Antisemitische und rassistische Hooligans des 1. FC Union Berlin

Symbolbild: cottonbro/Pexels

Wie die Führung der DDR rechte Gewalttaten politisch herunterspielte

Am 30. September dieses Jahres spielte zum ersten Mal mit dem Fußball-Club Maccabi Haifa eine israelische Mannschaft gegen den 1. FC Union Berlin im Olympiastadion. Die Anhänger von Maccabi wurden von Union-Hooligans, bedroht und als "Scheiß Juden" beleidigt. Zivilpolizisten konnten verhindern, dass eine Israel-Fahne einer Zuschauerin von einem Union-Fan angezündet wurde.

Für Hooligans des 1. FC Union Berlin war ihre antisemitische Randale im September 2021 nicht der erste und wahrscheinlich auch nicht der letzte Eklat. Bereits in den 1970-er Jahren in der DDR fielen Gruppen von Hooligans des 1. FC Union mit antisemitischen oder rassistischen Pöbeleien und mit gewalttätigen Handlungen auf.

Anfang Oktober 1989

Ein besonderer Vorgang geschah am 7. Oktober 1989, wo überall in der DDR der 40. Jahrestag der Gründung feierlich begangen werden sollte. Jedoch brachen ab der zweiten Hälfte des Jahres 1989 die gesellschaftspolitischen Verhältnisse auf, und ab Anfang Oktober agierten die Sicherheitskräfte (Volkspolizei, Transportpolizei, MfS, NVA, Kampftruppen) mit brachialer Gewalt gegen Demonstrierende.

Anfang Oktober 1989 beförderten insgesamt 14 Sonderzüge der Deutschen Reichsbahn (DR) Botschaftsflüchtlinge aus Prag über Dresden und Karl-Marx-Stadt nach Bayern (Hof). In Dresden kam es in diesem Zusammenhang zu gewalttätigen Zusammenstößen im und vor dem Hauptbahnhof. Zwischen Einheiten der Volkspolizei und Soldaten in Kampfanzügen und 5.000 bis 8.000 "radikalen Rowdys" bzw. "asozialen Elementen" (Punks, Skinheads usw. usf.) kochte die Situation zu Gewalttätigkeiten hoch. Demonstranten zerstörten Glasscheiben des Bahnhofes durch Pflastersteinwürfe, ein Fahrzeug der DVP wurde umgestürzt und mit einer Brandbombe angezündet.

Dagegen setzte die Volkspolizei Wasserwerfer, Tränengas und Schlagstöcke ein. Demonstrierende riefen "Freiheit, Freiheit" und "Deutschland, Deutschland" und es wurde das verbotene Deutschlandlied gesungen.1

Am 6. Oktober 1989 "rotteten" sich im Stadtzentrum Dresdens Personen zusammen und begingen "rowdyhafte Handlungen" und "provokatorisch-demonstrative Störungen". Aus der Menge heraus wurden Steine und Flaschen gegen die Einsatzkräfte geworfen sowie mehrfach "feindliche Losungen" gebrüllt wie: "Schlagt die Kommunistenschweine und hängt sie auf."

Die "erhöhte Aggressivität" bei Demonstranten fand ihren Ausdruck auch darin, dass Eisenstangen und Eisenkugeln geworfen wurden, dass Luftdruckpistolen benutzt sowie Reizsprays und Schlagringe mitgeführt und Schutzhelme getragen wurden.2

Erst durch eine Neuformierung und Verstärkung der Einheiten der DVP konnte, mit der Unterstützung von Soldaten der NVA, eine erneute Ansammlung, spät in der Nacht, "vollständig aufgelöst" werden. Insgesamt wurden 367 Demonstranten "zugeführt" (heißt: festgenommen, HW), unter denen sich sechs Skinheads befanden. Der überwiegende Teil der "Störer" waren Personen von 18 bis 30 Jahren, die im Bezirk Dresden und in den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Leipzig lebten.3 Am 7. Oktober fand in Dresden eine Demonstration mit etwa 4.000 Personen statt, bei der auch die Nazi-Parole "Dresden erwache" gerufen wurde.

