Auf der Jagd nach dem letzten Grundbaustein der Materie
Wissenschaftler des CERN wollen "erste Zeichen" für die Beobachtung des Higgs Boson entdeckt haben
Bis auf ein Teilchen sind mittlerweile alle von der sogenannten Standardtheorie vorausgesagten subatomaren Teilchen nachgewiesen worden. Erst letzten Monat hat ein internationales Forscherteam den empirischen Nachweis des vorletzten Bausteins der Materie, des Tau-Neutrinos, gemeldet. Und natürlich wäre es für die Wissenschaftler, die das letzte der vorausgesagten Grundbausteine der Materie entdecken, das Higgs Boson, ein großer Triumph.
Ein internationales Forscherteam aus den USA, Griechenland, Korea und Japan hat im Juli bekannt gegeben, dass es am Tevatron-Teilchenbeschleuniger des Fermilab den ersten Beweis für das schon lange theoretisch durch die Standardtheorie vorhergesagte und indirekt durch experimentelle Hinweise bekannte subatomare Teilchen mit dem Namen Tau-Neutrino gefunden hat. Tau-Neutrino war bislang das vorletzte der noch nicht empirisch nachgewiesenen "Bausteine der Materie" und stellt die dritte Art von Neutrinos dar. Übrig bleibt jetzt nur noch der Nachweis des Higgs Boson. Nach der Standardtheorie gehören sechs Quarks (up, down, strane, charm, top und bottom), sechs Leptone (Elektron, Elektron-Neutrino, Myon, Myon-Neutrino, Tau und das kürzlich entdeckte Tau-Neutrino) mit den entsprechenden Antiteilchen, den Bosonen und Gluonen zum Teilchenzoo des Universums.
Zwischen dem Fermilab und CERN gibt es eine Art Wettlauf, wer zuerst das letzte Teilchen entdeckt und dafür ziemlich sicher den Nobelpreis einstecken kann. Das Fermilab wird Ende des Monats die Untersuchungen wieder aufnehmen, die Wissenschaftler von CERN aber haben möglicherweise nicht mehr viel Zeit, denn eigentlich soll der 1989 in Betrieb genommene LEP-Beschleuniger in einigen Wochen schließen. Geplant ist, den 27 Kilometer langen unterirdisch verlaufenden kreisförmigen Tunnel des LEP, mit dem bereits die W- und Z-Bosonen nachgewiesen wurden, durch eine neue Maschine im selben Tunnel - den Large Hadron Collider (LHC) - zu ersetzen. Mit dem aber könnte die Jagd frühestens 2005 weiter gehen.
Wissenschaftler, die im Rahmen des ALEPH-Experiments, das die Voraussagen der Standardtheorie untersuchen soll, mit dem Large Electron Positron (LEP) Beschleuniger arbeiten, haben berichtet, sie hätten möglicherweise bei ihren Experimenten erste Hinweise auf das Higgs Boson gefunden. Nachweise für dieses Teilchen sind wegen seiner extremen Flüchtigkeit besonders schwierig zu erlangen, denn eigentlich existiert es nur virtuell und zerfällt, bevor es beobachtet werden könnte. Nachweisen lässt sich das Higgs Boson also nur indirekt, wenn durch den Zusammenprall äußerst schnell beschleunigter Teilchen soviel Energie entsteht, dass ein Higgs Boson entsteht und seine Existenz aufgrund der Kombination aus Teilchen, in die es zerfällt, erkennbar ist.
Die verschiedenen subatomaren Teilchen variieren hinsichtlich ihrer Masse. Während die Photonen, Grundlage der elektromagnetischen Kraft, und die Gluonen, Grundlage der starken Kraft, keine Masse besitzen, wiegen die Z- und W-Teilchen soviel wie 80 Protonen oder ein Atomkern. Das Top Quark wiederum ist 350000 Mal schwerer als ein Elektron. Warum sich die Masse der Teilchen so unterscheidet, ist nach der Standardtheorie unbekannt. Die Stringtheorie hofft daraus, die erklären zu können. Aber das Standardmodell erklärt nach der Theorie von Peter Higgs, wie sie ihre Masse erlangen, nämlich durch die Intreaktion mit dem Higgs Boson. Je stärker die Interaktion, desto größer die Masse.
In seinem Bericht vom 5. September wies Dieter Schlatter darauf hin, dass bei den Experimenten vier mögliche Kandidaten für ein Higgs Boson entdeckt worden sein könnten, deren Masse außergewöhnlich von den anderen gemessenen Ereignissen abweicht und mit der von der Standardtheorie für Higgs Bosonen kompatibel wäre. Vorsichtig heißt es: "Exciting, but small number of events and not background free!" Schlatter betonte, dass sich weder behaupten noch ausschließen lasse, dass die Beobachtungen "ein erstens Zeichen für die Erzeugung von SM Higgs ist". Daher wird eine Verlängerung der Experimente mit dem LEP gefordert, um zumindest auszuschließen, dass die Beobachtungen von der Hintergrundfluktuation verursacht wurden, eine Kombination aus zufälligen Teilchen waren oder von anderen zerfallenden Teilchen verursacht wurden, die ähnliche Phänomene wie Higgs Bosonen hervorbringen. "Solche Erklärungen werden durch die Tatsache noch wahrscheinlicher", so New Scientist, "dass die anderen drei Teilchendetektoren des LEP keine Zeichen von Higgs-Ereignissen registriert haben."
So käme die Entdeckung gerade Recht, um eine Verlängerung der Experimente mit dem LEP zu legitimieren. Vorsichtig, wie der Befund mitgeteilt wurde, könnte natürlich dafür einiges sprechen. Nächste Woche wird in CERN darüber entschieden, ob der LEP noch bis Dezember weiter betrieben wird.
Anfang August wurde in CERN der Antiprotonen-Verzögerer (AD) in Betrieb genommen, um die mit hoher Energie durch einen Teilchenstrahl erzeugten Antiprotonen zu verlangsamen und so die Antimaterie genauer zu erforschen (Auf der Spur der Antimaterie).