Auf dem Weg zu einem neuen Unabhängigkeitsreferendum
Schottische Nationalpartei unter Druck - Referendum auch ohne Zustimmung Londons, Unabhängigkeit mit neuer Währung?
Weitgehend unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit außerhalb Schottlands hat die schottische Nationalpartei SNP vom 27. bis 28. April ihren Frühlingsparteitag abgehalten. Während die Augen der meisten Medien auf den Brexit gerichtet sind, scheinen Ereignisse in Schottland auf der Dringlichkeitsskala nach unten zu rutschen. Das ist ein Fehler, denn die schottische Politik wird von der Brexit-Krise beeinflusst, während gleichzeitig Entwicklungen im Gang sind, die Auswirkungen auf das gesamte vereinigte Königreich und darüber hinaus haben könnten.
Die SNP steht unter Druck. In Schottland haben soziale Auseinandersetzungen im Laufe der letzten Monate an Fahrt aufgenommen. Sowohl im privaten Sektor als auch dem öffentlichen Dienst nehmen Streiks zu. Es gibt wachsenden Unmut in der Bevölkerung darüber, dass die SNP die Austeritätspolitik der britischen Zentralregierung zwar in Worten ablehnt, sie in der Praxis aber umsetzt.
Gleichzeitig mobilisiert der außerparlamentarische Flügel der Unabhängigkeitsbewegung mit zunehmender Vehemenz. Für den 4. Mai ist in Glasgow ein "Marsch für die Unabhängigkeit" geplant, Demonstrationen in anderen Städten sind für den Juni angekündigt. Im vergangenen Jahr nahmen hunderttausende Menschen an solchen Demonstrationen teil, die völlig an den Strukturen der SNP vorbei organisiert werden.
Unabhängigkeitsreferendum ja, aber ...
Insgesamt hat die SNP ein Glaubwürdigkeitsproblem. Sie muss beweisen, dass sie in der Lage ist, der Mehrheit der schottischen Bevölkerung wesentlich verbesserte Lebensbedingungen zu bieten, egal ob innerhalb Großbritanniens oder im Rahmen eines unabhängigen Staates. Die Debatten und Beschlüsse während des Frühlingsparteitages spiegelten dieses Dilemma wider.
Da ist zum einen die Frage eines neuen Unabhängigkeitsreferendums. Schon am 24. April hatte SNP-Parteichefin und erste Ministerin Schottlands Nicola Sturgeon im Rahmen einer Regierungserklärung zum Brexit ein solches in Aussicht gestellt, gleichzeitig eine ganze Reihe von Vorbehalten dagegen aufgebaut.
So sagte sie dem Parlament, dass nun eine "sofortige Chance" existiere den Brexit in ganz Großbritannien zu verhindern. Doch wenn dies nicht gelinge, müsse man sich mit den Konsequenzen des Brexit und den "daraus folgenden Herausforderungen" unausweichlich befassen. Großbritannien werde in der internationalen Politik zunehmend an den Rand gedrängt. Die Unabhängigkeit sei somit ein Instrument um "unseren Platz in Europa zu schützen". Allerdings räumte Sturgeon auch ein, dass die britische Regierung einem Unabhängigkeitsreferendum zustimmen müsse. Ein nicht von der Zentralregierung genehmigtes Referendum, wie es in Katalonien der Fall war, strebt sie somit nicht an.
Dennoch verkündete Sturgeon auf dem Frühlingsparteitag am 27. April, dass sie im Mai einen Gesetzesentwurf für ein neues Unabhängigkeitsreferendum in das schottische Regionalparlament einbringen werde. Ein solches Gesetz könne bis Ende des Jahres beschlossen werden. Doch auch die Parteitagsdelegierten warnte Sturgeon vor einer kommenden "Blockadepolitik" Großbritanniens. Darüber, wie diese überwunden und ein zweites Referendum durchgesetzt werden kann, verlor sie keine Worte.
Mit dem Pfund oder mit neuer Währung?
Seit dem sehr knappen Ausgang des ersten Unabhängigkeitsreferendums im Jahr 2014 ist die SNP bemüht, schottische Unternehmen für die Unabhängigkeit Schottlands zu begeistern. Dafür gründete die Partei im Jahr 2016 eigens eine Kommission die sich mit "nachhaltigem Wachstum" für einen unabhängigen Staat auseinandersetzen sollte. Diese Kommission traf sich im Rahmen ihrer Arbeit mit zahlreichen Unternehmerverbänden sowie der schottischen Handelskammer, jedoch mit keiner einzigen Gewerkschaft. Entsprechend ist auch die Gewichtung des von der Kommission im Mai 2018 veröffentlichten Berichts. Zwar gibt es Lippenbekenntnisse für den Aufbau einer "Sozialpartnerschaft", das Hauptaugenmerk liegt jedoch darauf, wie in Schottland stabile Verhältnisse für die Wirtschaft geschaffen werden können.
Genau darüber entbrannte auf dem SNP-Frühlingsparteitag Streit. Unmut gab es über Vorschläge wie jenen, dass Unternehmenssteuern in einem unabhängigen Schottland niemals über dem Niveau des restlichen Großbritanniens liegen dürfen. Hinzu kam, dass die Kommission vorschlug, für den Zeitraum einer "ausgedehnten Übergangsperiode" das britische Pfund als Währung zu übernehmen.
Dagegen lief der keynsianistisch orientierte, der SNP nahestehende Thinktank "Common Weal" im Vorfeld des Parteitages Sturm. In diversen Diskussionspapieren wurde dargelegt, dass ein unabhängiges Schottland ohne unabhängige Währung keinerlei finanzpolitische Handlungsfähigkeit habe und somit der Gefahr ausgesetzt sei, auf unbestimmte Zukunft britischer Austeritätspolitik unterworfen zu sein. Hinzu käme, dass eine eigene Währung eine Vorbedingung für die EU-Mitgliedschaft Schottlands sei.
Am Ende stimmte eine knappe Mehrheit von 52 Delegierten für einen Ergänzungsantrag, welcher die Partei auffordert, für den Fall der Unabhängigkeit Maßnahmen zu treffen, die dem schottischen Parlament "die Einführung einer eigenen Währung so schnell wie praktisch möglich" erlauben soll.
Das ist eine klare Niederlage für den zögerlichen Kurs von Nicola Sturgeon. Sie reagierte darauf, indem sie in ihrer Parteitagsrede soziale Themen in den Vordergrund stellte. Sie plant die Einsetzung einer neuen Kommission, welche ausarbeiten soll, wie die Unabhängigkeit "zur Abschaffung von Armut, Arbeitslosigkeit und dem Erlangen von Gleichheit für alle" gestaltet werden kann. Man darf gespannt sein, ob auch dieses Mal wieder hauptsächlich Unternehmerverbände befragt werden.
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