Auch eine Art Schönheitswettbewerb
Physische Attraktivität und Wahlerfolg
Die SPD wechselt Kurt Beck (übergewichtig, Mecki-Frisur, 1980er-Jahre-Zweireiher, Doppelkinn und Stoppelbart) gegen Frank Walter Steinmeier und Franz Müntefering aus – und schon steigen die Umfragewerte. In den USA führt lange der gutaussehende Barack Obama die Umfragen zur Präsidentschaftswahl an – bis sein Gegner McCain eine 44jährige ehemalige Teilnehmerin an einem Schönheitswettbewerb nominiert. Und bei der Nationalratswahl in Österreich dürfte die FPÖ mit dem adretten Heinz-Christian Strache den Umfragen zufolge kräftig bei vormaligen Wählern der ÖVP punkten. Ein Effekt, der - so Beobachter - mit einem Karl-Heinz Grasser statt einem sehr wenig telegenen Wilhelm Molterer als Spitzenkandidaten möglicherweise nicht in diesem Ausmaß eingetreten wäre. Ähnliches wird für die Landtagswahl in Bayern vermutet, wo sich Horst Seehofer anschickt, das physisch wenig attraktive Spitzenduo Günther Beckstein und Erwin Huber im Falle eines zu schlechten Ergebnisses zu beerben.
Der Soziologe Ulrich Rosar untersuchte, ob und wie das Erscheinungsbild von Politikern mit dem Ausgang von Wahlen zusammenhängt. Telepolis befragte ihn dazu.
Herr Dr. Rosar - Sie haben sich wissenschaftlich mit dem Zusammenhang zwischen physischer Attraktivität und Wahlerfolg beschäftigt. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Dr. Ulrich Rosar: Zunächst einmal haben wir uns zu verschiedenen Wahlen Informationen über die Kandidaten, die Parteien und das Umfeld der Wahl besorgt – darunter fiel zum Beispiel das Wahlrecht, weil wir ja verschiedene Länder verglichen. Dann haben wir Portraitfotografien der Kandidaten gesammelt. Die legten wir anschließend einer Gruppe von 24 Versuchspersonen vor. Jede Versuchsperson sollte zu jedem gezeigten Foto eine Attraktivitätsbeurteilung auf einer siebenstufigen Skala abgeben. Diese Bewertungen wurden anschließend zu einem Durchschnittswert verarbeitet. Man unterstellt dabei, dass dieser Durchschnittswert den wahren Attraktivitätswert einer Person widerspiegelt. Das ist der so genannte "Truth of Consensus".
Anschließend ließen wir die Daten, die wir so gesammelt hatten, in ein Analyseverfahren einfließen. Das nennt sich entweder Regressionsanalyse oder hierarchisch-lineare Regressionsanalyse – je nachdem, welche Datenstruktur man hat. Damit versuchten wir unter Kontrolle aller anderen Einflussfaktoren herauszufinden, welchen Einfluss die Attraktivität auf den Wahlerfolg hatte. Abhängige Variable war dabei der Stimmanteil der jeweiligen Parteien bei den Wahlen.
Und zu welchen Ergebnissen kamen Sie?
Dr. Ulrich Rosar: Man kann alles in allem sagen, dass attraktive Politikerinnen und Politiker gegenüber ihren unattraktiven Kollegen einen Vorteil haben. Der Effekt schwankt zwischen verschiedenen Wahlen. Und er schwankt auch ein bisschen danach, ob es Spitzenkandidaten oder nur Wahlkreiskandidaten sind. Aber im Großen und Ganzen kann man sagen, dass politische Wahlen zumindest bis zu einem gewissen Grad auch eine Schönheitskonkurrenz sind.
Hatte die physische Attraktivität bei Spitzenkandidaten einen größeren Einfluss als bei Wahlkreiskandidaten?
