Armut in Deutschland auf neuem Höchststand

Die Corona-Krise hat Ungleichheit in Deutschland noch einmal verschärft. Symbolbild: Gerd Altmann auf Pixabay (Public Domain)

In der Pandemie hat die Bundesregierung zwar Schlimmeres verhindert, doch armen Menschen half sie kaum. Deren Not wurde noch größer

Die Corona-Pandemie hat in Deutschland zu einem neuen Rekord geführt: "Die Armut in Deutschland erreichte im Pandemiejahr 2020 einen neuen Höchststand", erklärte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, am Donnerstag. Im "Paritätischen Armutsbericht" hat der Verband Zahlen des Statistischen Bundesamtes ausgewertet.

Die Bilanz des Berichtes: Im vergangenen Jahr lebten etwa 13,4 Millionen Menschen in Deutschland unter der Armutsgrenze. Das entspricht einer Quote von 16,1 Prozent. In Worten ausgedrückt: Etwa jeder sechste Einwohner der Bundesrepublik hat weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung.

Im Vergleich zum Vorjahr war damit ein leichter Anstieg zu verzeichnen, von 15,9 Prozent im Jahr 2019 auf 16,1 Prozent 2020. Schneider betonte, dass Deutschland in der Pandemie nochmal mit einem blauen Auge davongekommen ist. "Das große Beben in der Armutsstatistik ist trotz der Pandemie weitestgehend ausgeblieben", sagte er.

Schlimmeres verhindert

Der Paritätische Wohlfahrtsverband führt das in seinem Bericht auf die Corona-Hilfen zurück. Das Kurzarbeitergeld hat demnach zum Beispiel Schlimmeres verhindert; es sei ein wirksames Instrument der Armutsvermeidung gewesen. Zwar habe es nicht verhindern können, dass die Menschen einen Teil ihres Einkommens verloren; aber es bewahrte viele "in der Krise vor dem Fall in die Armut".

Auffällig sei gewesen, heißt es in dem Bericht, dass vier Fünftel der Bevölkerung keine finanziellen Einbußen hinnehmen mussten: Beamte, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Rentner und Bezieher von Fürsorgeleistungen. Mit Verweis auf eine Studie des Leibnitz-Institut für Finanzmarktforschung erklärte der Paritätische: Die durch die Pandemie bedingten finanziellen Verluste konzentrierten sich auf die Erwerbstätigen. Vor allem die mit einem Einkommen von weniger als 900 Euro netto pro Monat waren betroffen.

In besonderem Maße betroffen waren demnach auch die Selbständigen. 37 Prozent aller Selbständigen und 44 Prozent der Solo-Selbständigen hatten Verluste bei den Einkommen zu verkraften. Mehr als jeder fünfte von ihnen musste seine Arbeitszeit durch "corona-bedingte Einschränkungen" verringern. Dadurch vergrößerte sich der Teil unter ihnen, der im Monat weniger als 1.500 Euro an Einkommen bezog, von 5 auf 11 Prozent. Unter den Solo-Selbständigen stieg er von 17 auf 23 Prozent.

Die Armut ist in Deutschland ungleich verteilt; der Paritätische diagnostizierte einen wachsenden "Wohlstandsgraben" zwischen Süddeutschland und dem Rest der Republik. Während in Bayern nur 11,6 Prozent der Menschen in Armut lebten, lag in Bremen die Quote dagegen bei 28,4 Prozent. Mit auch nur annähernd gleichen Lebensbedingungen habe das nichts mehr zu tun, sagte Schneider: "Deutschland ist nicht nur sozial, sondern auch regional ein tief gespaltenes Land – und die Gräben werden tiefer".

In Ostdeutschland ist Brandenburg das einzige Bundesland, dass eine Armutsquote unterhalb der bundesweiten aufwies. Sachsen-Anhalt wies mit einem Anteil von 20,6 Prozent die meisten armen Menschen auf.

Es sei beschämend, "dass die Armut in diesem reichen Land einen neuen Rekordwert erreicht", kommentierte Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag, die Ergebnisse des Armutsberichts. Staatliche Maßnahmen zur Bewältigung der Krise seien nicht ausreichend gewesen.

Schon vor Beginn der Pandemie wurden einkommensarme Menschen von den wirtschaftlichen Folgen der Krise ungleich härter getroffen. Denn wenn schon das Lohneinkommen kaum zum Leben reicht, sind Lohnersatzleistungen wie Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld erst recht zu wenig. Für Menschen im Grundsicherungsbezug war von wirksamer Soforthilfe keine Spur.


Susanne Ferschl

Dass gerade bereits arme Menschen von der Bundesregierung weitgehend ignoriert wurden, darauf weist auch der Paritätische in seinem Bericht hin. Die übergroße Mehrheit der Maßnahmen habe sich an Menschen gerichtet, die bis dahin nicht in Bezug von Grundsicherung waren, denen aber die Härten dieses Bezugs erleichtert werden sollten.

Für diejenigen, für die die Grundsicherung schon vorher zum Alltag geworden war, war mit den Maßnahmen wenig bis nichts gewonnen. Sie verwalten oft genug keine Vermögen, sondern allenfalls aufgelaufene Schulden, und mussten nicht den Umzug in kleinere Wohnungen fürchten, weil sie schon längst in solchen wohnten. Die neu geschaffenen Ansprüche sollten vor dem Absturz in Armut schützen, nicht den bereits Armen nützen


Paritätischer Armutsbericht

Der Bericht zählt einige Beispiele auf, wie arme Menschen in der Krisenpolitik von Angela Merkel (CDU) einfach übergangen und ignoriert wurden. Sei es bei der Ausstattung mit Computern für den Distanzunterricht der Kinder, die Mehrbedarfe durch Maskenpflicht oder durch das Wegfallen anderer Hilfsangebote. Obwohl im Januar 2021 bekannt war, dass die verschärfte Maskenpflicht zu einer erheblichen Mehrbelastung für arme Menschen führen würde, erklärte die Bundesregierung: die reguläre Grundsicherung müsse eben eingeteilt werden.

Immer wieder mussten erst die Gerichte einschreiten und korrigieren. So schließt der Bericht mit dem Befund: "Die Armutspolitik in der Pandemie war eine Politik der Armut". Zwar konnte dem Anstieg der Armutszahlen entgegengewirkt werden. "Für diejenigen jedoch, die bereits in Armut lebten, wurde die Not immer größer und die Ausgrenzung immer härter."

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