Als einer der Züge mit den ehemaligen Botschaftsbesetzern die Stadt Plauen (Bezirk Karl-Marx-Stadt) passierte, sangen Bewohner: "Deutschland, Deutschland über alles …".4

Diese brutalen Straßenschlachten zwischen Demonstranten und den Sicherheitskräften im Herbst 1989 hatten u. a. ihre Vorläufer in der Hauptstadt der DDR, als es dort bereits am 7. Oktober 1977 auf dem Alexanderplatz zu, mehreren Stunden anhaltenden, gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen war.

Berlin, Alexanderplatz am 7. Oktober 1977

Am 7. Oktober 1977 kam es, anlässlich des "Volksfestes" zum 28. Gründungstag der DDR und zum 60. Jahrestag der "Großen Sozialistischen Oktoberrevolution", auf dem Alexanderplatz zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Hooligans mit Einheiten der Volkspolizei.

Die Ausschreitungen gehörten, was Ausmaß und Intensität betrifft, zu den gewichtigsten Straßenkämpfen in der DDR. Neonazis und Hooligans des 1. FC Union Berlin waren durch die Straßen gezogen und riefen "antisozialistische, partei- und staatsfeindliche" Parolen wie z. B. "Russen raus" und "Ras dwa tri - Russen werden wir nie - Nieder mit der Bullen-Elf".

Die Auseinandersetzungen entwickelten sich, als neun Jugendliche gegen 19.00 Uhr, während des Auftritts der Beatgruppe "Express", in einen Lüftungsschacht am Fernsehturm stürzten. Dabei wurden drei Opfer schwer verletzt und sechs leicht.5

Ein Zug der Volkspolizei-Bereitschaften wurde zur Absicherung des Unfallortes, zur Hilfeleistung und Sicherung des Einsatzes von Schnellhilfewagen des DRK eingesetzt. Sie wurden von etwa 100 Demonstranten mit Steinen beworfen, in zwei Fällen wurden Volkspolizisten mit feststehenden Messern bedroht, es wurden Uniform-Mützen verbrannt und in die Luft geworfen, wogegen die Volkspolizei Hunde einsetzte, um die Angreifer in Schach zu halten.

Das MfS ging davon aus, dass "Unter dem Einfluß(sic) der neofaschistischen Welle in der BRD […] einige Personen u. a. faschistische Losungen", wie "Deutschland erwache", "Adolf Hitler - unser großer Führer", "Nieder mit der DDR", "Hängt ihn auf das grüne Schwein" [die Uniformen der DVP waren grün, HW] grölten und mehrfach wurde das "Deutschlandlied" gesungen und die Volkspolizei wurde mit herausgerissenen Pflastersteinen, mit Abfall, mit Feuerwerkskörpern und Papierkörben beworfen.6

Den Sicherheitskräften gelang es erst nach viereinhalb Stunden, gegen 23.30 Uhr, die Menge aufzulösen. 66 Volkspolizisten wurden "erheblich verletzt" und es wurde ein großer Sachschaden verursacht. Mit Ausnahme eines in den Lüftungsschacht abgestürzten Jugendlichen konnten bis Anfang November alle verletzten Volkspolizisten und Jugendlichen aus den Krankenhäusern entlassen werden.7

Insgesamt gab es 83 Verletzte und noch am Abend waren 313 Personen und bis zum 5. November 1977 weitere 155 Personen vorläufig festgenommen ("zugeführt") worden. Es stellte sich heraus, dass die meisten Verhafteten aus den Bezirken Lichtenberg, Köpenick und Treptow kamen; unter ihnen befanden sich 210 Lehrlinge, 98 Facharbeiter, 72 Schüler und 63 sonstige Arbeiter.

