Appelle und Selbstverpflichtungen
Neuer Verhaltenskodex: Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel will in Zukunft landwirtschaftliche Erzeuger fair behandeln - aber ohne "wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen"
Auf Gesetze gegen umwelt- und gesundheitsschädliche Massentierhaltung darf in Deutschland vermutlich noch lange gewartet werden. Anders sieht es mit Appellen und wohlklingenden Selbstverpflichtungen aus. Der Chef des Umweltbundesamtes hatte zuletzt an das Verbraucherbewusstsein appelliert, durch veränderte Konsumgewohnheiten zur Reduzierung der Massentierhaltung und damit zum Schutz der Ökosysteme beizutragen - abgesehen davon, dass eine Halbierung des durchschnittlichen Fleischkonsums in Deutschland auch gesünder sei.
Wer weniger Fleisch esse, dafür aber qualitativ besseres, könne das auch "im Geldbeutel ausbalancieren", sagte der Präsident des Umweltbundesamts, Dirk Messner, vor wenigen Tagen gegenüber der Funke-Mediengruppe. Auch Landwirte würden dann besser bezahlt.
Letzteres ist Thema eines seit Jahren schwelenden Streits, da sich Bauern vor allem bei tierischen Produkten mit einem regelrechten Preiskrieg konfrontiert sehen, der es ihnen schwer bis unmöglich macht, Qualität zu produzieren. Die Organisation Oxfam sprach unlängst von einem "Klima der Angst". Die großen Supermarktketten Edeka, Rewe, Kaufland, Lidl und Aldi bestimmen demnach wesentlich, wer wie Lebensmittel produziert und verkaufen kann, sie kontrollieren in Deutschland mehr als 85 Prozent des Marktes.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) hat am Dienstag auf die anhaltende Kritik reagiert, indem er eine Selbstverpflichtung für den Lebensmitteleinzelhandel zur fairen Zusammenarbeit mit den Landwirten veröffentlichte. Der neue Verhaltenskodex mache deutlich, dass die Branche "großes Interesse an einer heimischen Landwirtschaft und einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den landwirtschaftlichen Erzeugern" habe - das sei "keineswegs nur um ein Lippenbekenntnis"erklärte HDE-Präsident Josef Sanktjohanser.
Mehr als "Verpflichtung zur Einhaltung geltenden Rechts"
Der Kodex gehe über eine Verpflichtung zur Einhaltung geltenden Rechts hinaus, betont der HDE. Er bezieht sich dabei auf die EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette - kurz UTP-Richtlinie. Die nämlich werde damit in wesentlichen Teilen sofort zur Anwendung gebracht, statt abzuwarten, bis die EU-Regeln in nationales Recht umgesetzt seien und die Übergangsfrist abgelaufen sei. In der Praxis betrifft dies zum Beispiel den Verzicht auf einseitige Vertragsänderungen.
Letztere sind allerdings nicht das Hauptproblem, wenn schon bei Abschluss der laufenden Verträge die Erzeuger in einer zu schwachen Position waren, um Konditionen durchzusetzen, die es ihnen erlauben, auf Qualität und Umweltstandards zu achten.
Der Handelsverband stellte zudem klar, dass "wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen" - wie etwa Mindestpreise - auch im neuen Kodex nicht vorgesehen seien. Wie hart in Zukunft trotz der Selbstverpflichtung verhandelt wird, muss sich in der Praxis zeigen.
Produktionsstandards sollen aber laut dem Verhaltenskodex "nicht willkürlich, sondern mit Augenmaß und im Dialog mit landwirtschaftlichen Erzeugern gesetzt werden sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen". Versprochen wird auch, den mit solchen Standards verbundenen Mehraufwand für die Erzeuger bei der Gestaltung der Lieferverträge angemessen zu berücksichtigen.
Durch die Blume wird auch gesagt, dass das Problem vielleicht teilweise durch höhere Endkundenpreise lösbar sei, wenn diese nur gut vermittelt würden: Faktoren wie Qualität, Nachhaltigkeit und "Tierwohl" könnten schließlich auch in der unternehmerischen Kommunikation mit den Verbrauchern eine Rolle spielen, um die Wertschätzung von Lebensmitteln insgesamt zu stärken.
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