Auf dem Ego-Trip

Nach der 14. Shell-Jugendstudie sinkt das Interesse an Politik weiterhin, die Jugendlichen seien leistungsbereit, aber wollen ihren Spaß

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Die Jugend soll sich nun endgültig auf dem Ego-Trip befinden. So zumindest lautet ein Resümee der 14. Shell-Jugendstudie, die in Berlin vorgestellt wurde. "Aufstieg statt Ausstieg: Jugendliche gestalten ihre Zukunft pragmatisch und zielorientiert", ist eine der Hauptthesen der Studie. Im Vorfeld der Bundestagswahlen verweisen die Forscher darauf, dass die Jugendlichen den Parteien und den Politikern wenig Lösungskompetenz zutrauen. In einem Wertecocktail suchen sich die Jugendlichen nur die Aspekte heraus, in denen sie sich selbst der Nächste sind.

Die Bilder aus den Hochwassergebieten zeigen, wie die Menschen unter Einsatz ihrer letzten Kraftreserven gegen die ansteigenden Fluten immer neue Sandsäcke befüllen und weiterreichen. Besonders Kinder und Jugendliche fassen bei diesen Selbsthilfeaktionen mit an. Ganz so unsolidarisch verhalten sich Jugendliche wohl doch nicht, wie es die nun in Berlin vorgestellte 14. Shell-Jugendstudie unterstellt.

Doch ganz so konträr wie es auf den ersten Blick erscheint, dass die Jugendlichen auf dem Ego-Trip seien und trotzdem mit anpacken, wenn Not am Mann ist, sind auch die Erkenntnisse aus der Jugendstudie nicht. Die Jugendlichen basteln sich ein eigenes Weltbild, in dem es keinen Widerspruch zu Leistung, Sicherheit und Einfluss gibt. Diese Synergie wird angereichert durch Kreativität, Toleranz und Genuss. Die "Jugend" braucht eben auch Spaß als Lebenselixier. Ob allerdings wirklich die bislang unterstellte "'Null-Bock'-Stimmung früherer Generationen" passé ist, wie es der Projektleiter Prof. Dr. Klaus Hurrelmann interpretiert, kommt wohl auf die jeweilige Region der befragten Jugendlichen an. Optimismus kann man nur entwickeln, wenn es auch wirtschaftliche Zeichen für ausreichend Ausbildungsstätten und weitere berufliche Perspektiven gibt. Nach der Hochwasserkatastrophe müssen gerade in Ostdeutschland noch mehr Anstrengungen unternommen werden, um den Jugendlichen ihre Leistungsbereitschaft nicht durch Perspektivlosigkeit zu nehmen.

Politik ist uninteressant

Im Vergleich zur letzten Studie sinkt das Vertrauen in die Parteien und in die Politiker noch mehr. Aber auch der Bundesregierung, Kirchen, Gewerkschaften und Bürgerinitiativen wird nur mäßig vertraut. "Als besonders vertrauenswürdig werden hingegen parteiunabhängige staatliche Organisationen wie die Justiz oder Polizei, aber auch Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen eingeschätzt." Lediglich 34 Prozent der mehr als 2.500 Befragten interessieren sich überhaupt noch für Politik. Nur 35 Prozent wollen an Wahlen teilnehmen und weitere 37 Prozent "wahrscheinlich" zum Wählen gehen.

Parteipolitisch ordnet sich die Mehrzahl der Jugendlichen eher leicht links von der Mitte ein. Dem politischen Extremismus wird eine klare Absage erteilt, eher stehen sie einer der großen Volksparteien nahe. Der Trend zu den Grünen ist im Vergleich zu den 80er und 90er Jahren abnehmend. Dennoch gibt es hoffnungsvolle Ansätze der gesellschaftlichen Betätigung: "Dessen ungeachtet sind die Heranwachsenden gesellschaftlich aktiv. Dabei orientieren sie sich an konkreten und praktischen Fragestellungen, die für sie auch mit persönlichen Chancen und Nutzen verbunden sind."

Jugendliche Typologisierung

Besonders für die Öffentlichkeit braucht man schlagkräftige Stichworte um "die Jugend" zu umschreiben. Daher verschließen sich die Forscher auch nicht dieser Stigmatisierung und bieten vier "Typenbezeichnungen" an, die sich den Herausforderungen des Alltags stellen: "selbstbewusste Macher", "pragmatische Idealisten", "zögerliche Unauffällige" und "robuste Materialisten".

Bei den erst genannten Typen stehen Leistungen und Erfolg unter möglichst großer sozialer Absicherung im Vordergrund. "Die "robusten Materialisten" und die "zögerlichen Unauffälligen" kommen mit den Leistungsanforderungen in Schule und Beruf weniger gut zurecht. Sie sehen deshalb verstärkt skeptisch in ihre persönliche Zukunft. Während die Unauffälligen mit Resignation und Apathie auf ihre ungünstige Situation reagieren, demonstrieren die "robusten Materialisten", eine vorwiegend männliche Gruppe, zumindest äußerliche Stärke. Um ans Ziel zu kommen, setzen sie häufig ihre Ellenbogen ein und übertreten im Zweifelsfall auch bewusst gesellschaftliche Regeln." Diese Gruppen sichern sich häufig noch weiter zu sozial schwächeren Gruppen ab.

Hier zeigt sich auch ein Trend zu politischem Radikalismus. "Zentrale Aufgabe der Gesellschaft ist es, diese beiden Gruppen zu integrieren", sagt Hurrelmann. "Die Unauffälligen müssen aus ihrer Passivität herausgeholt und gefördert werden." Den Materialisten wird man Grenzen aufzeigen müssen, um einen Integrationsprozess einzuleiten.

Jugendliche wollen Probleme selbst lösen und sie sind, wenn die Zukunftsperspektiven vorhanden sind, äußerst leistungsbereit. Selbst Familienplanung steht bei ihnen als Sicherungsmaßnahme auf dem Plan. Dennoch soll der Alltag Spaß machen und Anerkennung bringen. Als sei es ein gesellschaftlicher Spiegel, bringen die Jugendlichen den Parteien und Politikern wenig Vertrauen entgegen. Der Stern interpretierte die Studie im Vorfeld schon so, dass wohl 60 Prozent der Jugendlichen nicht zur Wahl gehen würden. Jeder hilft sich selbst und steht sich selbst am nächsten. Allerdings zeigt die Krisensituation in den Flutgebieten, dass Jugendliche auch selbstlos handeln können und wollen. Wenn nun in den Hochwassergebieten die beruflichen Perspektiven noch stärker gefährdet werden, steht dem politischen Radikalismus Tür und Tor offen. Und wenn Jugendliche wirklich so leistungsorientiert handeln und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, warum gibt man ihnen dann nicht auch mehr Rechte und Aufgaben?