Architekturentwürfe für Ground Zero

Interview mit dem New Yorker Galeristen Max Protetch zur Ausstellung über ein neues WTC

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In seiner New Yorker Galerie zeigt Max Protetch seit vergangener Woche Entwürfe für die Neugestaltung von Downtown Manhattan. "A New World Trade Center: Design Proposals" zeigt zum ersten Mal seit dem 11. September Vorstellungen von prominenten Architekten und jüngeren Designern in Form von Zeichnungen, Skizzen, Videoinstallationen, Modellen und Statements. Auch jüngere Talente und ausgefallene Vorschläge (Oosterhuis, Coop Himmelblau, Alsop Architects, Asymptote) sind vertreten, so dass sich das rechte New Yorker Revolverblatt "New York Post" zu einem schnippischen Kommentar über die Ausstellung veranlasst sah.

NOX Architekten

Was hat Sie persönlich dazu bewogen, innerhalb weniger Wochen diese Ausstellung aus dem Boden zu stampfen ?

Max Protetch: Wer auch immer die Zwillingstürme zu jenem Zeitpunkt zerstört hat, war in der Auswahl des Ziels brillant. Die Symbolik ist überwältigend. Ich war am 11. September zwei Häuserblocks vom WTC entfernt, als das erste Flugzeug hineinkrachte. Ich brachte gerade meine Kinder zur Schule. Meine Kinder und ihre Mutter wichen nach Kanada aus, wo sie heute noch sind. Die Telefone funktionierten tagelang nicht, die Versicherungsfirma, mit der ich gerade einen 200.000-Dollar-Deal abgeschlossen hatte, ging bankrott, und mein Geschäft war im Eimer. Es schien, als würde die gesamte US-Wirtschaft abstürzen, und dann war das Weiße Haus auch noch mit Leuten bestückt, denen man nicht vertrauen konnte. Aber ich teile wohl diesen naiven amerikanischen Optimismus, der wohl das Beste an unserem Nationalcharakter ist. Wie kann man nur reagieren, dieser Gedanke nagte Tag und Nacht an mir. Und da ich selbst seit vielen Jahren mit Architektur zu tun habe, war es naheliegend, über Konzepte des Wiederaufbaus nachzudenken.

Daniel Libeskind

Die Reaktionen von Architekten und Designern waren überwältigend - 45 Menschen zerbrachen sich die Köpfe und reagierten innerhalb weniger Tage mit Vorschlägen. Wie ist das zu erklären?

Max Protetch: Die meisten Architekten haben sich unmittelbar nach der Katastrophe Gedanken über die Zeit nach "Ground Zero" gemacht, davon bin ich überzeugt. Man kritzelt im stillen Kämmerlein vor sich hin, macht kleine Zeichnungen und wird die innere Unruhe trotzdem nicht los. Das ging mir auch so. Am 20. September verschickten wir die ersten Presseerklärungen. Ich schrieb etwas später die einschlägig bekannten Architekten an, nachdem es mir unzureichend erschien, sich auf die jüngeren zu beschränken. Ich nahm Kontakt mit den Zeitschriften "Architecture" und "Architectural Record" sowie mit den Kuratoren von Museen auf. Wir diskutierten ein wenig, weitere Namen fielen, wir sahen uns die jüngsten Arbeiten von Architekten im Internet oder in den Zeitschriften an, und daraus ergab sich eine recht umfangreiche Liste. Wir luden auch Leute ein, die noch nie in ihrem Leben etwas Größeres gebaut haben. Und dann wurde uns klar, dass wir als Galerie mit den konkreten Vorschlägen von Architekten eine gewichtige Rolle in der Diskussion um "Ground Zero" spielen könnten.

Tom Kovac

Architektur wird in Museen und Galerien schon seit einigen Jahren eine größere Rolle eingeräumt...

Max Protetch: Als ich vor 20 Jahren die Galerie auf die Beine stellte mit dem Gedanken, dass Architektur in einer Kunstgalerie eine wichtige Funktion haben sollte, hätte ich mir kaum träumen lassen, was heute passiert. Was damals noch als Außenseitertum galt, ist heute fast schon Mainstream. Amerikanische Museen legen Architektursammlungen an, die Galerien werden aktiver, und auch in Europa tut sich Einiges in diese Richtung.

Haben Sie für die Ausstellung Anfragen aus Europa?

Max Protetch: Das Vitro Design Museum in Berlin und das niederländische Designmuseum in Rotterdam hatten schon Interesse angemeldet, als der konkrete Inhalt der Ausstellung noch nicht bekannt war. In den USA will das "National Design Museum" in Washington die Entwürfe zeigen.

Office dA

Ist seit dem 11. September das Interesse der Öffentlichkeit an Architektur wirklich gestiegen ?

Max Protetch: Ganz eindeutig ja. Dies ist vermutlich das erste Mal in der Geschichte der USA, mit Sicherheit aber seit dem zweiten Weltkrieg, dass sich die amerikanische Öffentlichkeit der Bedeutung von Architektur in allen ihren Facetten bewusst wird: Architektur als Symbol und als politisches, soziales und wirtschaftliches Element. Auf einmal haben wir ein nationales, in manchen Fällen sogar ein internationales Publikum, das aufmerksam zuhört und interessante Fragen stellt. Was für uns in New York konkret heißt, dass wir bei den Mächtigen in Wirtschaft und Politik leichter Gehör finden, wenn über Stadtpolitik und Stadtentwicklung diskutiert wird.

Die New Yorker Skyline ist weltberühmt, aber bei genauerem Hinsehen lässt die Stadtarchitektur doch zu wünschen übrig...

Max Protetch: Von den großen Architekten sind in New York nur vertreten: Frank Lloyd Wright mit dem Guggenheim-Museum, ein kleines Louis-Sullivan-Gebäude und einmal Mies van der Rohe. Das warŽs dann auch. Kein Daniel Libeskind, keine Zaha Hadid, kein Rem Kolhaas. New York müsste sich eigentlich schämen, wenn man vergleichsweise nach Europa blickt. Denken Sie nur an eine kleine, staubige Stadt namens Bilbao, die uns wirklich in den Schatten stellt.

Hans Hollein

Welche Trends gibt es bei den Vorschlägen für den Wiederaufbau der "World Trade Center"-Gegend?

Max Protetch: Ich hätte ja gerne ein riesiges Gebäude in Form eines ausgestreckten Mittelfingers vorgeschlagen. Diese Idee kursierte schon ein paar Tage nach dem 11. September im Internet. Eine hervorragende Idee, weil sie die Mentalität der New Yorker wiedergibt. George Bush machte letztes Jahr einmal eine seiner wenigen geistreichen Bemerkungen, als er sagte, die New Yorker würden seit dem 11. September zum ersten Mal mit mehr als nur einem Finger winken.

Aber im Ernst: die meisten Architekten denken, dass etwas noch Höheres und Größeres als das alte "World Trade Center" gebaut werden muss. Zwei Trends herrschen vor: zum Einen etwas, was in Richtung Alltag geht, Wohnungen, Kultureinrichtungen und so weiter, und eine "11.-September"-Gedenkstätte beziehungsweise eine Mischform aus beiden Tendenzen.

Wie wird Downtown Manhattan aussehen ?

Max Protetch: Ich setze große Hoffnungen auf den neuen Bürgermeister Michael Bloomberg. Er ist, was Politik angeht, kaum einzuschätzen, aber sehr dynamisch und keiner politischen Partei verpflichtet. Grund zum Optimismus also, dass aus Downtown Manhattan etwas Vernünftiges gemacht wird.