Arabischer Olympiaterror im Kino: Der elfte Tag
Beobachtung der Beobachter: Tim Fehlbaums ausgezeichneter Film über das Olympia-Attentat rührt beim Filmfestival von Venedig an Fragen von Medien und Moral.
"Are those gunshots? Waren das Schüsse?" – eigentlich ist dies schon keine Frage mehr, sondern bereits im ersten Moment ein ungläubiges Staunen; eigentlich weiß da der Fragesteller, ein Franzose im Dienst des US-Nachrichtensenders ABC, bereits, wie die Antwort lautet.
Aber es kann doch nicht sein – Schüsse im Olympischen Dorf, ausgerechnet hier in München, ausgerechnet während der "heiteren Spiele", die bislang ein so perfektes Bild eines neuen Deutschland, eines fröhlichen, persilblumenfarbenen demokratischen Landes gemalt haben.
Krise ersten Ranges
Es waren die Sportjournalisten von ABC, die sehr früh, früher als andere erfahren haben, dass da etwas Ungewöhnliches im Olympischen Dorf vorging. Sie hörten Schüsse, und sie versuchten diesen Schüssen auf den Grund zu gehen.
Über die Geschichte dieses Sportberichterstatterteams, das plötzlich in eine ganz andere Lage und mitten in eine internationale Krise ersten Ranges versetzt wurde und mit der größten, bis dahin geschehenen Live-Übertragung Mediengeschichte schrieb, handelt der deutsche Film "September 5" – ausgesprochen "September Five" –, der jetzt bei den Filmfestspielen in Venedig eine gefeierte Premiere erlebte.
Man möchte es kaum glauben, aber es ist tatsächlich ein deutscher Film, ein ausgezeichneter Film. Er kommt aus Deutschland und sieht doch gar nicht so aus, als täte er das. Das ist unbedingt als Kompliment gemeint.
Vielleicht liegt es doch daran, dass Regisseur Tim Fehlbaum einen Schweizer Pass hat; er hat zwar in München studiert, hat aber einen anderen, kosmopolitischen Horizont. Tim Fehlbaum dreht de facto einen amerikanischen Film. Fehlbaum macht es genau so, wie man es machen muss.
Medien und Moral
Er erzählt eine Geschichte, der er auf den ersten Blick schon im Ansatz auszuweichen scheint: Kann man und darf man die Geschichte dieser dramatischen Geiselnahme – die nach unglaublichem mehrfachem Versagen der polizeilichen Einsatzkräfte und ihrer politischen Befehlsgeber in einem Massaker und der Ermordung aller israelischen Geiseln endete –, darf man dies aus der Binnensicht einer einzigen Nachrichtenredaktion und damit sowohl perspektivisch verengt als auch doppelt verschränkt als Beobachtung der Beobachter erzählen?
Aber, vor Augen zu halten ist: Tim Fehlbaum zeigt uns, was die Welt sah. Denn sie sah nur die ABC-Bilder. Das ABC-Studio lag relativ nah neben dem olympischen Dorf und relativ nah zur Connollystraße 31.
Er greift dabei die moralischen Fragen auf, die sich Medien immer stellen. Journalisten brauchen die Fähigkeit zum Abwägen und die Fähigkeit, im Zweifel zu berichten. Dies ist auch die Fähigkeit und Bereitschaft zum Schuldig-werden des Menschen, die ein Teil des Lebens ist.
Ist es in Ordnung, Wörter wie "Terrorismus" und "Guerilla" zu verwenden?
Es gibt hier viele kleine sprechende Details und immer wieder das Einbrechen des Alltags in den Ausnahmezustand: Ist es in Ordnung, Wörter wie "Terrorismus" und "Guerilla" zu verwenden? Was tun, wenn die Live-Kameras Bilder von erschossenen Menschen einfangen?
Und geben sie ihr Filmmaterial an die Konkurrenz von CBS weiter, um zu verhindern, dass der Sender seinen Platz auf dem einzigen (!!) Satelliten beansprucht? Sie tun es, aber nur, weil ein Techniker einen Trick findet, wie er "ABC" fest in das Sendebild einblenden kann.
Fehlbaum zeigt uns, wie diese Bilder und wie Fernsehen ganz haptisch gemacht wurde: mit analoger Technik. Filme mussten zum Beispiel immer erst noch entwickelt werden.
München 1972 war der erste live übertragene Terroranschlag. Bis zu 900 Millionen Menschen haben ihn gesehen.
