Atomare Abschreckung gegen die Mehrheit
Bundesregierung hält an Stationierung von US-Atombomben fest. Damit handelt sie gegen den Willen der meisten Deutschen. Auch andere Argumente halten nicht stand
Die Bundesregierung hält trotz einer deutlich ablehnenden Haltung in der Bevölkerung an der Stationierung von US-amerikanischen Atombomben auf dem Gebiet der Bundesrepublik fest. Nach einer neuen Umfrage ist die Ablehnung dieser Massenvernichtungswaffen in Deutschland sogar erheblich höher als in anderen Nato-Staaten.
So heißt es im heute veröffentlichen Munich Security Report der Münchener Sicherheitskonferenz, 57 Prozent der Deutschen lehnten die Stationierung von Atomwaffen im eigenen Land ab. Nur 14 Prozent der Befragten erklärten sich mit dem Vorhalten dieser Waffengattung in Deutschland einverstanden.
Für die Umfrage hatte die Münchener Sicherheitskonferenz 12.000 Personen in Deutschland und elf weiteren Staaten befragt. Aus dem Ergebnis lässt sich ablesen, dass die Deutschen mit ihrer Geschichte eines geteilten Landes an der Schnittstelle zwischen Ost- und West eine erheblich kritischere Haltung zu Nuklearwaffen haben als einige ihrer europäischen Nachbarn.
Zerstörungsradien bei der Explosion einer SS-25 in deutschen Hauptstädten (16 Bilder)
In Frankreich etwa befürworten nach einer Meinungserhebung des Institut Kekst CNC 46 Prozent der Befragten die Stationierung von Atomwaffen, während nur 18 Prozent dies kritisch sehen. Ein ähnliches Bild zeige sich, so der Munich Security Report, in Großbritannien, Kanada und den USA.
In Deutschland sind US-amerikanische Atombomben auf dem Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz stationiert. Dort werden Piloten des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 der deutschen Luftwaffe im Einsatz mit den Massenvernichtungswaffen geschult. Hintergrund ist auch der an Schärfe gewinnende Konflikt zwischen den Nato-Staaten und Russland.
Im Rahmen der sogenannten Nuklearen Teilhabe würden deutsche Piloten mit US-Atombomben wahrscheinlich Ziele in Russland ansteuern und die Bundesrepublik damit zugleich ins Visier eines atomaren Schlagabtauschs rücken. Diese Strategie aber ist truppenintern nicht unumstritten. So wurde vor wenigen Jahren publik, dass eine sogenannte Taschenkarte – eine Kurzfassung der Zentralen Dienstvorschrift 15/2 – Angehörigen der Bundeswehr den Einsatz von Nuklearwaffen verbietet.
Atomarer Zündstoff in der SPD
Weil das nicht heißt, dass ein solcher Einsatz im Falle einer militärischen Eskalation nicht stattfände, hatte es vor allem in der SPD im vergangenen Jahr eine Debatte gegeben. Die Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten im Bundestag, Norbert Walter-Borjans und Rolf Mützenich, sprachen sich für einen Abzug der US-Atomwaffen aus. Das war 2010 vom Bundestag auch so beschlossen worden und fand 2018 - wenn auch unter Vorbehalt - Eingang in den geltenden Koalitionsvertrag auf Bundesebene
Außenminister Maas lehnte den Vorstoß seiner Genossen dennoch ab. Ein möglicher Abzug der US-Atombomben, so hieß es aus dem Auswärtigen Amt, "schwäche unsere Bündnisse". Die nukleare Teilhabe sei "ein glaubwürdiger Bestandteil der Abschreckung", ließ Maas verlautbaren. Im Nachrichtenmagazin Spiegel führte er aus: "Einseitige Schritte, die das Vertrauen unserer engsten Partner und europäischen Nachbarn untergraben, bringen uns dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt nicht näher."
Mit Blick auf die nukleare Teilhabe der Nato lehnt die Bundesregierung weiterhin auch den Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) ab, der im Januar dieses Jahres mit dem Beitritt des 51. Mitgliedsstaats der UNO in Kraft getreten ist.
Würde die SPD-Unions-Regierung den AVV unterzeichnen, müsste sie den Abzug von US-Atombomben anordnen, die auf dem rheinland-pfälzischen Fliegerhost Büchel für den Einsatz durch die Nato vorgehalten werden.
Das bestätigte Regierungssprecher Steffen Seibert im Oktober vergangenen Jahres. Man könne nicht ignorieren, dass nukleare Waffen von einigen Staaten weiterhin als Mittel der militärischen Auseinandersetzung betrachtet werden: "Solange das so ist (…), besteht aus unserer Sicht die Notwendigkeit zum Erhalt einer nuklearen Abschreckung vor." Dies leiste die Nato.
Beitritt zum AVV würde Nuklearpolitik nicht zwingend ändern
Wie genau diese behauptete Unterminierung eines Zusatzprotokolls der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) zum NVV mit aussehen soll - das blieb ein Rätsel. Und tatsächlich musste die Bundesregierung diese wiederholt vorgebrachte Argumentation im Februar dieses Jahres auf eine parlamentarische Frage der Linken-Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dagdelen, hin revidieren. In der Antwort heißt es, "dass für Vertragsstaaten des AVV, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des AVV bereits ein Zusatzprotokoll mit der IAEO abgeschlossen hatten, dieses auch weiterhin gilt".
Das betreffende Zusatzprotokoll hatte die IAEO 1997 in Reaktion auf verdeckte Nuklearaktivitäten im Irak verabschiedet. Es verlangt von den Vertragsstaaten zusätzliche völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen, um etwa unangemeldete Kontrollen durch IAEO-Inspekteure zu ermöglichen.
Der Atomwaffenverbotsvertrag, den im Juli 2017 bei der UNO 122 Mitgliedsstaaten verabschiedet hatten, schwächt dieses Rüstungskontrollregime also nicht. Dies hatten unlängst auch die Wissenschaftlichen Dienste (WD) des Bundestags in einem Gutachten für die Abgeordnete Dagdelen bekräftigt.
Beide Abkommen – AVV und NVV – stünden "weniger in einem rechtlichen Konkurrenz-, als in einem Komplementärverhältnis zueinander", urteilten die Rechtsexperten des Parlaments, und stellten klar: "Rechtlich gesehen liegen die Verifikationsbestimmungen des AVV auf dem Niveau des NVV und fallen jedenfalls nicht dahinter zurück."