Auch in Falludscha verhungern Menschen
Der Krieg gegen den IS hinterlässt Zerstörung und verursacht weitere Flüchtlingsströme
Bundesinnenminister de Maizière ist nach Afghanistan gereist, um irgendwie dafür zu sorgen, den Zustrom afghanischer Flüchtlinge nach Europa zu reduzieren, was schon länger beabsichtigt ist ("Dem Wohlergehen aller Afghanen verpflichtet"). In einem Gespräch mit dem afghanischen Sender versicherte der Minister, dass Flüchtlinge in Deutschland wenig zu erwarten haben, während einige Kilometer entfernt durch einen Selbstmordanschlag in Kabul 20 Menschen starben und viele verletzt wurden.
In vielen Gebieten Afghanistans wird gekämpft, die Menschen drängen weiter darauf, Pässe zu erhalten, um aus dem Land ausreisen zu können. Die Regierungsvertreter beschwören zwar die Bürger, im Land zu bleiben, viele haben ihre Familienangehörigen aber selbst schon längst im Ausland in Sicherheit gebracht (Afghanistan: Die Armen sollen im Land bleiben). Auch wenn die Afghanistan-Mission verlängert wird, wären militärisch viel zu wenig Soldaten im Land, um Sicherheit garantieren zu können, wozu die afghanischen Sicherheitskräfte (noch) nicht in der Lage sind. De Maizière erklärte: " Die Chancen, erfolgreich in Deutschland zu bleiben, sind ganz gering." Die deutsche Regierung hat schon länger eine Abschreckungskampagne in Afghanistan gestartet (Propaganda auf afghanischen Straßen). Ohne sichtbares Ergebnis.
Ein paar tausend Kilometer entfernt wird in Genf über eine politische Lösung des Syrien-Konflikts diskutiert. Man muss jederzeit mit einem Scheitern rechnen. Kaum vorstellbar ist, wie sich die syrischen Konfliktparteien, sofern überhaupt eingeladen, und die Groß- und Regionalmächte einigen sollen. Libyen wird zunehmend zu einem Land, in dem sich der Islamische Staat ausbreiten kann, der intensiv Kämpfer aus Afrika anwirbt und offenbar noch genügend Geld dazu hat.
Auch im Irak herrscht weiter Krieg. Dort versuchen die irakischen Truppen mit der Hilfe von schiitischen Milizen nach Ramadi auch Falludscha einzunehmen, das weiterhin vom IS gehalten wird. Schon die Rückeroberung von Tikrit und Ramadi hinterließ zerstörte Städte und viele Menschen, die geflüchtet sind vor dem IS, den Regierungstruppen, den schiitischen Milizen und der Bombardierung durch die US-geführte Koaltion. Um Ramadi und Tikrit wird weiter gekämpft, die Belagerung von Falludscha zeigt wieder, dass die mögliche Befreiung nur mit großer Zerstörung und menschlichem Leid einhergeht.
Seit drei Monaten blockieren nun die irakischen Streitkräfte, unterstützt durch schiitische Milizen, die der Regierung nur bedingt unterstehen und oft nicht viel anders vorgehen als die IS-Kämpfer, die nicht weit von Bagdad liegende Stadt. Zwischen 30.000 und 60.000 Menschen sollen sich dort noch aufhalten, einst lebten hier um die 300.000 Menschen. Mindestens 10 Menschen, sicher keine IS-Kämpfer, sollen bereits wegen der Blockade verhungert sein, wegen der weder Lebensmittel noch Medikamente oder Treibstoff in die Stadt gelangen. Mit der Eroberung von Ramadi wurde die Versorgung der IS-Kämpfer in Falludscha gekappt. Während gerade das Assad-Regime international kritisiert wird, weil es eine ähnliche Blockade um Madaya aufrechterhält, das von der Freien Syrischen Armee kontrolliert wird, herrscht Stillschweigen.
Lise Grande, die UN-Sondergesandte für den Irak, kann die Berichte über Hungertote nicht verifizieren, erklärt aber, dass die humanitäre Situation sich in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert habe: "Wir sind sehr beunruhigt über unbestätigte Berichte, dass die die Sitauion so schlecht ist, dass Menschen vielleicht sterben."
Genauere INformationen gibt es nicht, wie viele IS-Kämpfer sich noch in der Stadt aufhalten, man spricht von bis zu 2000. Während der IS die verbliebenen Bewohner an der Flucht hindern soll, üben die irakischen Streitkräfte Druck auf diese mit der Blockierung aus, die Stadt zu verlassen, um dann mit massiver Gewalt gegen die dort verbarrikadierten IS-Kämpfer vorgehen und damit die Stadt mit Artillerie und Luftangriffen zerstören zu können, ohne Kollateralschäden fürchten zu müssen. Ein Sprecher des irakischen Vereidigungsministeriums erklärte, die Zivilisten sollten die Stadt verlassen oder die IS-Kämpfer selbst vertreiben. "Wer in der Stadt bleiben will und wer den IS als Staat bezeichnet, dann sollte deren Staat sie mit Sicherheit, Lebensmittel und Medizin versorgen. Ist das nicht die Pflicht eines Staates?" Ein Leben gilt hier nicht viel. Wer flieht riskiert den Tod oder Grausameres, wer bleibt ebenfalls.
In der Stadt herrscht Hunger. Angeblich sollen auch hier die Bewohner bereits Gras essen, wie das in manchen Teilen von Syrien der Fall ist. Ohne Strom und Treibstoff können auch die Wasserpumpen zum Bewässern von Gärten oder Feldern nicht laufen. Die IS-Kämpfer sollen sich hingegen Vorräte gesichert haben. Nur ist im Irak die von den westlichen Mächten unterstützte irakische Regierung der Grund. Die Zivilisten sind die Geisel der Konfliktparteien. Von den irakischen Sicherheitskräften heißt es, sie würden einen Korridor offen halten, um Lebensmittel in die Stadt zu transportieren und Menschen die Flucht zu ermöglichen. Aber das scheint eher vorgeschoben zu sein. Ein Vertreter der schiitischen Milizen sagte gegenüber dem WSJ, dass keine LKWs in die Stadt gelassen würden, weil damit der IS unterstützt werde. Der werde die Güter erhalten und sie in seinem Sinne verwenden.
Falludscha war nicht nur während der amerikanischen Besatzung ein Hort des islamistischen Widerstands, es war auch die erste Stadt, die dem IS in die Hände gefallen ist, nachdem die schiitisch dominierte irakische Regierung brutal gegen Proteste der Sunniten vorgegangen war, die gegen die Repression protestierten. Wenn jetzt die schiitischen Milizen eine wichtige Rolle spielen, weil die irakischen Streitkräfte zu schwach sind, dann ist zu erwarten, dass die sunnitische Bevölkerung nichts Gutes erwarten kann, was wiederum den Rückhalt des IS stärkt. Und insgesamt wird die Politik, die alleine auf einen militärischen Sieg über den IS setzt, kaum dazu beitragen, den Flüchtlingsstrom aus dem Irak zu begrenzen oder gar sunnitische Iraker dazu zu bringen, wieder in den Irak zurückzukehren.