"Dem Wohlergehen aller Afghanen verpflichtet"
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Die deutsche Politik gegenüber den Flüchtlingen aus Afghanistan
Anlässlich des kürzlich erfolgten Besuches des afghanischen Ministerpräsidenten Ashraf Ghanis in Berlin, wiederholte Bundeskanzlerin Merkel das Vorhaben der Bundesregierung, vermehrt Geflüchtete nach Afghanistan abzuschieben. Ob diese Pläne tatsächlich realisiert werden oder vornehmlich als Signal der Abschreckung an Menschen in Afghanistan gedacht sind, bleibt abzuwarten.
Besorgniserregend ist, dass damit erneut Grundsätze des Asylrechts zur Disposition gestellt und Ressentiments gegenüber Geflüchteten geschürt werden. Wie bedeutungslos dabei die tatsächliche Situation der Menschen in Afghanistan ist, wird bei einem Blick auf die aktuelle Lage des Landes deutlich.
Als Ministerpräsident Ashraf Ghani und Bundeskanzlerin Merkel am vergangenen Mittwoch in Berlin vor die Kameras traten, versuchten sie ein Bild der Einigkeit zu demonstrieren. Die deutsch-afghanische Geschichte der Zusammenarbeit seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde beschworen und ein klares gemeinsames Ziel für die nahe Zukunft ausgegeben: Die Migration aus Afghanistan in Richtung Deutschland stoppen. Dies sei sowohl im Sinne der afghanischen als auch der deutschen Regierung, so sagten beide.
Vor einigen Wochen waren aus Kabul noch andere Töne zu vernehmen. Der Migrationsminister ließ verlauten, dass es keinerlei Verträge über die Rücknahme von afghanischen Geflüchteten gebe und er die Regierung in Deutschland darum bitte, keine Abschiebungen nach Afghanistan zu vollziehen. Und der Gouverneur von Kunduz macht gegenüber der FAZ klar, dass er bereits dabei sei, seine eigene Flucht vorzubereiten.
Nachdem Außenminister Steinmeier allerdings bei der Regierung der Nationalen Einheit durchklingelte und im Auswärtigen Amt die Kürzung von Entwicklungshilfe-Geldern für Afghanistan diskutiert wurde, verstummten solche Stimmen abrupt. Ghani beteuerte, Afghanistan würde seinen Pflichten bei der Rücknahme natürlich nachkommen und sandte während der Pressekonferenz am Mittwoch die Botschaft nach Afghanistan, "dass die Straßen in Deutschland mitnichten mit Gold gepflastert sind."
Dies dürfte der Kanzlerin gefallen haben, ist ihre Regierung doch momentan darum bemüht auf allen Kanälen eine klare Botschaft an Afghanen zu senden - bleibt bloß weg!
Eine der Blüten, die dieses innenpolitisch motivierte Interesse an Afghanistan treibt, ist momentan in Großstädten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Scharif zu sehen. Dort wurden große Plakate angebracht, auf denen in den Landessprachen Dari und Pashto von der Flucht nach Deutschland abgeraten wird.
Ein anderer Vorschlag nimmt Personen ins Visier, die Deutschland bereits erreicht haben. Das Bundesinnenministerium (BMI) kündigte an, afghanischen Asylsuchenden keinen Zugang zu Deutschkursen mehr zu gewähren. Begründet mit einer "schlechten Bleibeperspektive" wird damit gesellschaftliche Partizipation erschwert und die Isolation von Asylsuchenden gefördert. Den Kern der Abschreckungskampagne bilden allerdings die genannten Pläne zur Abschiebung von afghanischen Geflüchteten.
Was sich zu Beginn nach einer weiteren Räuberpistole des BMIs in Persona von Thomas de Maizière anhörte - der zur gleichen Zeiten auch die Aussetzung des Familiennachzuges von syrischen Geflüchteten ins Spiel brachte -, wird inzwischen ernsthaft erwogen und von führenden Unionspolitikern befürwortet. Laut der Zeitung Die Welt ist man sich unter internationalen Diplomaten in Kabul darüber einig, dass erst eine tatsächliche Welle an Abschiebungen der Strategie der Abschreckung Nachdruck verleihen würde.
Ob Abschiebungen in großer Zahl wirklich stattfinden werden, ist momentan kaum abzusehen. Bei der aktuellen Situation in Afghanistan stellt jedoch bereits die Diskussion über Abschiebungen einen letzten Grundsatz der deutschen Asylpolitik - die Aussetzung von Abschiebungen in Kriegsgebiete - zur Disposition.
Umgangssprachlich Krieg
Anfang 2010 wurde der damalige Verteidigungsminister Guttenberg euphorisch für seine Äußerung gefeiert, dass man die Situation in Afghanistan "umgangssprachlich als Krieg bezeichnen" könne. Mit seiner geschickten Formulierung, die einer juristischen Bezeichnung als Krieg mit all ihren Implikationen auswich, traf Guttenberg einen Nerv.
Denn zumindest dem Anschein nach bestätigte sie, was viele dachten: Es herrscht Krieg in Afghanistan. Das war 2010. In den folgenden fünf Jahren verschlechterte sich die Lage in Afghanistan nochmals. Im Jahr 2015 starben so viele Zivilisten wie seit Beginn der ISAF-Mission 2001 nicht mehr, allein im Oktober kamen knapp 500 Sicherheitskräfte der Regierung ums Leben und die Taliban kontrollieren größere Gebiete als noch 2001.
Es ist auch keine Einteilung des Landes in einen sicheren Norden und unruhigen Süden mehr möglich. Dies demonstrierten die Taliban auf eindrucksvolle Weise durch die zeitweilige Einnahme der Stadt Kunduz, die zu Beginn des Einsatzes wegen der entspannten Sicherheitslage unter Soldaten noch als "Bad Kunduz" bekannt war.
Zudem wird ein Schwarz-Weiß-Bild von progressiven Regierungskräften und mittelalterlichen Taliban-Barbaren der komplexen Realität nicht gerecht. Alle an diesem Krieg beteiligten Akteure begehen Menschenrechtsverletzungen und töten Zivilisten.
Lokale Warlords drangsalieren die Bevölkerung und während US-Soldaten vor kurzem ein Krankenhaus der Organisation Ärzte ohne Grenzen" in Schutt und Asche legten (Krankenhaus Kunduz: Versehentlich das falsche Gebäude vernichtet), töteten Regierungstruppen vor wenigen Tagen zwölf Zivilisten in der zentralafghanischen Provinz Wardak mit Mörsergranaten, die eigentlich den Taliban galten.
Diese wiederum kontrollieren, trotz interner Streitigkeiten um die Nachfolge des schon vor zwei Jahren verstorbenen Mullah Omars, große Teile des Landes. Außerdem begehen sie weiterhin Bombenanschläge und bekämpfen sich in verschiedenen Provinzen mit Ablegern des IS. Diese setzen sich in Afghanistan oft aus ehemaligen Taliban-Gruppierungen oder Angehörigen der "Islamischen Bewegung Usbekistans" zusammen.
Zusammenfassend konstatiert ein interner Bericht des Auswärtigen Amtes eine "dramatische Erhöhung der Bedrohungslage" und stuft die Gefahr für Leib und Leben in jedem zweiten der 398 Distrikte Afghanistans als "hoch" oder "extrem" ein.