Auch das noch: Kurzarbeit als Tarifforderung

IG Metall-Chef Jörg Hoffmann. Bild: Alexander Paul Englert/IG Metall

Das Neueste vom Klassenkampf - gewerkschaftliche Vorschläge zum Wohl Deutschlands

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Mit der Forderung nach einer Vier-Tage-Woche ist jüngst Jörg Hoffmann, Chef der IG-Metall, an die Öffentlichkeit gegangen und hat so die Tarifrunde zum Ende des Jahres eingeläutet (siehe das Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 17.8.20). Der Vorstoß fand erwartungsgemäß ein geteiltes Echo. Während die Arbeitgeberseite, unterstützt von einigen Wirtschaftsforschungsinstituten, den Vorschlag ablehnte, konnten einzelne Politiker wie Arbeitsminister Hubertus Heil der Initiative durchaus etwas abgewinnen und würdigten sie als einen Beitrag zur Krisenbewältigung (vgl. WAZ, 19.8.20).

Das Erstaunliche an der Debatte ist, wie frei hier über die Lebensbedingungen von Arbeitnehmern verfügt wird und wie sich dabei der höchste Vertreter einer der mitgliederstärksten Gewerkschaften präsentiert.

Ein Vorschlag zur Güte - klassenversöhnend

Schon die Antwort auf die erste Frage der Journalisten zeigt die Stellung der Gewerkschaft zu der von ihr vertretenen arbeitenden Bevölkerung:

SZ: Herr Hoffmann, wie schlimm trifft Corona die deutschen Arbeitnehmer?

Jörg Hoffmann: Wir sehen einen einmaligen Einbruch des Weltmarkts. Der Tiefpunkt dürfte, wenn es zu keiner zweiten Welle kommt, hinter uns liegen. Aber die Erholung wird lange dauern.

Eine Antwort auf die gestellte Frage ist das eigentlich nicht, denn Hoffmann verliert keine Silbe zu den Folgen der Pandemie für diejenigen, die er vertritt. Er behandelt seine Klientel gleich als abhängige Variable des Wirtschaftsgeschehens. Dass sie nur dann ihren Lebensunterhalt bestreiten kann, wenn die Gewinnrechnung der Unternehmen stimmt, ist ihm die größte Selbstverständlichkeit; daher gilt seine Sorge in erster Linie der Frage, wie deutsche Unternehmen der Metallbranche auch weiter auf der Welt erfolgreich sein können.

Dass deren Profite zur Zeit bedroht sind, weil sich ihre Produkte nicht mehr in ausreichender Zahl absetzen lassen, und sie daher ihre Produktion mit dem Einsatz neuer Technologien - Stichwort Digitalisierung - wieder auf Gewinnträchtigkeit trimmen wollen, macht sich der Arbeitnehmervertreter als Anliegen zu eigen und sieht die Regierung gefordert, den Erfolg der Unternehmen zu sichern. Dass diese neue Rationalisierungswelle viele der von ihm Vertretenen den Lebensunterhalt kosten wird, ist dabei als Normalität des Geschäftsgangs unterstellt. Aber deren Situation ist eben nicht Thema, wenn alles dafür getan werden muss, die Wirtschaft zu fördern.

Als Gewerkschafter will Hoffmann schlicht und ergreifend seinen Beitrag zu dieser angeblichen Gemeinschaftsaufgabe leisten. So wie der Staat mit Kurzarbeit den Unternehmen in der Wirtschaftskrise hilft, Lohnkosten zu sparen - und sich damit für den Neustart in der Weltmarktkonkurrenz fit zu machen -, will die Gewerkschaft den "Strukturwandel" in der Metallindustrie, wie Hoffmann die nächste Rationalisierungswelle nennt, mit der Vier-Tage-Woche unterstützen. Den Unternehmen würde so wie auch mit den bisherigen sozialstaatlichen Maßnahmen geholfen, ihre Fachkräfte zu behalten.

Dass dies auch eine Leistung für die Arbeitnehmer ist, muss dabei nicht groß betont werden, ist einfach als Begleiterscheinung des Unternehmenserfolgs unterstellt. Können die verehrten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen doch froh sein, dass ihnen überhaupt noch eine Gelegenheit geboten wird, Geld zu verdienen. Da soll sich die Frage erübrigen, wie viel man an Lohn mit nach Hause nimmt und ob das für den Lebensunterhalt reicht. Hauptsache, man hat einen Arbeitsplatz (Björn Hendrig: Arbeitsplatz - der Test) in einem wettbewerbsfähigen Unternehmen, das die internationale Konkurrenz in die Schranken verweist - dieses Schicksal nennt der IG Metall-Chef dann auch noch "gute Arbeit".

Ganz vergessen hat der Arbeiterführer die Lohnfrage jedoch nicht, es geht ja schließlich um eine Tarifrunde. Der Vorschlag soll verbunden sein "mit einem gewissen Lohnausgleich für die Beschäftigten, damit es sich die Mitarbeiter auch leisten können, mit Anreizen, diese freie Zeit für berufliche Fortbildung zu nutzen". (SZ) Auf einem vollen Ausgleich will Hoffmann keinesfalls bestehen. Mit einer Maximalforderung einsteigen und sich dann groß um die Höhe des Ausgleichs streiten, will er offensichtlich auch nicht, wenn er gleich nur eine "gewisse" Schadensbegrenzung für seine Leute ins Spiel bringt. Äußerst devot, nachdem die IG Metall bereits im Frühjahr die Tarifrunde aussetzte und auf den Ausgleich für Preissteigerungen und Leistungssteigerungen der letzten Jahre verzichtete!

