Asli Erdogan frei, Ahmet Sik verhaftet

Nach 132 Tagen in Haft wurde die Schriftstellerin Asli Erdogan heute entlassen - aber die Verhaftungswelle in der Türkei geht weiter

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132 Tage lang saß die türkische Schriftstellerin Asli Erdogan im Frauengefängnis Bakirköy in Istanbul in Haft. Sie war im August verhaftet worden, zusammen mit sieben weiteren Kollegen, die für die inzwischen verbotene kurdische Tageszeitung Özgür Gündem gearbeitet hatten. Man warf ihr Volksverhetzung, Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung - der PKK - vor. Als "Beweise" legte man Artikel vor, die Erdogan als Teil ihrer Kolumne verfasst hatte. Erst vor wenigen Wochen hatten Istanbuler Aktivisten diese Artikel Anwälten zur Prüfung vorgelegt. Deren Urteil: Nichts daran ist rechtswidrig.

Monatelang nahm der internationale Druck zu. Aus dem Gefängnis geschmuggelte Briefe wurden in großen Medien publiziert und zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse verlesen. Freunde und Kollegen von Asli Erdogan schrieben in der Tageszeitung Özgürlükcü Demokrasi ihre Kolumne fort - diese Kolumne erscheint seit Ende Dezember auch auf Deutsch in der taz. Der Internationale PEN, Reporter ohne Grenzen und weitere Organisationen forderten Erdogans Freilassung, ebenso die türkischen Oppositionsparteien CHP und HDP - und auch der der AKP angehörende Kulturminister hatte sich im November kritisch über die Inhaftierung von Journalisten und Künstlern geäußert.

Am 29. Dezember wurden ihre Stimmen erhört. Bei der ersten Anhörung vor Gericht zum Prozessbeginn ordnete der Vorsitzende Richter Erdogans Freilassung an - mit ihr verließen die Linguistin Necmiye Alpay sowie die Özgür Gündem-Mitarbeiter Eren Keskin, Filiz Kocali, Ragip Zarakolu und Kemal Sancili das Gericht. Der Nachrichtenredakteur Inan Kizilkaya bleibt in Haft. "Ich werde mich verteidigen, als würde ein Rechtssystem existieren", hatte Asli Erdogan laut Hürriyet gesagt, als sie am Mittag das Gerichtsgebäude betrat. "Ich bin Schriftstellerin, ich existiere, um zu erzählen", sagte sie demnach vor Gericht. "Der einzige Beweis für meine Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, den man mir vorgelegt hat, ist mein Name auf einer Zeitung."

Durch die türkische Kulturszene ging bei der Nachricht der Freilassung ein Aufatmen. Aber wirkliche Freude kann sich nicht einstellen. Am selben Tag wurde mit Ahmet Sik in Istanbul einer der renommiertesten Journalisten der Türkei verhaftet. Sik ist ein prominenter Kritiker sowohl von Staatspräsident Erdogan als auch von dessen Erzfeind Fethullah Gülen. 2011 hatte Sik mit "Die Armee des Imam" ein Buch über die Gülen-Bewegung und ihre Verstrickungen mit der AKP publiziert, das umgehend verboten wurde und seinen Autor zum wiederholten Mal ins Gefängnis brachte. Die aktuelle Verhaftung wird mit einer nicht näher benannten Äußerung Siks auf Twitter begründet. Sik ist einer von über 140 Journalisten, die in der Türkei in Haft sind. Am Morgen wurden bei landesweiten Razzien außerdem rund 100 Personen wegen angeblicher Gülen-Verbindungen festgenommen, nachdem erst am Weihnachtswochenende fast 1700 Menschen wegen Äußerungen in Sozialen Netzwerken ins Gefängnis gehen mussten.