Anweisungen zur Herstellung eines künstlichen Schwarzes Lochs
Hawking-Strahlung könnte mithilfe eines simulierten Ereignishorizonts nachgewiesen werden
Sie sind altbekannte nimmersatte gigantische Vielfraße, die in den Tiefen des Universums hausen und gnadenlos Jagd auf jede Form von Materie respektive Energie machen. Alles, was ihnen zu nahe kommt und ihre Grenze, den so genannten Ereignishorizont überschreitet, verschwindet in einem gewaltigen kosmischen Raum-Zeit-Strudel. So irreal dies klingt - ein Physiker behauptet in der neuesten Ausgabe von Nature, es sei möglich sei, diese magische Grenze ohne großen technischen Aufwand im Experiment zu kreieren. Gelänge die Schaffung eines künstlichen Ereignishorizonts, könne man nach Ansicht der Forscher zugleich nachweisen, ob Hawking-Strahlung de facto existiere oder nicht.
Die Vorstellung von einem Ende des Raumes und der Zeit hat in nahezu allen Kulturen ihren stärksten Ausdruck in Religion und Philosophie gefunden. Seit Ende der sechziger Jahre, genauer gesagt seit dem Jahr 1967, als der amerikanische Physiker John Archibald Wheeler ihnen den signifikanten Namen "Black Hole" gab, interessieren sich nicht mehr Philosophen (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen), sondern vielmehr die Vertreter der vermeintlich trockenen und weltfremden Disziplinen, die wissen wollen, was die Welt im Innersten zusammenhält, für die kosmisch bizarren Vagabunden, in deren Zentren selbst Raum und Zeit das Zeitliche zu segnen scheinen. Ihre Studienobjekte zählen immer noch zu den rätselhaftesten und abstraktesten Himmelskörpern im Universum, die Astrophysiker, wissenschaftlich interessierte Laien und Science-fiction-Autoren gleichermaßen zu faszinieren vermögen.
Star-Trek-Kurzdarsteller Stephen Hawking und "seine" Strahlung
Vielleicht liegt dies daran, dass Schwarzen Löchern irgendetwas Geheimnisvolles, Obskures anhaftet, dass sie, wie es der britische Grandseigneur der Astronomie Martin Rees einmal umschrieb, "Gespenster toter massereicher Sterne" sind, die sich "bei ihrem Kollaps vom übrigen Universum abgetrennt haben."1
Wenn diese aus massereichen sterbenden Sternen geborenen extrem kompakten Körper mithilfe ihrer gigantischen Masse und Anziehungskraft Materie und Energie an sich ziehen, sammelt diese sich auf der so genannten Akkretionsscheibe und bewegt sich von dort spiralförmig Bahn für Bahn - ähnlich einem Wasserstrudel - langsam ins Innere des Zentrums. Die dabei abgegebene Röntgenstrahlung ist derart intensiv, dass das lichtschluckende unsichtbare Etwas für einen kurzen Moment aufflackert und "sichtbar" wird.
Diesen seltsamen Objekten vollends verschrieben hat sich auch der renommierte Astrophysiker und Star-Trek-Fan respektive TNG-Star-Trek-Kurzdarsteller Stephen Hawking, der bereits 1974 mit der überraschenden Theorie vorstellig wurde, wonach Schwarze Löcher entgegen allen Voraussagen gleichwohl eine schwache Strahlung aussenden könnten. Diese nach ihm benannte Hawking-Strahlung könnte durch das Vorhandensein von Materie- und Antimaterieteilchen nahe am Ereignishorizont von mikroskopisch kleinen Schwarzen Löchern entstehen. Gestützt wird diese Annahme von der Quantenmechanik. Sie erlaubt, dass auf subatomarer Ebene zwei Teilchen, etwa ein Elektron und sein Pendant, das Positron, völlig aus dem Nichts ins Diesseits treten können, sofern sie sich "in einem als Paarvernichtung bezeichnetem Prozess rekombinieren und dabei die für ihre Entstehung benötigte Energie wieder zurückgeben."2
Gemäß der Heisenbergschen Unschärferelation schwirren in der Tat Partikel dieser und anderer Art(en) überall im Mikrokosmos herum und bilden dort scheinbare Teilchenpaare. Dieser Effekt kommt Hawkings Theorie zufolge bei einem Schwarzen Loch auch zum Tragen. Allerdings sorgt die starke Gravitationskraft des kompakten Gebildes dafür, dass die Paare sich nicht sofort wieder gegenseitig vernichten (wie dies unter "normalen" mikrokosmischen Bedingungen allerdings der Fall wäre). Vielmehr sorgt die Gravitationskraft dafür, dass beide Partikel getrennt werden, wobei ein Teilchen ins Schwarze Loch fällt, während das andere ins All entkommt. Deshalb kann infolge der "Hawking-Strahlung" ein sehr kleines Schwarzes Loch über einen sehr langen Zeitraum hinweg geringfügig an Masse verlieren. Theoretisch kann dieser quantenmechanische Prozess sogar dazu führen, dass ein solches bei einem ewig expandierenden Kosmos nach etlichen Milliarden Jahre selbst das Zeitliche segnet und sich auflöst, das heißt verdampft.
Soweit die Theorie - und nun zur Praxis. Ulf Leonhardt behauptete schon vor einiger Zeit, dass solche Objekte als Miniaturversion im Labor generiert werden können (Ein Schwarzes Loch im Labor). "Das wäre absolut ungefährlich. Unser Schwarzes Loch würde nur Licht verschlucken, keine Materie", so sein damaliger Kommentar.
