Aufstand der Bauern: Sind die Proteste im Kern berechtigt?

Werden weniger Pestizide eingesetzt, müssen Trecker mehr fahren, so das Argument für die Agrardiesel-Vergünstigung. Symbolbild: 12019 / Pixabay Licence

Agrardiesel-Subvention entfällt schrittweise. Großbetriebe streichen weiter Gewinne ein. Für kleine Höfe sieht es anders aus.

Nötigung, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Eingriff in den Straßenverkehr - die Liste der Vergehen im Rahmen der Bauernproteste wird immer länger. Als Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag an einem Fähranleger in Schleswig-Holstein von Hunderten Landwirten daran gehindert wurde, an Land zu gehen, wurde dies vom Bauernverband ebenso verurteilt wie von dem grünen Agrarminister Cem Özdemir.

Nun kündigt der Deutsche Bauernverband ab dem 8. Januar eine ganze Aktionswoche an: Ziel ist es, möglichst viel Aufmerksamkeit für die Forderungen der Landwirte zu erreichen. Auch der Bundesverband Güterverkehr, Logistik und Entsorgung ruft seine Mitglieder zum Protest auf.

Darüber hinaus mobilisieren der Verband der "Freien Bauern" sowie der Verein "Land schafft Verbindung". Bauern und Bäuerinnen werden mit Traktoren erwartet. Proteste sind unter anderem in Bremen, Hamburg, Erfurt, Kiel, Mainz, München, Magdeburg und Schwerin angemeldet. Am 10. Januar startet eine Trecker-Kundgebung in Dresden.

Geplant: Blockaden von Autobahnen und Logistikzentren

Wie eine Sprecherin des Landesbauernverbandes Mecklenburg-Vorpommern erklärt, wollen die Bauern für drei Stunden alle 62 Autobahn-Auf- und -abfahrten im Bundesland blockieren und den Autobahnverkehr weitgehend zum Erliegen bringen.

Am 11. Januar wollen die Bauern Zufahrtsstraßen zu fünf großen Logistikzentren des Einzelhandels blockieren. All das dürfte den Verkehr auf Land- und Bundesstraßen sowie auf Autobahnen beeinträchtigen, wenn nicht lahmlegen.

Bereits zum Jahresende protestierten Bauern bundesweit gegen die Politik der Regierung, unter anderem in Berlin und Stuttgart. Zudem blockierten Landwirte Autobahnen schütteten Mist auf Berliner Straßen oder drehten Ortsschilder um. In Baden-Württemberg wurden Galgen aufgestellt, an denen Schilder mit Ampeln hingen. Schilder oder Pfähle, an denen Gummistiefel hängen, sind noch die harmlose Variante.

Inzwischen rufen AfD und andere rechtsextreme Kreise zur Teilnahme an den Bauernprotesten auf. Der Deutsche Bauernverband distanziert sich aufs Schärfste von "Schwachköpfen mit Umsturzfantasien", Radikalen sowie anderen "extremen Randgruppen und Spinnern, die den Protest für ihre Anliegen vereinnahmen" wollen.

Sparpläne wurden nachgebessert

Ursprünglich wollte die Ampel-Regierung ab sofort die Vergünstigungen bei Agrardiesel und die Kfz-Steuerbefreiung für Landwirtschaftsfahrzeuge streichen. Inzwischen ruderte sie zurück: Vorerst bleibt der Agrardiesel erhalten. Die Steuerbegünstigungen sollen nun schrittweise reduziert werden.

In diesem Jahr erfolgt eine Reduzierung des Entlastungssatzes um 40 Prozent, in den beiden Folgejahren eine um jeweils 30 Prozent, so dass die Subventionen erst 2026 auslaufen werden.

Der Deutsche Bauernverband hält dies für unzureichend: Beide Kürzungsvorschläge müssen vom Tisch, erklärte Bauernpräsident Joachim Rukwied. Es gehe um die Zukunftsfähigkeit der Branche und um die Frage, ob heimische Lebensmittelerzeugung überhaupt noch gewünscht sei.

Agrardiesel-Subventionen versus Dienstwagen-Privilegien

Nachhaltige Landwirtschaft setze auf maschinelle Methoden zur Saat- und Bodenpflege. Zwar würden weniger Pestizide eingesetzt, dafür müssten die Trecker mehr fahren, so das Argument für die Diesel-Subvention. Allerdings gibt es die Unterstützung beim Treibstoff für alle Bauern.

Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) zeigt sich mit den protestierenden Bauern solidarisch. Er spricht sich gegen die Pläne der Ampel-Koalition aus. Ohne Landwirtschaftsfahrzeuge kämen die Bauern nicht aus. Damit sei die Kfz-Steuerbefreiung gerechtfertigt.

Auch auf Maschinen in der Industrie würden schließlich keine Steuern erhoben. Mit den Sparplänen der Ampel in der Agrarwirtschaft würden die oft strukturschwachen ländlichen Regionen über Gebühr getroffen – dies sei einer der schwersten Schläge der letzten Jahre für den ländlichen Raum.

