Arbeitslosengeld II und die Bettelarbeit
Seite 2: Spenden und ALG II
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Alternativ wäre die Anrechnung von Geldgeschenken jedweder Art auf das ALG II anzuwenden, doch die Behörde hat mittlerweile ja direkt auf die Einstufung als selbständige Tätigkeit abgezielt. Dies ist aber juristisch kaum haltbar. Bei Geldgeschenken über 50 Euro ist eine Anrechnung auf ALG II nach derzeitiger Rechtssprechung statthaft. Der Betrag bezieht sich auf das gesamte Jahr des Leistungsbezuges, weshalb bei Geldgeschenken angeraten ist, diese statt als Geschenk als Darlehen auszuweisen, welches sofort nach Ende des ALG II-Bezuges durch Aufnahme einer Tätigkeit zurückgezahlt werden muss.
Anzumerken ist, dass rein formaljuristisch auch z.B. das bei den Tafeln erlangte Essen auf das ALG II angerechnet werden könnte. Dass erst der "Soziale Druck" dazu führte, dass in Göttingen auf die Anrechnung der Betteleinkünfte verzichtet wurde, zeigt, dass dieser soziale Druck zwar nicht ohne Folgen bleiben muss, dass letztendlich hier aber von einer rein formaljuristischen Ansicht abgewichen wurde, was menschlich, aber juristisch nicht korrekt ist.
Einzelfallkritik - ja, aber ...
Der Fall ist einer von vielen Fällen, der in Bezug auf ALG II für Protest sorgt, welcher allerdings ebenso schnell wieder verebbt wie er aufkommt. Eine stete Protestbewegung gegen ALG II hat sich bisher nicht gebildet und einige wenige verbliebene Demonstranten, Vereine oder private Initiativen sind recht allein auf weiter Flur.
Die Kritik an ALG II, wenn sie medial auftaucht, entzündet sich meist an ein paar dramatischen Fällen, an denen dann durchexerziert wird, wieso und weshalb dieser konkrete Fall unverhältnismäßig sei und wie es besser zu gestalten wäre oder auch nicht. Diese Kritik greift aber zu kurz. Zwar ist es wichtig, diese Fälle aufzugreifen - nicht zuletzt um das Thema nicht völlig aus der Aufmerksamkeit verbannen zu lassen - doch dies darf nicht die alleinige Kritik sein.
Vielmehr muss ALG II als das betrachtet werden, als das es von Anfang an gedacht war: ein System, dass der Wirtschaft möglichst viele zu niedrigen Löhnen bzw. Gehältern arbeitende Personen zuführte, die durch die Zumutbarkeitsregelungen und Sanktionsmöglichkeiten keine Wahl haben als sich dem zu fügen. Ein System, das den Menschen auf seine Arbeitskraft als "Wert" reduziert und ihn durch ein nicht zuletzt auch überbordend bürokratisches und stümperhaft gestaltetes Regelungwerk in eine kafkaeske Welt versetzt, in der er sich zunehmend hilflos fühlen und Fatalismus als einzige Lösung sehen soll.
Die groteske Reduktion des Begriffes der Arbeit auf eine Erwerbserzielungsabsicht liefert stetes Futter für diese Entmenschlichung, da die tägliche Arbeit, die dem Überleben gewidmet ist, hierbei nicht einmal berücksichtigt wird. Stattdessen wird so getan, als würde derjenige, der keine Erwerbserzielungsabsichten hat, quasi im Dauerschlaf sein, als würde er nicht auch tagtäglich schon durch die ganz normalen Zwänge des Lebens damit beschäftigt sein, nicht nur für Essen und Trinken, eine Unterkunft und Bekleidung zu sorgen, sondern auch für benötigte Ruhephasen, soziale Kontakte (egal in welchem Ausmaß und in welcher Form) et cetera.
Der Mensch ohne Erwerbstätigkeit, so wird auch durch die vielen Kampagnen diesbezüglich klar, ist sozusagen der kostenverursachende Golem, der erst durch die Erwerbstätigkeit zum Leben erweckt wird, welche ihm den Sinn des Lebens gibt. Dass bis auf die Partei "Die Linke" keine der Parteien das heiße Eisen ALG II anfasst, sondern höchstens ab und an durch kosmetische Maßnahmen die Situation etwas verhübscht, spricht Bände. ALG II ist daher nicht nur in Einzelfällen als kritikwürdig anzusehen, das gesamte ALG II-System ist es und muss als solches auch thematisiert werden.