei die Freilassung von Yasmin Hammami. Der Prozess gegen Mohammad Abo R. wurde im Mai 2019 vorübergehend ausgesetzt, da er bei seiner Festnahme durch einen Kopfschuss niedergestreckt wurde, der nun in einer neurologischen Fachklinik behandelt werden soll.

Der Fall der "Bio-Bomber" beschäftigte mehrfach den Landtag in Düsseldorf. So legte Innenminister Herbert Reul Anfang Juli 2018 einen Bericht ("Vereitelung eines Gift-Terroranschlags durch Festnahme in Köln") mit weiteren Details zum Ermittlungsstand dem Innenausschuss vor.