Atomdiskussion in Frankreich: Macron will Sicherheitsbehörden abschaffen

Der französische Präsident will nuklearen Schutz aufweichen. Trotz Parlamentsbeschluss strebt er eine Fusion mit der Atomaufsicht an. Warum es daran Kritik gibt und Streiks stattfinden.

Von Kleinigkeiten wie einem negativen Parlamentsvotum lässt sich ein Emmanuel Macron nicht aufhalten. Was durch die Abgeordneten im Frühjahr zur Tür hinausgeworfen wurde, soll nun in Kürze durch das Fenster wieder hereingeholt werden. Pech nur, dass, sollte es zu negativen Konsequenzen kommen – wie etwa einem Atomunfall –, diese Auswirkungen auf halb Europa haben könnten.

In der Vergangenheit lief es scheinbar umgekehrt: Als es im April 1986 zum Reaktorunglück in Tschernobyl – damals in der UdSSR, heute in der Ukraine – kam, behauptete man in Frankreich von offizieller Seite, das Land sei überhaupt nicht tangiert.

Am 29. April 1986, also drei Tage nach der Explosion von Tschernobyl, war eine Wetterkarte bei einem der damals existierenden drei Fernsehkanäle in Frankreich mit einem "Stopp" überschrieben; dies sollte bedeuten, die Windrichtung sorge dafür, dass die sich über den Kontinent ausbreitende radioaktive Wolke Frankreich nicht erreichen werde.

Längst ist bekannt, dass dies eine Falschbehauptung darstellte. Und der damals führende Strahlenmediziner des Landes, Professor Pierre Pellerin, behauptete, aufgrund der Strahlungswerte bestehe zu keinem Zeitpunkt Gefahr für die Bevölkerung.

Trotzdem strengten – mutmaßlich aufgrund von Radioaktivität – an Schilddrüsenkrebs Erkrankte deswegen Jahre später einen Prozess gegen den Arzt und hohen Beamten an. Dieser wurde jedoch 2011 und 2012 durch die Instanzen hindurch freigesprochen.

Bis heute werden Scherze mit Tschernobyl in Frankreich gemacht. So wurden zu Anfang 2020 in Frankreich zahllose Witze darüber gerissen, dass der Covid-19-Virus wohl auch wieder, "wie die Tschernobyl-Wolke, am Rhein halt machen werde".

Genau deswegen, weil der behördliche Umgang mit dem Atomunfall von 1986 in Frankreich besonders schlecht ausfiel, wurden später im Land strukturelle Konsequenzen gezogen. Eine unabhängige Behörde musste her, die von den staatlichen und wirtschaftlichen Interessen in der Atomindustrie, diese sind in Frankreich bekanntlich besonders ausgeprägt, getrennt bleiben sollte.

Das Gesetz vom 13. Juni 2006 über "Transparenz und Sicherheit in nuklearen Belangen" sicherte diese Struktur ab. Und so existierten Jahre lang zwei respektive drei Institutionen nebeneinander: die atomare Sicherheitsbehörde IRSN (Institut de surêté nucléaire), zu der dann noch das Strahlenschutz-Amt IRP (Institut de radioprotection) hinzu kam, auf der einen Seite und die Atomaufsichtsbehörde ASN (Autorité de sûreté nucléaire) auf der anderen.

Letztere funktioniert vor allem als Genehmigungsinstanz für neue Atomanlagen, ordnet aber auch Wartungs- und Reparaturarbeiten an Reaktoren an. Hingegen sind die ersten beiden primär für den Schutz der Bevölkerung vor radioaktiven Substanzen und Strahlungen, und entsprechende Messungen zuständig.

Bevor im Frühjahr 2023 das Atomenergiebeschleunigungsgesetz verabschiedet wurde, plante die Regierung explizit, die beiden Strahlenschutzämter IRSN und IRP in die nukleare Genehmigungsbehörde ASN hinein aufzulösen.

Dies stieß damals auf erhebliche Widerstände. Gegen das Vorhaben trat am 20. Februar dieses Jahres ein Teil der insgesamt 1.700 abhängig Beschäftigten des IRP, dessen Belegschaft an solche Arbeitskämpfe keineswegs gewohnt ist, in den Streik. Rund 100 von ihnen demonstrierten am Vormittag auf dem Gelände der südfranzösischen Atom- und Forschungsanlage in Cadarache, wo rund 300 Beschäftigte des IRP arbeiten; eine weitere Demonstration des IRP-Personals fand am Nachmittag in Paris statt.

Damals verhinderte schließlich das gemeinsame Votum mehrerer Oppositionsfraktionen in der Nationalversammlung doch noch die geplante Abschaffung der beiden Strahlenschutz- und Sicherheitsbehörden. Der entsprechende Artikel wurde aus dem Gesetzentwurf in der dort verabschiedeten Fassung ausgeklammert.

Allein, die Exekutive wollte und will es dabei nicht bewenden lassen. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, forderte Staatspräsident Emmanuel Macron am 19. Juli angesichts einer Gremiensitzung der Regierung zur Atompolitik seine Regierung dazu auf, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten, welcher die drei Institutionen doch noch zusammenlegt und unter dem Dach der ASN fusioniert. Damit setzt er sich über das gegenteilige Votum des Parlaments vom Frühjahr hinweg.

Die auf Wirtschaftsthemen spezialisierte kritische Zeitschrift Alternatives économiques kündigte vorige Woche nun einen entsprechenden Text für den bevorstehenden Herbst an.

Just zur selben Zeit erfuhr das Publikum, dass mit einem der Reaktoren des Atomkraftwerks Tricastin nun erstmals konkret die Betriebsgenehmigung einer Atomanlage über die bisherige Obergrenze von vierzig Jahren hinaus auf fünfzig Jahre ausgedehnt wurde. Grundsätzlich hatte die ASN diese Möglichkeit 2021 für alle Reaktoren gewährt, doch muss jede Anlage noch eine Einzelgenehmigung für die Laufzeitverlängerung erhalten. Dies ist nun erstmals erfolgt.

Es soll, so wird erklärt, dadurch zu keinem Zeitpunkt zu Gefahren für die Bevölkerung gekommen sein.