Antisemitismus: Zunahme mit "Coronabezug"
Die Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien verzeichnete 2021 Rekordhoch bei antisemitischen Übergriffen in Österreich
Was antisemitische Übergriffe anbelangt, hat Österreich einen neuen Höchststand erreicht. Im Jahr 2021 wurden der Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien (IKG) 965 Vorfälle gemeldet, was einen Anstieg von mehr als 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (585 Vorfälle) ausmacht. Zugleich handelt es sich um einen Rekordwert seit Beginn der Dokumentation vor 20 Jahren.
Juden im Zentrum von Verschwörungsmythen rund um die Impfkampagne
Unter anderem hebt der Bericht der Israelitischen Kultusgemeinde hervor, dass es einen Zusammenhang zwischen den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie und judenfeindlichen Hassaktionen gibt:
Mit jeder Verschärfung von Corona-Maßnahmen infolge steigender Infektionszahlen und Hospitalisierungen geht auch ein markanter Anstieg des Antisemitismus mit Coronabezug einher. (…) Insbesondere der Monat November stellte alles bislang Dagewesene in den Schatten. Hier waren der erneute Lockdown sowie die Verkündung einer geplanten Impfpflicht ausschlaggebend. (…)
Die schon 2020 kreierten "Judensterne" sowie "Impfen macht frei"-Varianten wurden durch weitere Vergleiche mit der Judenverfolgung der Nazis ergänzt.(…)
Während sich der Beginn der Impfungen mit einem neuartigen Vakzin und Israel als medial gepriesenem Vorreiter bei der Impfkampagne besonders gut für antisemitische Verschwörungsmythen eignete, verschob sich der Fokus gegen Ende des Jahres mit der Ankündigung der Impfpflicht in Österreich auf massenhafte Vergleiche und Gleichsetzungen der jeweiligen Maßnahmen mit der Verfolgung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus.
Aus dem Bericht "Antisemitische Vorfälle 2021 in Österreich"
Festzustellen ist auch, dass es keine ausreichende Sensibilisierung gibt, wenn Menschen, die sich als Leidtragende der Corona-Maßnahmen sehen, sich mit Opfern des nationalsozialistischen Regimes gleichsetzen. Wenn Impfnachweise mit NS-Kennkarten für Jüdinnen und Juden verglichen werden, dann gibt es einen erheblichen Mangel an Geschichtsbewusstsein.
Im Bericht wird festgehalten, dass diese Vergleiche sicher auch von Menschen gezogen werden, die keinerlei böse oder feindselige Absichten gegenüber Jüdinnen und Juden hegen. Die Aneignung antisemitischer Symbolik geschehe oftmals auch "in unreflektierter Weise". Diesen Mangel an Reflexion nutzen radikale Gruppierungen wiederum gerne aus, um ihre eigene nationalistische und antisemitische Propaganda zu verbreiten.
Dies stellt gerade im Hinblick auf Demonstrationen ein großes Problem dar, wenn man bedenkt, dass Menschen (oftmals aus guten Gründen) gegen die Corona-Maßnahmen protestieren, während sich auf derselben Seite womöglich sogar gewaltbereite Gruppen (darunter auch Rechtsradikalen) befinden, welche die jeweilige Demo für ihre Hasspropaganda missbrauchen. Letztendlich kann man nie wissen, aus welcher Motivation heraus einzelne Menschen daran teilnehmen.
Auch jüdische Kinder und nichtjüdische Personen betroffen
Richtig verstörend wird es, wenn man sich die Vorkommnisse des Berichts unter der Überschrift "Kategorisierung antisemitischer Vorfälle und Beispiele" im Detail ansieht. Von fanatischen Jugendlichen, die sich offenbar als Verteidiger ihres muslimischen Glaubens sehen, während sie meinen, eine Synagoge mit Steinen und anderen Gegenständen bewerfen zu müssen, bis hin zu physischen und verbalen Angriffen von Hitler-Verehrern ist die Liste lang.
Dann wiederum gibt es einen Vorfall an der Wiener U-Bahn, wo ein Mann es sich nicht verkneifen konnte, vor einer Gruppe jüdischer SchülerInnen den die Hand zum Hitlergruß zu erheben, was verdeutlicht, dass leider auch oftmals Kinder von Hassaktionen betroffen sind.
Benjamin Nägele, der Generalsekretär der IKG, macht im Vorwort des Berichts darauf aufmerksam, dass auch nichtjüdische Menschen von judenfeindlicher Agitation betroffen sind. Im Netz treffen realitätsferne Vergleiche vor allem Politiker. Bei aller berechtigten Kritik, die es an den Corona-Maßnahmen der Regierung gibt, sind Posts, in denen der ehemalige Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein mit Josef Mengele gleichgesetzt wird – jener KZ-Arzt Mengele, der im Dritten Reich freiwillig der Waffen-SS beigetreten und direkt am Tod zehntausender Menschen beteiligt war –, mehr als nur absurd.
Abseits deplatzierter Vergleiche gibt es aber auch Vorfälle, bei denen Menschen angefeindet werden, weil die bloße Vermutung besteht, dass diese jüdisch sein könnten. Dies ist auch einer Studentin widerfahren, die sich eine Bedrohung in der U-Bahn anhören musste, weil sie ein Buch über jüdische Geschichte las.
So wichtig es ist,solchen Hassaktionen standhaft entgegenzutreten und Aufklärungsarbeit zu leisten, stellt sich bei viele dieser Geschehnisse die Frage, wie effektiv Aufklärung und Bildung bei der Prävention sein können, wenn bereits die bloße Existenz einer marginalisierten Gruppe (oder wie im letzten Fall: ein Buch über die betroffene Gruppe) ausreicht, damit Menschen gewalttätig werden.