Nein. Es ist eher umgekehrt. Bei den Spitzenkandidaten ist es so, dass zum Beispiel durch die Medienberichterstattung sehr viel mehr Informationen für die Wählerinnen und Wähler zugänglich sind als nur die bloße äußere Anmutung. Bei den Wahlkreiskandidaten ist es genau umgekehrt. Da kennen die meisten das Foto vom Sehen und wissen ansonsten nicht viel über den Kandidaten. Wenn sie in der Wahlkabine den Namen lesen, dann erinnern sie sich an diese Fotos. Insbesondere an die der attraktiveren Kandidaten. Deshalb ist der Effekt bei Wahlkreiskandidaten etwas stärker.
Gab es Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Dr. Ulrich Rosar: Interessanterweise nicht. Wir haben bei einer Studie einmal einen kleinen Effekt gefunden, der hatte aber letztendlich keine ausschlaggebende Bedeutung. Alles in allem kann man sagen, dass die Attraktivität gleichermaßen bei Männern und Frauen wirkt. Zumindest nach unseren Befunden.
Gilt das auch für Wählerinnen und Wähler?
Dr. Ulrich Rosar: Wir haben auf der Basis einer Umfragestudie auch untersucht, ob es Unterschiede auf Seiten der Wähler gibt. Das war nicht der Fall.
Gibt es auch Mitleids- oder Solidarisierungseffekte?
Dr. Ulrich Rosar: Nein. Das haben wir bisher nicht beobachten können.
Inwieweit lassen sich diese Ergebnisse verallgemeinern - oder, anders formuliert, inwieweit lassen sie Vorhersagen zu?
Dr. Ulrich Rosar: Vorhersagen sind im Zusammenhang mit Wahlen immer sehr schwierig, weil kurzfristige Ereignisse den Wahlausgang deutlich beeinflussen können. Denken Sie an die Bundestagswahl 2002, da hatte man die SPD im Sommer schon fast abgeschrieben. Dann kam die Oderflut - und es gelang Schröder viel besser als seinem Herausforderer Edmund Stoiber, sich in Szene zu setzen, was maßgeblichen Einfluss darauf gehabt haben dürfte, dass es Schröder damals noch einmal geschafft hat.
Was man aber auf jeden Fall sagen kann, ist, dass Parteien bestrebt sein sollten, möglichst attraktive Kandidaten aufzustellen - beziehungsweise ihre Kandidaten in einem möglichst positivem Licht zu präsentieren. Das hilft zumindest.
Konnten Sie bei den von Ihnen festgestellten Zusammenhängen über die Zeit hin eine Veränderung feststellen – und wenn ja, welche Rolle spielen Medien dabei?
Dr. Ulrich Rosar: Wir haben noch keine endgültigen Ergebnisse. Wir sind aber grade dabei, für Landtagswahlen zu untersuchen, wie sich der Effekt im Zeitverlauf verändert hat. Allerdings konnten wir dabei erst die Landtagswahlen ab 1990 einbeziehen. Und seitdem haben wir keine Veränderung festgestellt. Der Effekt wurde weder stärker noch schwächer. Aber 18 Jahre sind historisch betrachtet natürlich nur ein relativ kurzer Zeitraum.
Haben Sie den Eindruck, dass Parteien mit den von Ihnen gewonnenen Erkenntnissen arbeiten?
Dr. Ulrich Rosar: Ich würde nicht so weit gehen, zu behaupten, dass sich die Parteien auf unsere Erkenntnisse stützen, aber zumindest machen einige sehr große Anstrengungen, ihre Kandidaten möglichst attraktiv erscheinen zu lassen. Zum Beispiel die SPD, die bei der letzen Bundestagswahl einen extremen Aufwand betrieben hat, um die Kandidaten möglichst optimal zu präsentieren - bis hin zur digitalen Retusche der Fotos ihrer Wahlkreiskandidaten. Oder denken Sie an die Metamorphose, die Angela Merkel in den letzten 10 - 12 Jahren durchlaufen hat, was ihr Äußeres angeht. Das war mit Sicherheit auch dem Umstand geschuldet, dass der CDU/CSU (beziehungsweise auch Frau Merkel) bewusst war, dass Wähler eben auch auf das äußere Erscheinungsbild achten.