Apokalypse, wissenschaftlich

Ein Bericht will die "erste wissenschaftlich fundierte Liste" von Risiken für die Zivilisation bieten, aber ist sie fundiert?

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Ein neuer Report verspricht die "erste wissenschaftlich fundierte Liste" von weltweiten Risiken zu liefern, die in den nächsten hundert Jahren die Zivilisation oder sogar den Fortbestand der Menschheit bedrohen (unendliche Risiken). Spiegel online, Focus online und viele andere haben darüber in den letzten Tagen berichtet. Der Report möchte auch Entscheidern in Wirtschaft und Politik zu aktivem Handeln inspirieren und anleiten. Damit haben die Autoren ihre Latte sehr hoch gelegt. Ist ihre Arbeit wirklich so bahnbrechend, wie sie behaupten?

Auftraggeber der Studie ist die Global Challenges Foundation, eine eher unbekannte Stiftung in Stockholm, Schweden. Der ursprünglich aus Ungarn stammende schwer reiche Geschäftsmann László Szombatfalvy hat die Organisation im Jahr 2011 gegründet. Ihr Ziel ist es, globale Risiken zu identifizieren und zu entschärfen. Das Vermögen der Stiftung ist auf der Website nicht erwähnt, es dürfte aber beträchtlich sein.

Bild aus dem Bericht Global Challenges

Die Autoren des Reports, Dennis Pamlin und Stuart Armstrong, arbeiten für die Stiftung (Pamlin) bzw. für das "Future of Humanity Institute" der Universität Oxford (Armstrong). Dieses vom Schweden Nick Bostrom geleitete Institut ermöglicht nach eigener Aussage "einer ausgewählten Gruppe von führenden Geistern, mit Hilfe von Werkzeugen aus der Mathematik, Philosophie und Naturwissenschaft allgemeine Fragen zur Menschheit und ihrer Zukunft anzugehen". An der Studie war ferner Seth Baum beteiligt, der Chef des privaten Global Catastrophic Risk Institute. Eine Adresse hat die Organisation nicht, auf ihrer Website steht, dass sie "geographisch dezentralisiert" sei. Hauptfinanzier ist die eher linksorientierte Gruppe Social and Environmental Entrepeneurs, aber auch das Ministerium für innere Sicherheit der USA hat offenbar Mittel zugeschossen.

Die am Report beteiligten Forscher und Organisationen sind also schon länger mit dem Thema befasst und kennen sich aus. Dafür ist das Ergebnis dann aber doch recht dürftig.

Pamlin und Armstrong stellen zwölf Themenfelder vor, die in den nächsten hundert Jahren ein sogenanntes "unendliches Risiko" für die Zivilisation bedeuten könnten. Als Grenze zwischen "normalem" und "unendlichem" Risiko definieren sie ein Ereignis, bei dem in kurzer Zeit mindestens zwei Milliarden Menschen sterben. Im Anschluss bewertet der Report die Wahrscheinlichkeit, dass der schlimmste Fall direkt eintritt (unendliche Wirkung) oder dass ein Risikoereignis eine Kettenreaktion auslöst, die schließlich zum Untergang der Zivilisation führt (Grenzwirkung).

Dem Report nach bedrohen uns folgende Szenarien (im Original heißt es challenges):

  • Bestehende Bedrohungen (Klimaveränderung, Atomkrieg, Pandemie, ökologische Katastrophe, Zusammenbruch von Finanzsystemen und Infrastrukturen),
  • aufkommende Bedrohungen (Nanotechnologie, künstliche oder genetisch veränderte Organismen, künstliche Intelligenz, unbekannte Gefahren),
  • natürliche Gefahren (Meteoreinschlag, auch Impakt genannt, und Vulkanausbruch) und
  • politische Unwägbarkeiten (Regierungsversagen).

Das klingt auf den ersten Blick durchaus logisch. Als Ordnungsprinzip ist diese Unterteilung aber nur bedingt geeignet. Warum?

