Attacke in Berlin: Maskenstreit oder Rassismus?

Seite 2: Berliner Polizei verteidigt eigene Mitteilung

"Wie bei jeder anderen Pressemeldung der Polizei Berlin auch, kann nur der Stand der Informationen wiedergegeben werden, der zum Zeitpunkt des Verfassens der Meldung bestand", habe die Polizei mitgeteilt.

Die junge Frau habe eine Maske getragen und diese Maske lediglich kurz nach unten gezogen, als sie mehrmals rassistisch beleidigt worden und daraufhin ein lautstarker Streit entbrannt sei. Die sechs verdächtigen Erwachsenen, drei Männer und drei Frauen, hätten demzufolge laut korrigierter Polizei-Darstellung "überwiegend keine Masken" getragen.

Es kann an dieser Stelle nicht vertiefend auf die Problematik von etwaigem strukturellen oder auch aktuellen Rassismus in Behörden wie hier der Polizei eingegangen werden. Denn egal, ob man diese Hypothese für plausibel oder erwiesen hält oder auch ganz anderer Auffassung sein mag: Das sogenannte Quellen-W im Journalismus ist ganz sicher nicht ein "fünftes Rad" am Wagen, das im Beitrag irgendwann benannt werden sollte.

Insbesondere bei Beiträgen, für die nur eine Quelle verfügbar ist, sollte diese so früh wie möglich erwähnt werden, damit das Publikum diesen Beitrag eigenständig einordnen kann.

Konkret: Die Aussage: "Polizei: 17-Jährige wegen Nicht-Tragens von Maske zusammengeschlagen" (mit genauer Zeitangabe der Veröffentlichung) wäre auch hier und jetzt noch eine empirisch wahre Aussage, weil genau dies die Version der Polizei zu jenem Zeitpunkt war.

Ohne die Quellenangabe wiederum war diese Version nach allem, was wir nun an Quellen zur Verfügung haben, offenbar von vornherein falsch.

Dieses aktuelle Beispiel der Wichtigkeit frühestmöglicher Quellenangabe ist alles andere als ein Einzelfall. Ich habe hier ein auch im Kontext der aktuellen Ukraine-Krise interessantes Beispiel vom Mai 2018 ausführlich diskutiert: In vielen Medien (wie der Tagesschau) hieß es damals über den putinkritischen russischen Journalisten Arkadi Babtschenko: "Babtschenko erschossen" oder "Babtschenko ermordet", was sich dann einen Tag später als komplett falsch oder eben manipuliert herausstellte. Angeblich, so hieß es später, sei es darum gegangen, einen geplanten russischen Anschlag auf den Mann zu verhindern

Hätten Tagesschau" etc. hingegen mit frühestmöglicher Angabe der Quelle getitelt: "Ukrainische Behörden: Babtschenko ermordet", wäre das bis heute eine empirisch wahre Aussage. Denn genau das hatten jene Quellen an diesem Tag behauptet – und sehr viele etablierte und reichweitenstarke (westliche) Medien hatten es ohne prominente Angabe der Quelle einfach als unbestreitbare Tatsache übernommen.

Insofern von der Struktur des Herangehens und der Beiträge vergleichbar mit dem jetzigen Agieren vieler Medien im Fall der 17-Jährigen in Berlin.

Dabei scheint es weniger wichtig, ob die jeweilige Redaktion die Polizei oder auch ukrainische Behörden für besonders "glaubwürdig" hält – diese Entscheidungen und Einordnungen sollten moderne Medien doch bitte ihrem aufgeklärten Publikum überlassen.

Vertrauen, aber wem und warum? Die beiden Beispiele von 2018 und 2022 zeigen, dass Quellen-Transparenz in wichtigen Bereichen des Journalismus einer der Aspekte ist, bei denen Verbesserungsbedarf besteht.