Atom-Champion Finnland – Anlass zu Neid?

Seite 2: Millionengrab Hanhikivi

Nicht alle Atomprojekte in Finnland endeten gut. Im Mai 2022 kündigte das Konsortium Fennovoima seinen Vertrag mit der Rosatom-Tochter RAOS für das geplante AKW Hanhikivi südlich von Oulu. Dabei handelte es sich nicht nur um eine unglückliche Wendung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.

Das Projekt hatte von Anfang an Probleme gemacht: Erst sprang mit Eon das gewählte Partnerunternehmen ab. Als Ersatz kam Rosatom, es wurde umgeplant. Die finnische Strahlenschutzbehörde wollte Fehler wie bei Olkiluoto 3 von vornherein verhindern und setzte auf akribische Planung der Anlage. Die Zusammenarbeit soll schwierig gewesen sein. Auf der Halbinsel Hanhikivi wuchsen Straßen und Nebengebäude, aber für den Reaktor gab es noch nicht einmal eine Baugenehmigung.

Nach Kriegsbeginn zog Fennovoima die Reißleine und kündigte den Vertrag. Begründet wurde dies mit den großen Verzögerungen. Fennovoima und Rosatom beschuldigen sich nun gegenseitig und fordern Schadensersatz voneinander. Auf der Halbinsel Hanhikivi stehen Gebäude herum, die ein knappes Jahr nach dem Aus noch einen neuen Zweck suchen. Einst wuchs dort Wald und es war ein beliebtes Naherholungsgebiet.

Die finnischen Investoren, Stadtwerke und Unternehmen, rechnen damit, dass sie ihre Investitionen nie wieder sehen. Laut den finnischen Medien wurden bisher 600 bis 700 Millionen Euro dort ausgegeben.

Das letzte große Atomkraftwerk?

Immerhin liefert Olkiluoto 3 nun Strom und deckt mit seinen 1600 MW allein zehn bis 14 Prozent des finnischen Energiebedarfs. Doch die Stärke des neuen Reaktors könnte auch ein Nachteil sein, meinte Juhani Hyvärinen, Professor für Energietechnik an der Technischen Universität Lappeenranta, jüngst im finnischen Fernsehen. Denn das Hochfahren und schnelle Stopps einer so großen Einheit seien eine Herausforderung für das finnische Stromnetz. Er bevorzuge kleinere Einheiten.

Einen kleinen Vorgeschmack zum Ausfall einer großen Einheit gab es diesen Winter, als Schwedens größtes Atomkraftwerk Oskarshamn 3 gleich zweimal wegen Schäden heruntergefahren und repariert werden musste – zu einer Zeit, als Finnland noch ein großes Defizit hatte und die schwedische Produktion auch die Preise in Finnland stark beeinflusste. Dazu kam gleichzeitig eine Kältewelle. Die Preise gingen in Schweden und Finnland nach oben. Oskarshamn 3 hat mit 1400 MW fast so viel Leistung wie Olkiluoto 3.

Auch die schwer zu kalkulierenden Bauzeiten und Preise könnten zukünftige Regierungen und Unternehmen davon abhalten, weiter auf große Atomkraftwerke zu setzen. Juhani Hyvärinen gehört zu denen, die eine neue Generation Atomkraftwerke befürworten: Small modular reactors, SMR, sind das neueste Heilsversprechen dieser Branche. Edelstahlhersteller Outokumpu in Tornio, Nordfinnland, hat bereits ein Abkommen mit Fortum geschlossen, um die Möglichkeiten auszuloten.

Beide Unternehmen waren am gescheiterten Hanhikivi-Projekt beteiligt. Die Theorie hinter den kleinen modularen Reaktoren: Sie könnten in Serie gebaut werden, würden dadurch billiger, und aufgrund der kleineren Dimensionen ließen sich auch die Gefahren besser hantieren. Das ist jedoch bisher nur eine Theorie, die noch eine praktische Bestätigung wartet. Bisherige Forschung zeigt eher, dass diese Hoffnungen nicht erfüllt werden. Und eine neue Studie aus Stanford zeigt, dass dadurch sogar mehr Abfall entsteht.

Der Preis des Atom-Fokus

Olkiluoto 3 hat zunächst einmal positive Effekte für den nordischen Strommarkt gehabt, weil jetzt einfach mehr Strom zur Verfügung steht. Der langjährige Fokus auf Atomkraft hatte jedoch auch Schattenseiten: So startete die Windkraft erst sehr spät in Finnland, und die Chance auf günstige Kilowatt wurde lange nicht genutzt. Seit 2014 wächst diese Energieart jedoch deutlich – und die Gemeinde Pyhäjoki, in der beinahe ein Atomkraftwerk gebaut worden wäre, hat heute die meisten installierten Wind-Kilowatt in ganz Finnland.

Zu den Kritikpunkten daran gehört, dass die Mehrheit der Investoren aus dem Ausland kommt. Was, wenn die Millionen der finnischen Unternehmen und Stadtwerke in eigene Windkraftwerke gegangen wären, anstatt ins Pleite-Projekt Hanhikivi?

Auch die Solarindustrie ist in Finnland noch winzig. Die Vorurteile vom ungeeigneten Klima darf man gerne wegstecken: Was im Winter an Licht fehlen mag, wird dafür im Sommer mehr als ausgeglichen. Und kühlere Temperaturen sind gut für den Wirkungsgrad. Hätte man sich nicht darauf verlassen, dass die Großindustrie es schon richten wird – wo könnte man dann heute sein?

Es ist Finnland selbstverständlich zu gönnen, dass Olkiluoto 3 nun endlich läuft. Die Erfahrungen damit und mit Hanhikivi sind allerdings nicht unbedingt eine Empfehlung – unabhängig davon, was man prinzipiell von Atomkraft hält. Und die Idee von den viel billigeren SMR könnte sich ebenfalls als Sackgasse erweisen. Es hilft alles nichts: Die Energiefrage bleibt eine Herausforderung für alle Länder. Eine einfache Lösung für alles ohne Nebenwirkungen gibt es nicht.