  • Bevor die Zivilisation verschwindet, brechen Finanzsysteme und Infrastrukturen auf jeden Fall zusammen. Das ist eine sekundäre Folge aller Szenarien. Deshalb ist es falsch, diesen Vorgang als eigene Risiko-Kategorie aufzuführen.
  • Die natürlichen Risiken sind, auf hundert Jahre gerechnet, so gering, dass sie keine Rolle spielen. Man sollte diese Szenarien aus der detaillierten Untersuchung streichen.
  • Unbekannten Gefahren sind nun einmal unbekannt. Es ist sinnlos, darüber zu spekulieren.
  • Regierungsversagen: Damit haben wir zu leben gelernt. Wenn dieses Szenario die Zivilisation vernichten könnte, wären wir alle noch in der Steinzeit. Andererseits kann eine falsche Regierungsstrategie jede Krise verschlimmern. Den Punkt würde ich wie auch den Zusammenbruch des Finanzsystems eher als Teil der zur Katastrophe führenden Ereigniskette ansehen.
  • Es fehlt der Punkt Nicht-nuklearer Krieg. Auch ein konventioneller Krieg kann zum Untergang der Zivilisation führen, wenn das Gesamtsystem dabei überstrapaziert wird. Die aktuellen Kriege in Syrien, in der Ukraine und in anderen Gegenden der Welt zeigen sehr anschaulich, welchen enormen Schaden beispielsweise religiöse Fanatiker und die sogenannte "hybride Kriegführung" anrichten können.
  • Es fehlt der Punkt Wachstumskatastrophe. Die Menschheit, ihr Ressourcenverbrauch und die Umweltverschmutzung wachsen exponentiell. Dadurch könnte es irgendwann einen kompletten Zusammenbruch der Zivilisation geben.

Apokalypse, über den Daumen gepeilt

Die Wahrscheinlichkeit für die einzelnen Szenarien gibt der Report nur sehr grob wieder. Manchmal fehlen sie auch ganz. Im einzelnen:

  • Die Vorstellung eines gigantischen Vulkanausbruchs oder eines kilometergroßen Meteoriten muss uns keine schlaflosen Nächte bereiten. Für die nächsten hundert Jahre haben die Autoren des Reports eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 1:10.000 ermittelt.
  • Kein Risiko haben die Autoren für Regierungsversagen und Systemzusammenbruch ermittelt. Das ist kein großes Manko, die beiden Szenarien gehören sowieso nicht in die Liste.
  • Für das Szenario einer unkontrolliert wütenden künstlichen Intelligenz ist ein Wertebereich von 0 - 10 % angegeben. Die Autoren wollen damit ausdrücken, dass die Experten sich nicht einig sind und niemand Genaueres zu dem Thema weiß.
  • Der Untergang der Zivilisation durch Katastrophen aus dem Bereich Klimaveränderung, Atomkrieg, Pandemie und unbekanntes Problem ist einer Wahrscheinlichkeit von je 5 % zu erwarten. Das ist offenbar eine grobe Schätzung mangels genauerer Daten.
  • Auf 0,5 und 1 % schätzen die Autoren die Risiken eines ökologischen Kollaps (0,5 %), eines Amoklaufs von Nanoteilchen (0,8 %) und einer Attacke von Designerbakterien (1 %) ein.

Alle diese Zahlen beschreiben die Grenzwirkung, also die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis den Untergang der Zivilisation einleitet. Die Gefahr, dass eines der Szenarien die Zivilisation direkt auslöscht, halten die Autoren für verschwindend gering, nur bei Künstlicher Intelligenz sind sie skeptischer.

Leider schweigen die Autoren darüber, wie ihre Schätzungen zustande kommen, auch die verwendete Literatur geben sie nicht vollständig an. Das wäre schon in einer Diplomarbeit blamabel. Für einen Report mit dem Anspruch, die größten Bedrohungen der Menschheit auf wissenschaftlicher Basis zu untersuchen, ist es unannehmbar.