Dass er nicht das Wohlergehen seiner Mitglieder im Auge hat, wird auch daran deutlich, dass er nicht einfach mehr Freizeit fordert - wie etwa in den legendären Kämpfen der Vergangenheit, etwa beim IG Metall-Streikaufruf von 1984: "Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen - dafür steht die 35-Stunden-Sonne". Wenn Arbeiter und Arbeiterinnen schon mehr Zeit für sich selbst statt für den Aufenthalt in Fabrik und Büro bekommen, sollen sie diese gefälligst für den Wirtschaftserfolg Deutschlands nutzen. Sie sollen sich weiterbilden, also fit machen für ihr weiteres Arbeitsleben, sei es inner- oder außerhalb ihres bisherigen Betriebs, um auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft zu bestehen.

Denn dass bei der Annahme seines Vorschlag auf Entlassungen verzichtet würde, das will der Chef der IG Metall nicht versprechen. Er ist Realist. Seine Initiative zielt auf eine "Lösung in Kombination von Zeit und Geld", die die Betriebe nicht belasten, sondern ihnen aus der Krise helfen soll.

Eine Kombination, die für die Arbeitnehmer immer eine negative Alternative darstellt! Überlassen sie doch dem Unternehmen die Verfügung über ihre Arbeitskraft stets für eine bestimmte Zeit und werden demgemäß bezahlt, so dass ihnen folgende Rechnung aufgemacht wird: Mehr Zeit zur Gestaltung des eigenen Lebens heißt weniger Geld, es zu gestalten, während mehr Zeit, die in der Arbeit verbracht wird, zwar mehr Einkommen schafft, damit aber auch mehr Belastung und Verschleiß und weniger Zeit, das Leben zu genießen, bedeutet. Insofern kommt das Versprechen des Arbeiterführers, das Problem mit einer Kombination von Zeit und Geld zu lösen, einer Drohung gleich.

Zum Wohle Deutschlands - eine Kampfansage ans Fußvolk

Die Öffentlichkeit reagierte eher wohlwollend auf diesen neuesten gewerkschaftlichen Vorstoß - war doch seine konstruktive Stoßrichtung klar erkennbar: Er "soll Firmen in der Corona-Krise ebenso helfen wie Autoherstellern im Strukturwandel. Durch den langsamen Abschied vom Verbrennungsmotor sind in der Branche Hunderttausende Jobs bedroht." (General-Anzeiger, 25.8.20)

Derselbe Kommentar bemängelte dann aber doch einen "Denkfehler" des IG Metall-Vorschlags. Wenn schon "Strukturwandel" zu bewältigen ist, und zwar von Firmen, die auf ihre Ertragslage im schärfer werdenden Wettbewerb zu achten haben, dann müsse man denen auch die Kalkulation mit Beschäftigungsverhältnissen überlassen. Was brauchen die im Fall des Falles? Sind da eventuell Modelle einer "geteilten Schicht" eine bessere Lösung? Und da man auf das "digitale Prekariat" nicht verzichten kann, was soll da eine Pauschallösung mit vier Tagen? Starre gewerkschaftliche Vorgaben sind da nicht zielführend ...

Dass sein Vorschlag nicht nur auf Zustimmung stoßen würde, hatte der gewiefte Arbeiterführer natürlich gleich mitbedacht. Und so begegnete er vorauseilend dem Vorwurf, dies würde der Wirtschaft schaden, mit vielen positiven Beispielen. Durch die Einführung der Vier-Tage-Woche hätten die Unternehmen weniger variable Lohnkosten. Zudem ging er als Kenner des betrieblichen Alltags davon aus, dass weniger Arbeitszeit nicht weniger Arbeit bedeutet, dass vielmehr die Produktivität in der verbleibenden Zeit gesteigert werden kann. In kürzerer Zeit können sich Arbeitnehmer eben mehr verausgaben. Außerdem würden so dem Betrieb Fachkräfte gesichert und Kosten für Sozialpläne gespart.

Für einen deutschen Gewerkschafter ist das alles heutzutage eine Selbstverständlichkeit. Er tritt natürlich für den Erfolg der deutschen Auto- und Metallindustrie ein. Firmen anderer Nationen sind somit Gegner; wenn dort Arbeitsplätze abgebaut werden, trifft es die Richtigen. So geht heute internationale Solidarität der Gewerkschaften - als Kampfansage ans Ausland! Was natürlich die unternehmerische Kampfansage ans heimische Fußvolk, dass der nächste Strukturwandel wieder auf seine Knochen geht, einschließt, ihr jedenfalls nichts entgegensetzt.

Prof. Dr. Suitbert Cechura lehrte Soziale Arbeit im Gesundheitswesen/Sozialmedizin. Buchveröffentlichungen u.a.: Unsere Gesellschaft macht krank, Tectum Verlag Baden-Baden 2018, Inklusion - das Recht auf Teilhabe an der Konkurrenz, Kindle 2017, Kognitive Hirnforschung - Mythos einer naturwissenschaftlichen Theorie menschlichen Verhaltens, VSA Hamburg 2008.

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