Deutsche Mitschuld und deutsche Arroganz
Wir werden hier auch Zeugen der deutschen Mitschuld, in dem Sinn, dass die Deutschen ziemlich unbelehrbar waren, aber nicht wahrhaben wollten, was es für Gefahren gab und dass sie von dieser Situation komplett überfordert waren.
Eigentlich wollten die Israelis ihre eigenen Leute besonders schützen, aber die (arroganten?) Deutschen haben es nicht erlaubt, dass israelische Sicherheitskräfte im olympischen Dorf sein würden. Aber auch als das Schlimmste schon passiert war, gab es noch einmal ein sehr falsches deutsches Verhalten: Die Polizei hat nämlich ziemlich früh begriffen, dass sie all dem nicht gewachsen war.
Aber sie hat keine Konsequenzen daraus gezogen. Die Deutschen haben das Angebot der israelischen Regierung abgelehnt, dass israelische Spezialeinheiten zum Einsatz kommen könnten. Die Einheiten waren bereits am Vormittag vor Ort.
Falsche Arroganz und der fatale Einruck, alles sei unter Kontrolle
"Kein Wunder, dass sie den Krieg verloren haben." Diesen sarkastischen Satz sagt einer der ABC-Reporter, als er dem dilettantischen Versuch einiger deutscher Polizisten zusieht, wie sie in bunte Trainingsanzüge gekleidet und mit unpassenden Lang-Waffen ausgerüstet, das von den Geiselnehmern besetzte Appartement in der Connollystraße 31 stürmen wollen – und diesen Versuch dann schnell abbrechen.
Die von Leonie Benesch gespielte deutsche Übersetzerin des ABC-Teams erklärt den Amerikanern irgendwann in ihrer eigenen Verzweiflung über ihre Landsleute diese folgendermaßen: "Die Deutschen machen einen Fehler nach dem anderen, und versuchen doch den Eindruck zu erwecken, dass sie alles unter Kontrolle hätten."
Das gilt bis heute ungebrochen. Es gilt für die Ampel wie für alle anderen Parteien, für Wirtschaft, Kultur, Medien.
Schließlich der peinliche Auftritt von Regierungssprecher Conrad Ahlers im Fernsehen. Peinlich, nicht weil er einer Falschmeldung aufsaß, sondern in der Art, wie er sie verkündete: Auch wenn Ahlers ein linker Sozialdemokrat und Willy-Brandt-Parteigänger war, so redet er doch hier wie ein Nazi: im Gesichtsausdruck, in Haltung, in Sprache – und in seiner selbstgefälligen Eitelkeit.
Der bundesdeutsche Sündenfall
Dieser Film ist hochaktuell: Er erzählt nicht nur vom Umgang der Deutschen mit dem von ihnen begangenen Völkermord, von Verleugnung der Schuld, ihrem Abstreiten und Relativieren und dann natürlich auch von den Konsequenzen, die daraus gezogen wurden.
Dieser Film hier erzählt davon, dass die Deutschen 1972 versuchten, ein Gegenmodell zu der Olympiade von 1936 zu setzen, und zu zeigen, dass sie etwas gelernt haben, dass sie die Schuld hinter sich gelassen haben, dass sie nunmehr andere Deutsche sind – das hat zehn Tage lang gut geklappt. am elften Tag der Spiele, dem 5. September, ist diese Illusion auf eine brutale Weise zusammengebrochen. Dieser Film erschüttert im guten Sinn und wirft emotional in diesen Moment des 5. September 1972 zurück.
Fehlbaum zeigt geschickt Bilder vom Besuch der Israelis in Dachau, kurz vor dem Anschlag, 27 Jahre nach dem Krieg.
Dies ist aber auch ein sehr aktueller Film, weil wir, weil die freie Welt seit dem 7. Oktober 2023 wieder konfrontiert ist mit einem Terrorangriff arabischer Terroristen auf Israelis und auf Juden in aller Welt und dies in weit größerem Ausmaß. 1972 gab es zum ersten Mal diese Art von brutalem menschenverachtenden und nicht durch die Behauptung eines Befreiungskrieges zurechtfertigendem Massaker.
Das hätte nie passieren dürfen. München 1972 ist der Sündenfall unserer Generation. Danach war die Bundesrepublik nicht was sie vorher war.
Dieser ausgezeichnete Film bringt das alles in Erinnerung.