Woran Zivilisationen scheitern

Wenn man nach Ursachen für einen möglichen Zusammenbruch der gegenwärtigen Weltkultur sucht, sollte man doch zumindest nachforschen, woran bisherige Kulturen gescheitert sind. Dazu gibt es sehr viel aktuelle Literatur mit teilweise ganz neuen Erkenntnissen. Zu nennen wären beispielsweise Joseph Tainter ("The Collapse of Complex Societies"), Bryan Ward-Perkins ("The Fall of Rome") und Jared Diamond ("Collapse"). Diesen historischen Ansatz haben die Autoren des Reports aber weder einbezogen noch ausdrücklich verworfen.

Wie wissenschaftlich ist der Bericht?

Die Autoren schreiben:

[Dieser Report] ist eine wissenschaftliche Beurteilung der Möglichkeit des Untergangs, gewiss, aber darüber hinaus ist er ein Aufruf zum Handeln, ausgehend von der Annahme, dass die Menschheit imstande ist, an Herausforderungen zu wachsen und sie zu ihrem Vorteil zu wenden.

Das verspricht mehr, als der Report halten kann. Seine Methodik ist unklar, seine Systematik angreifbar, seine Risikoeinstufung undurchsichtig und seine Empfehlungen sind wolkig. Die Autoren haben eine Fleißarbeit abgeliefert, ansprechend verpackt in einen 200seitigen Hochglanzprospekt. Führungskräfte finden dort zwar einen Aufruf, aber keine Anleitung zum Handeln. Wissenschaftler haben keine Möglichkeit, die Methoden oder Berechnungen zu überprüfen, weil die Autoren diese Dinge nicht dokumentiert haben. Gute Wissenschaft sieht anders aus. Wer sich lediglich science-based gruseln möchte, bekommt immerhin eine spannende Lektüre.

Presseschau

Vor fast einem Jahr ging die Falschmeldung um die Welt, dass die NASA den Untergang der Zivilisation vorausgesagt hätte. Diese Behauptung wurde fast von allen seriösen Zeitungen und Webportalen ungeprüft übernommen. Auch diesmal fehlt fast überall wieder die kritische Distanz. Kein einziger der folgenden Presseberichte lässt einen externen Fachmann zu Wort kommen, fast alle übernehmen den Anspruch der Autoren ungeprüft. Auch andere Fehler haben sich eingeschlichen.

Die britische Daily Mail schreibt: "First serious scientific assessment of apocalyptic risks has been published." Auch Focus Online spricht von einer "wissenschaftlichen" Beurteilung von Apokalypse-Risiken. Außerdem steht dort, Forscher der Universität Oxford hätten das Papier veröffentlicht, tatsächlich war es die Global Challenges Foundation. Der Autor hat offenbar den Report nicht selbst gelesen, sondern verwertet lediglich den Bericht der Daily Mail. Bei einer im Internet frei zugänglichen Primärquelle ist das ein schwaches Bild.

Der Guardian macht keine direkten Fehler in seinem Bericht und zitiert mehrfach aus dem Originalreport, auf den er auch verlinkt. Aber er stellt den Anspruch der Autoren auf Wissenschaftlichkeit nicht in Frage und zitiert keine anderen Meinungen dazu. Dafür wärmt er noch einmal ältere Warnungen von Bill Gates, Elon Musk und Stephen Hawking auf, die mit dem Report nichts zu tun haben.

Spiegel Online verlinkt ebenfalls auf den Report. Der Autor Holger Dambeck hat offenbar genau recherchiert, seine Angaben stimmen weitgehend. Er erwähnt nicht den Anspruch der Autoren, eine wissenschaftliche Arbeit abgeliefert zu haben. Etwas missverständlich ist die Aussage, dass die Kategorie der Unbekannten Probleme aufgenommen wurde, weil es Risiken gebe, die sich mangels Wissen schwer auswerten ließen. Diese Schwierigkeit stellen die Autoren für mehrere Kategorien fest. Der Begriff der Unbekannten Probleme bezieht sich auf eher abwegige Risiken, die aber nach Meinung der Autoren in ihrer Gesamtheit wiederum bedeutend werden könnten.

In seinem Blog in der Washington Post listet Matt McFarland nur die Risiken der direkten Auslöschung auf. Er kommt damit zu dem etwas überoptimistischen Ergebnis: The odds are very low.