Fluggesellschaften weiter begünstigt

Es dürfe nicht sein, dass die Bauern anders behandelt würden als beispielsweise die Lufthansa, die keine Kerosinsteuer zahlen müsse. Genau wie diese stehe auch die Agrar- und Lebensmittelwirtschaft im internationalen Wettbewerb.

Statt bei den Bauern zu sparen, sollten auch Einsparungen beim Dienstwagenprivileg ernsthaft geprüft werden: Das Steuerprivileg könnte bei einem bestimmten Kraftstoffverbrauch gekappt werden. Dann würden etwa Pflegedienste weiterhin davon profitieren, die in der Regel mit kleinen Autos unterwegs seien.

Eine weitere Geldquelle wäre die bereits seit langem diskutierte Erbschafts- und Schenkungssteuer bei ganz großen Vermögen. So wurden allein im vergangenen Jahr in 24 Fällen Erbschafts- bzw. Schenkungssteuer in Höhe von insgesamt 1,43 Milliarden Euro erlassen. Sicher hätte man mit diesem Geld gut einen Teil der Haushaltslöcher stopfen können.

Landwirte verdienten nicht schlecht

Dabei geht es den Landwirten so gut wie seit Jahren nicht mehr. Erst Anfang Dezember hatte der Bauernverband neue Zahlen veröffentlicht, wonach sich die Ergebnisse im abgelaufenen Wirtschaftsjahr 2022/23 deutlich verbessert haben.

Demnach lag das Unternehmensergebnis der Haupterwerbsbetriebe im Schnitt bei 115.400 Euro je Betrieb. Ein Jahr zuvor lag der Ertrag noch bei knapp 80.000 Euro.

Hessische Landwirte steigerten ihr Ergebnis über alle Haupterwerbsbetriebe von fast 80 Prozent. Mit 157.000 Euro Unternehmensgewinn haben die viehhaltenden Betriebe das beste Ergebnis. Die landwirtschaftlichen Betriebe haben auch von den Preisturbulenzen durch den Ukraine-Krieg profitiert, glauben die Ökonomen des Landesbetriebes Landwirtschaft Hessen.

Vor allem kleine Höfe geben auf

Hierzulande gib es noch 258.700 landwirtschaftliche Betriebe, 40.000 Höfe weniger als noch 2010. Der Trend geht hin zu Großbetrieben.

Vor allem kleine Bauernhöfe unter 100 Hektar Fläche geben auf: Allein die Zahl der Tierhalter mit Anbindeställen schrumpfte während der letzten zehn Jahre von 82.500 auf nur noch 35.100 - ein Rückgang um knapp 60 Prozent.

Das liegt auch daran, dass die Anbindehaltung mittlerweile stark umstritten ist.

Landwirtschaft am Tropf: Geht es auch ohne Subventionen?

Es gibt keine Branche in der EU, die so hoch subventioniert ist wie die Landwirtschaft. Rund 260.000 landwirtschaftliche Betriebe erhalten hierzulande rund 6,5 Milliarden Euro pro Jahr als Fördergelder allein aus EU-Töpfen.

Tatsächlich sind viele Landwirte auf Staatsgelder angewiesen, die aus der Europäischen Union und aus dem Bundeshaushalt fließen. Die Agrardiesel-Erstattung nehme jedoch nur einen sehr kleinen Anteil ein.

Die Direktzahlungen der EU seien vom Umfang viel größer, erklärt Agrar-Professor Thomas Herzfeld vom Leibniz-Institut. Ihm zufolge würde die Streichung der Agrardiesel-Erstattung für einen durchschnittlichen 100 Hektar großen Betrieb Mehrkosten zwischen 2.300 Euro pro Jahr (Ackerbaubetrieb) und 3.900 Euro pro Jahr (Milchviehbetrieb) verursachen.

EU-Direktzahlungen: Deutsche Landwirte im oberen Mittelfeld

Deutsche Landwirte lägen, was die durchschnittlichen EU-Direktzahlungen pro Hektar angehe, im oberen Mittelfeld. Für Agrardiesel seien die Steuererleichterungen etwa in Frankreich, Estland, Lettland höher. In Österreich, den Niederlanden, Spanien und Griechenland hingegen werden sie abgeschafft oder stark reduziert.

Herzfeld glaubt, dass viele landwirtschaftliche Betriebe auch ohne die Direktzahlungen wirtschaften könnten. Eine grundsätzliche Reform der Agrarpolitik in der EU ginge nur als Ganzes, ist er sich sicher.

Schon Mitte des Jahres hatten Landwirte Subventionskürzungen hinnehmen müssen. Im Zuge der Haushaltsverhandlungen wurden Agrarmittel in Höhe von 293 Millionen Euro für 2024 gestrichen.

Michaela Engelmeier vom Sozialverband Deutschland (SoVD) befürchtet, dass die Kürzungen bei den Bauern zu steigenden Preisen für Lebensmittel führen und diese an die Verbraucher weitergereicht werden - und das bei extrem gestiegenen Preisen nach zwei Jahren hoher Inflation.

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