Atomdebatte: Friedrich Merz setzt auf Technik aus den 1970er Jahren

Seite 2: Sicherheitsüberprüfung überfällig

13 Jahre ist es her, dass der von Merz so über den Klee gelobte Reaktor zuletzt einer umfassenden Sicherheitsüberprüfung unterzogen wurde, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) weist man darauf hin, dass auch die andere beiden noch laufenden Meiler zuletzt 2009 auf Herz und Nieren überprüft wurden, "nach Sicherheitsanforderungen aus den 1980er Jahren".

Eigentlich haben diese in etwa alle zehn Jahre stattgefunden, wurden jedoch bei den letzten Anlagen wegen der baldigen Stilllegung nicht mehr verlangt. Nach dem geltenden Atomgesetz (Paragraph 7) müssen sie nämlich spätestens am 31. Dezember dieses Jahres vom Netz gehen.

Ein Weiterbetrieb bräuchte also eine Gesetzesänderung, neue Brennstäbe, die nicht von heute auf morgen zu beschaffen sind, schon gar nicht, wenn man sie nicht in Russland einkaufen will, und vor allem einen umfassenden Sicherheitscheck.

Doch für den müssten eigentlich die Anlagen zunächst abgeschaltet werden. Eigentlich. Und man müsste sich etwas wegen der Risse an Rohren und Dampferzeuger des Reaktors Neckarwestheim 2 einfallen lassen. Eigentlich.

Die Betreiber scheinen allerdings wenig Neigung zu haben, sich diese Unkosten und Unwägbarkeiten aufzuhalsen. Die Süddeutsche Zeitung zitiert an anderer Stelle aus einem Protokoll einer Diskussion der Betreibergesellschaften mit Regierungsvertretern, darunter Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), über eine etwaige Laufzeitverlängerung.

Demnach habe man festgehalten, dass ein Weiterbetrieb "nur sinnvoll (sei), wenn entweder die Prüftiefe der grundlegenden Sicherheitsanalyse verringert würde und/oder auf weitreichende Nachrüstungsmaßnahmen (...) verzichtet würde". (Zitiert nach SZ.)

Das bekommt ein besonderes Geschmäckle angesichts der zahlreichen Risse in Rohren und am Dampferzeuger des Reaktors Neckarwestheim 2. Jedes Jahr seit 2017 wurden bei den turnusgemäßen Inspektionen neue entdeckt, zuletzt gleich 35 bei der Revision im Juni 2022. Die von "linearen Wanddickenschwächungen" betroffenen Rohre seien einfach außer Betrieb genommen worden, schrieb im Juli der Sender SWR auf seiner Seite.

Wie es aussieht, können wir also froh sein, wenn der baden-württembergische Reaktor noch bis zum Dezember durchhält, aber mit den vorhandenen Brennstäben könnte er ohnehin nur maximal zwei Monate länger laufen.

Vor diesem Hintergrund fällt die Kritik der Umweltverbände an der nuklearen Geisterdebatte fast etwas zu zahm aus:

Die Forderungen nach einem Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke sind populistisch. Energie aus Atomkraft ist unsicher, unrentabel und unnötig. Wer angesichts der drohenden Gasengpässe behauptet, nur mit Atomkraft einen warmen Winter ermöglichen zu können, führt eine Scheindebatte und rechnet die Leistungsfähigkeit der AKW schön.

Olaf Bandt, BUND-Vorsitzender

Übrigens: Netto hat Deutschland in diesem Jahr bisher 18,5 Milliarden Kilowattstunden exportiert, davon 9,7 Milliarden nach Frankreich. Die drei letzten deutschen AKW haben in dieser Zeit 19,6 Milliarden Kilowattstunden ins Netz eingespeist, liefen also fast ausschließlich für den Export, wie die Daten des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme zeigen.