Gestopptes Licht
Wollten die Forscher dies wirklich in die Tat umsetzen, wäre deren ganze Improvisationsgabe gefordert, da im Labor naturgemäß nicht eine solch extrem große, konzentrierte Masse zur Verfügung steht, die sich zu einem Schwarzen Loch verdichten könnte, und da sich unter irdischen Bedingungen ebenso naturgemäß kein Wasserstrudel auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen lässt. Wenn also schon kein fester Körper auf Lichtgeschwindigkeit gebracht werden kann, dann sollte es doch immerhin möglich sein, mittels eines physikalischen Tricks Licht extrem zu verlangsamen.
Genau dies ist vor einigen Jahren einer Gruppe von Wissenschaftlern unter der Leitung der Dänin Lene Vestergaard Hau am Rowland Institute for Science in Cambridge, Massachusetts gelungen: Sie bremsten Laserpulse in extrem gekühltem Gas ab und brachten es und für Sekundenbruchteile zum Stillstand. Mithilfe des "Quantengas" (Bose-Einstein-Kondensat reduzierten die Forscher das knapp 300.000 Kilometer in der Sekunde schnelle Licht im Vakuum auf 60 Kilometer pro Stunde. Gesenkt werden konnte diese Geschwindigkeit seinerzeit in einer 0,2 Millimeter langen und 0,05 Millimeter dicken Wolke aus Natriumatomen. Diese sind in einem Magnetfeld gefangen und werden bis auf ein millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt gekühlt (Photonen gebremst, gespeichert und wiederhergestellt).
Aufbauend auf dieser Methode ließe sich nach Ansicht des Physikers Ulf Leonhardt von der University of St. Andrews in Schottland ein künstlicher Ereignishoriziont eines Schwarzes Loches simulieren. Wie der Physiker in "Nature" berichtet, könne man mit Hilfe von "gefrorenem Licht" einen "optischen" Ereignishorizont herbei führen. Vom Prinzip her basiere das Ganze keineswegs auf Zauberei, sondern vielmehr auf dem eingangs erwähnten Prinzip des "stopped light", des Anhaltens von Licht. Durch den Effekt der Lichtbrechung werden beim Übergang zwischen verschieden dichten Materialien Lichtstrahlen abgelenkt. Dabei werden die Photonen in einem von Atomen erzeugten Strudel hineingezogen.
"Richtet man einen Laserstrahl auf ein kaltes Atom, dann kann dies den Durchgang eines zweiten Strahls völlig beeinflussen. Sind die Frequenzen des Laserfelds richtig eingestimmt, kann der zweite Strahl verlangsamt oder sogar zum Stillstand gebracht werden", erläutert Ulf Leonhardt das Prinzip. Genau der Bereich, in dem die Geschwindigkeit gen Null geht, ist der simulierte Ereignishorizont, den man Leonhardts Vorschlag zufolge als "optischen Ereignishorizont" bezeichnen könnte.
Ereignishorizont: Point of no Return
In der Theorie ist der Ereignishorizont jene magische Grenze eines Schwarzes Lochs, bei dem die Fluchtgeschwindigkeit größer wird als die Lichtgeschwindigkeit. Aus dieser Zone, die wie eine nur in einer Richtung durchlässige Membran um das Schwarze Loch gespannt ist, kann weder Licht noch Materie entweichen. Jenseits des Ereignishorizonts verlieren alle uns bislang bekannten Naturgesetze ihre Gültigkeit. Alle Ereignisse, die innerhalb dieser Zone geschehen, können von der Außenwelt (also dem gesamten restlichen Universum) nicht wahrgenommen werden (genauso verhält es sich aber auch andersherum). Mit anderen Worten: Der Ereignishorizont ist die Grenze jener Region der Raumzeit, aus der keine wie auch immer verdichtete Energieform entkommen kann. "Alle Dinge und Menschen, die durch den Ereignishorizont fallen, werden bald die Region unendlicher Dichte und das Ende der Zeit erreicht haben", brachte es Stephen Hawking in seinem Bestseller "Eine kurze Geschichte der Zeit" auf den Punkt.
Sollte das von Leonhardt beschriebene Experiment eines Tages unter Laborbedingungen realisiert werden, nähme die dafür benötigte Vorrichtung ausgesprochen wenig Platz ein. "Sie würde gerade mal die Größe einer Tischplatte haben", so der Physiker. Trotzdem könnte man mit dieser bescheidenen Apparatur den Ereignishorizont simulieren und dabei möglicherweise sogar die von Hawking vorhergesagte und nach ihm benannte Strahlung verifizieren oder falsifizieren. Wenngleich die im Experiment entstehende Strahlung nur eine imitierte Version der schwer erfassbaren Hawking-Strahlung sein werde ("mock version of elusive 'Hawking radiation'"), wäre es gleichwohl das erste Mal, dass Wissenschaftler dieses Phänomen "live" beobachten könnten. Denn diese Art der Strahlung hat bis auf den heutigen Tag noch kein Mensch zu Gesicht bekommen und nachweisen können.
Leonhardt ist sich sicher, dass auch unter Laborbedingungen, sobald Licht den Ereignishorizont erreicht, Hawking-Strahlung entweichen muss. "Aber diese Strahlung wird mit Sicherheit von einer anderen überdeckt sein; wir müssen sie noch entdecken", gibt Leonhardt zu Bedenken. Obgleich sich die Laborversion der Hawking-Strahlung von dem Original im Spektrum unterscheiden werde, ist Leonhardt optimistisch: "Sie müsste dennoch zu beobachten sein." Der Astronom Fulvio Melia von der University of Arizona in Tucson/USA drückt es noch plastischer aus: "We might even be able to see it with the naked eye."