Die "Zuführungen" betrafen fast ausschließlich Jugendliche im Alter von 16 bis 21 Jahren, davon gehörten 218 der FDJ" an. Bei der Bekämpfung der Ausschreitungen wurden insgesamt 66 Angehörige der Volkspolizei (5 Offiziere sowie 61 Wachtmeister und Unterführer) verletzt (Platzwunden, Prellungen, Hämatome sowie Schnittwunden). Darüber hinaus wurde durch die Zertrümmerung von Fensterscheiben und andere Sachbeschädigungen Schäden von ca. 50.000 Mark verursacht.8

Nach Informationen der Generalstaatsanwaltschaft der DDR vom 9. Januar 1978 waren insgesamt gegen 183 Personen Ermittlungsverfahren gemäß Rowdytum und Zusammenrottung eingeleitet worden, wovon 163 Personen in Untersuchungshaft genommen wurden. Gegen 77 Personen waren Ordnungsstrafverfahren durchgeführt worden und 207 Personen wurden nach Belehrungen und Verwarnungen aus dem Polizeigewahrsam entlassen.

"Rädelsführer und Initiatoren" sowie "Vorbestrafte und Asoziale" wären mit der "gebotenen Strenge zur Verantwortung gezogen" worden. 95 Täter wurden als "Rädelsführer" zu Freiheitsstrafen zwischen 4 Monaten und 3 Jahren verurteilt, davon wurden 38 Täter zu Freiheitsstrafen über ein Jahr verurteilt. 14 Täter erhielten Jugendhaft und 20 Täter erhielten Strafen auf Bewährung.9

Diese Auseinandersetzungen inspirierten eine Gruppe in Karl-Marx-Stadt, unter ihnen befanden sich vier Vorbestrafte, in eine "Ausbildungsstätte der GST" einzubrechen, um "in den Besitz von Schusswaffen und Munition" zu kommen, mit denen sie zukünftig gegen die Sicherheitskräfte vorgehen konnten. Ein Strafgefangener der StVA in Brandenburg und ein Arbeiter aus Halle fertigten "mehrere Hetzflugblätter mit gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse und führende Repräsentanten der DDR gerichteten bzw. den Faschismus verherrlichenden Losungen […] und verbreiteten diese".10

Die Hooligans des 1. FC Union Berlin

Die Hooligans des 1. FC Union Berlin waren bereits vor diesen gewalttätigen Auseinandersetzungen im Juni und im September 1977 in Erscheinung getreten. Nach der Meinung der Generalstaatsanwaltschaft der DDR handelte es sich bei den Tätern "in der Mehrzahl […] um politisch zurückgebliebene Schüler oberer Klassen der POS und Lehrlinge, vorwiegend des 1. Lehrjahres, die leistungsschwach sind und eine ungenügende Einstellung zur Arbeit und zum Lernen aufweisen".

Die verurteilten 95 Täter wären als "Rädelsführer" besonders aktiv gewesen und besonders "Vorbestrafte und Asoziale" wären für ihr Verhalten "mit der gebotenen Strenge zur Verantwortung gezogen" worden.

In den Medien wurde der politische Charakter der Auseinandersetzungen damit vertuscht, es hätte sich hier nur um "Rowdytum" gehandelt, d. h. diese Ausschreitungen in Berlin seien Vorkommnisse gewesen, die nach einer Sportveranstaltung stattgefunden hatten.11

Jedoch war das öffentliche Statement gegen die Sowjetunion eine politische Äußerung und mit "Bullenelf" wurde die gegnerische Elf vom BFC Dynamo Berlin getroffen, an dessen Spitze sich der Minister für Staatssicherheit befand. Von den Tätern gehörten bis zu 50 Prozent "zum negativen Anhang des 1. FC Union Berlin".12

Bürger, die sich über "Rowdytum" in Berlin äußerten, wurden durch die SED "aufgeklärt", es hätte sich lediglich um Ausschreitungen nach einer Sportveranstaltung gehandelt. In einer weiteren Information der SED-BL Berlin vom Ende Oktober 1977 wurden Gerüchte über die angebliche "Anzahl der Toten" aufgegriffen.