Atomkraft-Revival: Wo Putin und Biden einer Meinung sind
Seite 2: Die 60-Milliarden-Dollar-Frage
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Warum, glauben Sie, fördern die USA gerade jetzt die Atomkraft?
Wladimir Sliwjak: Es geht um Geld für die westliche Atomindustrie. Denn schon seit Langem stecken Investoren ihr Geld nicht mehr in Atomkraftwerke, weil sie riskant sind, die Finanzierungsbudgets immer überschreiten und der Bau lange dauert.
Das war in der Vergangenheit ein ziemliches wirtschaftliches Desaster. Die Investoren wollen also kein Geld mehr in diese Technologie investieren. Und was die Regierungen offensichtlich vorhaben, ist, hier bei den Klimaverhandlungen auf die Atomkraft zu drängen.
Und zwar aus einem einfachen Grund: um Geld aus dem Klimafonds für den Bau neuer Atomkraftwerke verwenden zu können. Es geht nicht um das Klima. Es geht vor allem darum, die westliche Atomindustrie zu retten.
Als ich vor ein paar Jahren nach dem UN-Klimagipfel in Kattowitz in Riwne und Lwiw in der Ukraine war, sah ich dort Denkmäler für die Menschen von Tschernobyl. Und es gibt sie überall in der Ukraine und in Russland. Können Sie über die Bedeutung von Tschernobyl für Ihre Ablehnung der Kernenergie sprechen und darüber, inwiefern Sie erneuerbare Energien als Lösung sehen, selbst kurzfristig?
Wladimir Sliwjak: Wenn wir über den Klimawandel sprechen und darüber, was wir dagegen unternehmen wollen, dann sind erneuerbare Energien natürlich die erste Wahl, und zwar aus dem Grund, dass sie billiger sind als die Kernkraft. Sie lassen sich viel schneller installieren, was bedeutet, dass man viel schneller Ergebnisse bzw. Effekte bei der Emissionsreduzierung erzielen kann. Das ist es, was wir im Moment brauchen.
Die Kernkraft ist eine riskante Technologie. Wir haben Fukushima erlebt, davor fand Tschernobyl statt. Tschernobyl hat letztlich zum Zusammenbruch der Sowjetunion geführt.
Tschernobyl war der Auslöser für neue zivilgesellschaftliche Bewegungen, Anti-Atomkraft-Bewegungen in der Sowjetunion. Sie wurden aktiv und schafften es Ende der 1980er-Jahre, die Entwicklung der Kernkraft in der Sowjetunion vollständig zu stoppen.
Die Atomenergie wurde später wieder aufgenommen, vor allem als Putin an die Macht kam. Er ging in großem Stil vor.
Können Sie etwas über die Klimaverhandlungen hier in Dubai sagen – haben Sie noch Hoffnung? – und auch über einen neuen Bericht, der gerade über die Umweltauswirkungen von Russlands Invasion und Krieg in der Ukraine veröffentlicht wurde?
Wladimir Sliwjak: Zunächst einmal sind diese Klimaverhandlungen ein handfester Skandal, denn der Präsident dieser COP ist tatsächlich der Chef eines großen Ölkonzerns, eines der führenden Unternehmen der Welt.
Der Mann, der andere Länder dazu bringen soll, ein Abkommen über den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe zu schließen, ist in Wahrheit an der Förderung von Ölverträgen für sein Unternehmen interessiert. Ich weiß also nicht, was für ein Ergebnis wir von dieser COP erwarten sollen.
Und es stimmt, dass die Ukraine vor ein paar Tagen eine Bewertung der Umweltschäden durch den Krieg in der Ukraine, den russischen Krieg in der Ukraine, vorgelegt hat. Und die Vertreter des ukrainischen Staates sagten, dass die russische Armee fast 3.000 Umweltverbrechen begangen hat, die einen Wert von über 60 Milliarden US-Dollar haben.
Das sind natürlich nicht die Gesamtkosten eines Krieges oder die Schäden, die durch den Krieg entstanden sind. Es geht nur um die Umweltkosten eines Krieges.
Darin enthalten sind etwa 150 Millionen Tonnen CO2, die durch den Krieg zusätzlich emittiert wurden, was ohne Krieg nie geschehen wäre. Der ukrainische Staat schätzt den Wert dieser Treibhausgasemissionen auf etwa zwölf Milliarden Dollar.
Sie verlangen, dass die internationale Gemeinschaft von Russland Reparationen einfordert, einschließlich dieser 12 Milliarden Dollar für zusätzliche CO2-Emissionen und der über 60 Milliarden Dollar für Umweltschäden, die durch den Krieg verursacht wurden. Im Moment versucht die Ukraine die Vereinten Nationen dazu zu drängen, einen Weg zu finden, wie diese Reparationen von Russland eingezogen werden können.
Wären Sie in der Lage, diese Dinge auch in Russland zu sagen? Und wann haben Sie Ihre Heimat verlassen?
Wladimir Sliwjak: Auf keinen Fall. Russland ist – meiner Meinung nach – ein faschistischer Staat, den man leicht mit Nazi-Deutschland aus dem 20. Jahrhundert, aus dem Zweiten Weltkrieg, vergleichen kann. Alle Arten von politischem Aktivismus werden unterdrückt.
Jeden Tag erfahren wir, dass jemand ins Gefängnis gekommen ist oder es einen neuen Strafprozess gibt. Alle stehen unter dem Druck vonseiten des Staates. Feministische Aktivisten, LGBT-Aktivisten, Umweltaktivisten, Menschenrechtsaktivisten.
Das Putin-Regime ist hinter der Zivilgesellschaft her. Es will das Ende der Zivilgesellschaft. Wenn man sich also entschließt, Putin in Russland zu kritisieren, wird man sofort ins Gefängnis gesteckt.
Das Interview erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Democracy Now. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.