Atomares Wettrüsten ist keine Lösung

Bild: Ronnie Macdonald / CC-BY-2.0

Mit der Beschaffung neuer Atomwaffen-Trägerflugzeuge steigt die SPD-Bundesregierung in die atomare Aufrüstung ein. US-Atombomben würden eine deutsche Region im Kriegsfall zum Angriffsziel machen. Ein Kommentar

Die Bundesregierung hat entschieden, die F-35 als Nachfolgemodell für den veralteten Tornado anzuschaffen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte damit die Fortsetzung der nuklearen Teilhabe an. Auch die Stationierung von neuen B61-12 Nato-Atomwaffen aus US-Arsenalen in Rheinland-Pfalz soll so gesichert werden. Ein atomares Wettrüsten in ganz Europa droht.

In der aktuellen Krise ist die Entscheidung über die Tornado-Nachfolge ein gefährliches Signal. Der Kauf der F-35 Kampfjets bereitet die erste atomare Aufrüstung in Deutschland seit der Stationierung der Pershing-Raketen vor.

Die elektronische Ausstattung der neuen Trägerflugzeuge ist die technische Voraussetzung dafür, dass ab 2023 neue US-Atomwaffen in Rheinland-Pfalz stationiert werden können. Im Gegensatz zu den aktuell dort stationierten Atombomben der Serie B61, ist die neue B61-12 durch Heckflossen lenkbar und hat eine variable Sprengkraft.

Die vermeintlich höhere Zielgenauigkeit senkt die Hemmschwelle für ihren Einsatz. Damit ist die B61-12 ein Bestandteil der neuen Atomwaffendoktrin der USA. Nach dieser Doktrin sind Atomwaffen nicht mehr nur rein politische Abschreckungswaffen, sondern Mittel der flexiblen Kriegsführung. Doch die Vorstellung, durch höhere Zielgenauigkeit die Auswirkungen ihres Einsatzes begrenzen zu können, ist illusorisch. Jede einzelne Bombe hat die mehrfache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe.

Militärexperten halten die Atomwaffen in Büchel für nutzlos. Im Kriegsfall wären sie ein erstes Angriffsziel, da ihr Standort bekannt ist. Hinzu kommt, dass es Tage bis Wochen dauern würde sie einsatzfähig zu machen. Für einen "Vergeltungsschlag" kämen sie deshalb nicht in Frage.

Lockheed Martin F-35 Lightning II (8 Bilder)

F-35A mit offenen Waffenschächten. Bild: U.S. Air Force

Auch aus diesem Grund, lassen sich die in Deutschland stationierten Atomwaffen nicht mit denen der USA und Russland vergleichen, die aufgrund ihrer Einsatzbereitschaft innerhalb von Minuten oder ihrer Stationierung auf schwer aufspürbaren U-Booten jederzeit für einen Gegenschlag genutzt werden können.

Eine atomare Aufrüstung in Deutschland könnte zu einer Eskalation der Krise und zu einem atomaren Wettrüsten in ganz Europa führen. Deutschland ist als Nicht-Atomwaffenstaat Mitglied im Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag (NVV) von 1970 und darf nicht über Atomwaffen verfügen. In Artikel 3.1 des Zwei-plus-vier-Vertrags, der die rechtliche Voraussetzung für die Deutsche Einheit geschaffen hat, hat die Bundesrepublik ohne jeden Vorbehalt auf Massenvernichtungswaffen verzichtet.

Versprochene Abrüstung, vollzogene Aufrüstung

Die Bundesregierung hat, so wie alle deutschen Regierungen der letzten Jahrzehnte, erklärt, dass Deutschland eine führende Rolle in der atomaren Abrüstung übernehmen will. Durch eigene atomare Aufrüstung würde Deutschland Glaubwürdigkeit und Verhandlungsmöglichkeiten verspielen.

Aus russischer Sicht sind die Atomwaffen in Büchel eine Bedrohung. Putin hatte bereits 2015 angekündigt, auf eine Stationierung der B61-12 in Deutschland mit Gegenmaßnahmen zu reagieren. Das Referendum vom 28.02., mit dem Weißrussland seinen Status als atomwaffenfreie Zone aufgegeben hat, zeigt, dass die Pläne zur Stationierung von russischen Atomwaffen in Weißrussland keine reinen Gedankenspiele sind.

Auch aus Polen sind in den letzten Jahren immer wieder Forderungen nach Nato-Atomwaffen laut geworden. Wenn Deutschland in dieser Krise atomar aufrüstet, lässt sich den östlichen Nachbarländern nicht vermitteln, warum sie auf Atomwaffen verzichten sollten.

Solange wir uns für unsere eigene Sicherheit auf Atomwaffen verlassen, werden andere danach streben und die Gefahr ihres Einsatzes wächst. Diese Erkenntnis hat Helmut Schmidt, den Vater des Nato Doppelbeschlusses, 2009 dazu veranlasst, gemeinsam mit Egon Bahr, Hans-Dietrich Genscher und Richard von Weizsäcker zu einer radikalen Abkehr vom Prinzip der atomaren Abschreckung und zum Abzug der Atomwaffen aus Deutschland aufzufordern.

Die Bündnissolidarität in der Nato darf nicht dazu führen, dass ein selbstmörderisches atomares Wettrüsten beginnt. Bereits 2020 haben 56 ehemalige Staats- und Regierungschefs, Außen- und Verteidigungsminister aus Nato Ländern mit einem offenen Brief ihre Länder zu atomaren Abrüstung und zum Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen aufgerufen. Aus Deutschland haben der ehemalige SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping und der ehemalige Grüne Außenminister Joschka Fischer unterzeichnet.

Putins Drohungen und der Kommentar von Donald Trump, er hätte schon längst Atomwaffen gegen Russland eingesetzt, wäre er noch Präsident, zeigen, wie real die Gefahr für das globale Überleben ist. Es gibt keine sicheren Hände für Atomwaffen.

Der tiefe Schock über den brutalen Krieg Russlands gegen die Ukraine darf nicht dazu führen, dass der Unterschied zwischen konventioneller und atomarer Aufrüstung in Vergessenheit gerät. Ein atomares Wettrüsten kann nicht gewonnen werden, sondern erhöht die Gefahr eines Atomkrieges.

Die Bundesregierung muss deshalb klarstellen, dass der Kauf der F-35 keine Vorentscheidung über die Zukunft der nuklearen Teilhabe und die Stationierung der B61-12 Atomwaffen bedeutet.

Die Debatte über die Zukunft der nuklearen Teilhabe muss jetzt geführt werden.

Anstatt an der völkerrechtswidrigen nuklearen Teilhabe festzuhalten, muss Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen beitreten, der demokratisch von der großen Mehrheit der Staatengemeinschaft beschlossen wurde.

Dr. Inga Blum ist aktives Mitglied der Organisation Internationale Ärzt:innen für die Verhütung des Atomkriegs, die 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Zudem ist sie Mitglied im Internationalen Vorstand der IPPNW. Darüber hinaus engagiert sie sich in der Kampagne ICAN, die 2017 ebenfalls den Fridensnobelpreis erhielt.